Darum gehts
- Luca Cereda reflektiert über sein abruptes Ende als Ambri-Trainer
- Er vermisst die Adrenalinkicks und analysiert vergangene Entscheidungen
- Cereda war acht Jahre lang Trainer von Ambri-Piotta
Blick: Fünf Wochen sind vergangen, seit Ihre Ära als Ambri-Trainer zu Ende ging. Wie geht es Ihnen?
Luca Cereda: Gut. Es gibt Tage, die leichter sind – und Tage, an denen ich die Action vermisse. Die sind etwas schwieriger. Ich versuche, die Ruhe zu geniessen und das Ganze zu relativieren. Es gibt Menschen, die es viel schwerer haben im Leben. Ich kann mich also nicht beklagen.
Als Sie 48 Stunden vor der denkwürdigen Pressekonferenz realisiert haben, dass etwas im Busch ist, wie war das für Sie?
Die Geschichte fing schon früher an. Zehn Tage davor waren wir beim Präsidenten, wir hatten ein Gespräch mit ihm und wollten uns am darauffolgenden Sonntag nochmals treffen. Das war so abgemacht, fand aber nicht statt. Etwa 48 Stunden vor der PK wussten wir dann, dass es zu Ende gehen würde.
Hat Sie Ihr Freund und Ambri-Sportchef Paolo Duca angerufen oder wie haben Sie davon erfahren, dass sich Präsident Filippo Lombardi hinter Ihrem Rücken mit einem Trainerkandidaten getroffen hat?
Vor der Pressekonferenz hatten wir zwei Tage frei. Am Montagmorgen trafen Paolo und ich uns bei mir, um zu besprechen, was wir ändern oder verbessern könnten. Am Abend wurde bei einem weiteren Termin klar, dass Filippo Lombardi auf dem Weg zu einem Treffen ist und dass die Mannschaft schon Bescheid weiss. Am Dienstagmittag trafen wir uns mit einem Teil des Verwaltungsrats, am Abend wieder mit Filippo. Dann wurde alles für die Pressekonferenz organisiert.
Was war Ihr erster Gedanke, als Sie realisierten, was da hinter Ihrem Rücken gelaufen ist?
Zuerst war da Enttäuschung. Ich fragte mich, warum wir uns nicht wie vereinbart am Sonntag getroffen hatten. Das war die Abmachung, wir warteten in der Eishalle darauf. Die erste Emotion war Enttäuschung, weil wir unserem Kredo nicht treu geblieben sind. Wir hatten das immer so gehalten: Offen und ehrlich miteinander reden, die Dinge klären, versuchen die Probleme zu lösen. Und diesmal war das plötzlich vorbei.
Was tut mehr weh, Kopf oder Herz?
Beides. Ich wusste, je länger wir weitermachen, desto näher rückt das Ende. Schon vor den letzten Spielen in Rapperswil-Jona und am Sonntag zu Hause gegen Davos habe ich das gespürt. Ich war mental darauf vorbereitet. Vielleicht tut es deshalb jetzt doch im Herzen mehr weh.
Weil das Ende so abrupt und unschön war?
Genau. Es kam plötzlich – und auch in einer negativen Art und Weise. Das war das Schwierige daran.
Und was war das Schlimmste am ganzen Drama für Sie?
Ich denke, wir hätten die Situation besser lösen können: Ein sauberer, geordneter Übergang, vielleicht sogar mit neuem Trainer, neuem oder gleichem Sportchef. Wir haben die Chance verpasst, das Ganze sauber in die nächsten Hände zu geben. Das ist schade.
Hatten Sie etwa ein schlechtes Gewissen bei Ihrem Abgang?
Nein, ich denke, ich persönlich habe mich gut verhalten.
An der Pressekonferenz sagten Sie, Sie konnten sich nicht von der Mannschaft verabschieden. Haben Sie das nachgeholt?
Nein. Ich hatte danach nur mit einigen Spielern bilateralen Kontakt. Für mich stimmt das so. Bis jetzt war ich noch nicht in der Eishalle – es ist noch zu frisch. Aber ich habe fast jedes Ambri-Spiel im Fernsehen geschaut.
Ist das nicht komisch? Viele würden sich wünschen, am letzten Tag noch einmal in die Garderobe zu gehen, um sich zu verabschieden.
Nein, für mich war es in dem Moment okay. Ich wollte mich wirklich zurückziehen. Wäre ich gleich wieder in die Halle gegangen, wäre das auch für die neuen Trainer seltsam gewesen.
Worum kreisen Ihre Gedanken immer noch?
Ich analysiere viel. Ich frage mich, was wir anders hätten machen können. Fehler passieren in einer Saison immer – Spielern wie Trainern. Es fehlte an Resultaten. Aber ich hatte nie das Gefühl, dass es an Einsatz oder Respekt mangelte. Die Mannschaft hat gemacht, was wir verlangt haben – mal besser, mal weniger gut. Wir haben es einfach nicht geschafft, mehr Spiele zu gewinnen.
Sie beschäftigt tatsächlich noch, was Sie hätten besser machen können? Nicht, wie hinterrücks das abgelaufen ist?
Ja, ich analysiere ständig, was ich gut gemacht habe und was anders hätte laufen können. Das hilft mir, aus diesen Erfahrungen zu lernen, falls ich irgendwann wieder in einer ähnlichen Situation bin. Ich frage mich, was ich besser hätte machen können – vielleicht nichts, vielleicht ein paar Kleinigkeiten.
Luca Cereda ist in Sementina TI aufgewachsen und lebt auch heute mit seiner Familie dort. Mit seiner Frau Miriam (45) ist er seit 2008 verheiratet, das Paar hat vier Kinder: Emma (16), Giulia (14), Samuele (11) und Mattia (5). Sein Herz schlug schon immer für den HC Ambri-Piotta.
Cereda (42) debütierte als 17-Jähriger in der NLA, war eines der grössten Schweizer Stürmertalente und wurde 1999 im NHL-Draft von den Toronto Maple Leafs in der ersten Runde (24. Stelle) gezogen. Doch wegen eines Herzfehlers spielte er nie in der NHL und musste seine Karriere mit 25 Jahren beenden. Fortan setzte er auf seine Laufbahn als Trainer und wurde via Ambri-Nachwuchs und Biasca 2017 Headcoach der Leventiner in der National League. Cereda war der dienstälteste Trainer in der höchsten Liga – bis er am 8. Oktober an einer denkwürdigen Medienkonferenz nach einem Verrat von Ambri-Präsident Filippo Lombardi seinen Posten räumte.
Luca Cereda ist in Sementina TI aufgewachsen und lebt auch heute mit seiner Familie dort. Mit seiner Frau Miriam (45) ist er seit 2008 verheiratet, das Paar hat vier Kinder: Emma (16), Giulia (14), Samuele (11) und Mattia (5). Sein Herz schlug schon immer für den HC Ambri-Piotta.
Cereda (42) debütierte als 17-Jähriger in der NLA, war eines der grössten Schweizer Stürmertalente und wurde 1999 im NHL-Draft von den Toronto Maple Leafs in der ersten Runde (24. Stelle) gezogen. Doch wegen eines Herzfehlers spielte er nie in der NHL und musste seine Karriere mit 25 Jahren beenden. Fortan setzte er auf seine Laufbahn als Trainer und wurde via Ambri-Nachwuchs und Biasca 2017 Headcoach der Leventiner in der National League. Cereda war der dienstälteste Trainer in der höchsten Liga – bis er am 8. Oktober an einer denkwürdigen Medienkonferenz nach einem Verrat von Ambri-Präsident Filippo Lombardi seinen Posten räumte.
Hätten Sie die Energie gehabt, trotz des schwierigen Saisonstarts weiterzumachen? Immerhin fragten Sie sich die letzten Jahre schon zweimal, ob Sie nicht besser aufhören.
Physisch war ich besser drauf als in jeder anderen Saison am Anfang, das hat mir geholfen. Denn es hat mich Energie gekostet. Mental ist es schwer zu sagen. Ich könnte jetzt Ja oder Nein sagen, wer weiss. Aber grundsätzlich habe ich mich gut gefühlt.
Sie waren acht Jahre Ambri-Trainer. Hatten Sie das Gefühl, in dieser langen Zeit schon alles einmal gesagt zu haben?
Klar. Das haben wir vor zwei Jahren und auch im letzten April nach der Saison thematisiert. Wir haben uns weiterentwickelt, ein paar Sachen geändert und neue Ideen eingebracht. Aber ja, die Stimme bleibt dieselbe.
Nach dem Spiel in Rappi sprach ich mit Ihnen. Da hatte ich erstmals das Gefühl, Sie sind nicht mehr sich selbst und sagen nicht, was Sie wirklich denken.
Das kann sein. Ich hatte das Gefühl, wir waren so nahe dran an Fortschritten, an einem Sieg. Und trotzdem fehlte jedes Mal etwas. Und immer lag es an etwas Anderem. Dem Powerplay, an individuellen Fehlern, an der Verteidigung. Das war frustrierend. Es kann sein, dass mir in jenem Moment mental die Energie fehlte. Über etwas habe ich viel nachgedacht.
Worüber?
Vor den acht Jahren mit Ambri war ich bei den Ticino Rockets, als dieses Projekt startete. Und davor coachte ich zwei Teams, die Elite-Junioren und Biascas 1.-Liga-Mannschaft. Das waren zehn intensive Jahre. Bis zu meiner Pension dauerte es noch 20 Jahre. Vielleicht tun mir ein paar Wochen Pause gut. Man hat Zeit, den Kopf frei zu bekommen für neue Ideen und Inputs. Ich funktioniere so, dass ich immer Neues dazulernen möchte, das ist für mich wichtig.
Wie war der erste Tag nach der Medienkonferenz, als Sie von 100 auf Null ausgebremst wurden?
Nach der PK fuhr ich nach Lugano zu einem Spiel meines Sohnes. Ich war da noch voller Adrenalin, habe angefangen, die unzähligen Nachrichten zu lesen. Aber was ich am nächsten Tag gemacht habe? Das weiss ich nicht mehr.
Sie wissen nicht mehr, was Sie an Tag eins nach Ihrem Abgang bei Ambri gemacht haben, als Sie nicht in die Eishalle mussten?
(Überlegt.) Ich war zu Hause und habe mich um meine Familie, meine Kinder gekümmert. Es war mir wichtig, ihnen zu zeigen, dass es mir gut geht.
Hatten Sie Angst, sie machen sich Sorgen um Sie?
Ja. Den Kindern teilte ich am Abend davor mit, dass ich als Trainer vermutlich gehen könnte. Das war emotional. Jedes der vier Kinder ist anders damit umgegangen. Die zweitälteste Tochter ist sensibel. Sie wollte mich am Mittwoch an die Pressekonferenz begleiten. Sie stand deswegen mit mir um fünf Uhr auf. Ich sagte ihr aber, dass Schule wichtiger ist und es mir gut geht. Am Donnerstag blieb ich deshalb zuhause. Am Freitag bin ich in unser Häuschen in die Berge gefahren, verbrachte den Tag allein in der Natur. Die Ruhe tut mir gut. Das tat ich einige Male in den letzten Wochen. Dafür habe ich jetzt Zeit, oder um Bücher zu lesen, Podcasts zu hören, Dokus zu schauen oder andere Teams genauer zu analysieren. Trotzdem…
…trotzdem was?
Manchmal fehlt mir etwas.
Was genau?
Das Adrenalin des Spiels. Und in einer Mannschaft mit 25 Spielern und zehn Staffmitgliedern gibt es ständig Probleme, für die man Lösungen suchen muss. Das fehlt mir ab und zu.
Aber live an einem Ambri-Spiel waren Sie noch nicht?
Nein, meine Kinder waren dort, aber ich habe es bis jetzt noch nicht geschafft. Ich denke, ich lasse noch mehr Gras über die Sache wachsen. Ich möchte aber diese Saison sicher noch an ein Spiel. Zusammen mit meinen Kindern, das konnte ich noch nie mit ihnen erleben.
Haben Sie als Trainer besser geschlafen? Oder schlafen Sie jetzt besser?
Es gab früher schwierige Nächte, jetzt nur ab und zu. Paolo (Duca, die Red.) ist im Gegensatz zu mir sehr impulsiv und lässt die Emotionen raus. Ich behalte sie lieber für mich. Langsam muss ich diese Emotionen der letzten acht Jahre loslassen.
Kann man jemand, der so leidenschaftlich bei der Sache war, das wirklich loslassen?
Ja, ich glaube schon. Als ich eine Doku über Olympique Marseille geschaut habe, ging es auch um den italienischen Trainer. Es gab emotionale Szenen. Ich konnte diese Emotionen nachfühlen, ich spürte sie. Das zeigte mir: Ich lebe noch, ich bin noch da. Das ist wichtig für mich. Viele Leute haben mich schon gefragt, was ich jetzt machen werde. Das weiss ich noch nicht. Aber eines weiss ich: Es muss Emotionen wecken in mir. Sonst wird es schwierig.
Haben Sie in den letzten fünf Wochen viel mit anderen darüber geredet, was passiert ist?
Nein, kaum. Ich war nicht viel in der Öffentlichkeit, nur in der Eishalle mit meinem Sohn und seiner Mannschaft. Als ich einmal kurz einkaufen wollte, dauerte es zwei Stunden, weil viele Leute darüber sprechen wollten. Darum bin ich viel in der Natur, alleine, um Ruhe und Kraft zu tanken.
In den letzten acht Jahren verbrachten Sie täglich viele Stunden mit Paolo Duca. Und jetzt? Sehen Sie sich immer noch so viel?
In den ersten Tagen hatten wir täglich Kontakt. Danach ist es weniger geworden. Gesehen haben wir uns an einem Juniorenspiel in Faido oder zufällig in der Eishalle in Ascona.
Ist das nicht seltsam?
Doch, doch. Aber es ist auch wichtig, dass wir ein bisschen Abstand gewinnen. Wir haben wahrscheinlich nicht die gleichen Visionen für die Zukunft.
Apropos Zukunft, haben sie schon Job-Angebote bekommen?
Nein, bis jetzt noch nicht. Ich bin zum ersten Mal in dieser Situation. Ganz ehrlich, ich weiss nicht, wann der Zeitpunkt dafür kommen wird. Ich wollte zuerst alles sacken lassen und habe mit meinem Agenten noch nicht gross darüber gesprochen. Es ist auch schwierig zu sagen, ob ich schon wieder genügend Energie dafür hätte oder nicht. Wenn mich etwas packt und Emotionen auslöst, warum nicht.
Ihr Name fiel auch schon als nächster Schweizer Nati-Trainer und Nachfolger von Patrick Fischer…
…ich weiss ja nicht mal, ob er aufhört. Ich hatte schon Engagements beim Verband, als Assistent von Fischer und im Nachwuchs. Es ist eine spezielle Herausforderung. Aber soweit bin ich in meinen Gedanken noch nicht. Es wäre natürlich eine grosse Ehre, für den Verband zu arbeiten.
