Darum gehts
- EU-Deal: Parteien und Verbände positionieren sich
- Blick zeichnet nach, wie die Fronten verlaufen
- Von den Hellebardisten der SVP bis zu den Sternsingern der GLP
FDP-Aussenminister Ignazio Cassis (64) hat die Festung Brüssel erobert. Nach jahrelangen Verhandlungen liegen die über tausend Seiten des EU-Deals vor. Kommt er durch, gelten neue Spielregeln zwischen der Schweiz und der EU. Alte Abkommen wurden überarbeitet, neue ergänzt. Gibt es Streit, entscheidet ein Schiedsgericht. Auch Schweizer Gesetze ändern sich: Eine Schutzklausel soll die Zuwanderung vorübergehend beschränken. Doch wie reagieren die wichtigsten Akteure?
Zum Ende der Vernehmlassung, in der Parteien, Verbände und Kantone ihre Meinung äussern konnten, hat sich Blick den politischen Marktplatz etwas genauer angeschaut. Ein Sittengemälde:
Die Hellebardisten
Die SVP schart sich im Kampf gegen Brüssel hinter ein neues Kampfsymbol: die Hellebarde. Seit der Bundesrat den EU-Deal letzten Dezember abgesegnet hat, gehört die mittelalterliche Stoss- und Hiebwaffe zum Reisegepäck von SVP-Chef Marcel Dettling (44).
Ob beim frühmorgendlichen Kampagnenstart auf dem Bundesplatz, an Parteitagen oder beim Cervelatbräteln über verfeuerten EU-Verträgen – die Hellebarde ist dabei. Mittlerweile gehört sie auch als Pin im Kleinformat ans Revers jedes gestandenen SVPlers. Den Kampf gegen den «Unterwerfungsvertrag» führt die SVP kompromisslos und unerbittlich. Die Devise: «Keine Gefangenen!»
Unterstützt wird die Partei von verschiedenen EU-kritischen Organisationen. An vorderster Front mit dabei ist das von einem Milliardärstrio angeführte Kompass-Komitee: Es will per Volksinitiative die EU-Abstimmung dem Ständemehr unterstellen. Dem EU-Deal droht schon vorher der Todesstoss: Sagt das Volk schon vorher Ja zu SVP-Initiative «Keine 10-Millionen-Schweiz», wäre der EU-Deal praktisch erledigt.
Die Sternsinger
Schon lange vor dem Dreikönigstag ziehen GLP und die Operation Libero von Tür zu Tür und schwärmen von den goldigen EU-Sternen. Das Paket sichere den Marktzugang, stärke die Mitsprache der Schweiz und schaffe faire Regeln, argumentieren die Grünliberalen. Die Operation Libero bricht eine Lanze für den Deal und spricht von einem «gut austarierten Kompromiss».
Bedingungslose Befürworter sind selten. Selbst unter den grundsätzlich positiven Stimmen gibt es Kritik. Zudem ist die GLP die kleinste Fraktion im Parlament. Doch wird es knapp, könnten diese Stimmen den Unterschied machen.
Die Königsmacher
«Der bilaterale Weg ist der Königsweg», hallt es bei FDP und Mitte von den Zinnen. Beide Parteien wollen den bilateralen Weg weiterführen, um freie Handels- und Arbeitswege zu sichern. Allerdings gibt es im eigenen Lager einen ansehnlichen Anteil von Hellebardisten, die sich im Abstimmungskampf an die Seite der SVP gesellen könnte. In der FDP ist es gut ein Viertel, in der Mitte dürfte es ähnlich sein.
Umso mehr kämpfen die Parteikommandanten dafür, die Skeptiker in den eigenen Linien zu halten. Weil an den EU-Verträgen selbst nicht mehr zu rütteln ist, soll an der innenpolitischen Front nachgebessert werden. Die Mitte will etwa eine «noch griffigere, verfassungsbasierte Schutzklausel verankern». Die FDP hingegen will eine Souveränitätsgarantie als Notbremse einbauen. Sprich: Sieben Jahre nach Inkrafttreten der Verträge soll das Stimmvolk erneut an der Urne über deren Weiterführung entscheiden.
Schaffen es die beiden Parteien, ihr Fussvolk weitgehend hinter sich zu vereinen, wird ihre Kampfkraft die Abstimmungsschlacht entscheidend beeinflussen. Verteidigen und sichern sie den «Königsweg» auch für die Zukunft, werden sie zu den eigentlichen Königsmachern.
Die Lohnkrieger
Lange war unklar, auf welche Seite sich Gewerkschaften und SP schlagen. Nun scheinen sie sich mit GLP, FDP, Mitte und Grünen für die EU-Verträge zu verbünden – wenn der Sold am Schluss stimmt.
Die Lohnkrieger um Gewerkschaftsboss und SP-Ständerat Pierre-Yves Maillard (57) knüpfen ihre Zustimmung an das Lohnschutz-Paket. Das EU-Abkommen alleine für sich gefährdet das hiesige Lohnniveau. Deshalb soll der schweizerische Schutzwall mit insgesamt 14 innenpolitischen Massnahmen verstärkt werden. Kommen diese durch, steht die linke Flanke, und die frühere SP-FDP-Mitte-Allianz könnte auch bei den Bilateralen III wieder greifen.
Die Bettler
Am Rand des Marktplatzes tummelt sich allerhand anderes buntes Volk. Die Strombranche hat lange um ein eigenes Abkommen gebettelt. Jetzt ist es da. Die Schweiz darf beim europäischen Strommarkt mitmachen. Gleichzeitig muss sie den Markt öffnen: Jeder darf selbst wählen, wo er oder sie den Strom kauft.
Der EU-Deal ist über 1000 Seiten lang und regelt zahlreiche Bereiche. Die zentralen Punkte
- Der Deal sieht neue Spielregeln vor: bei der Personenfreizügigkeit, beim Land- und Luftverkehr, bei der Landwirtschaft, der gegenseitigen Anerkennung von Produktrichtlinien, beim Strom und bei der Lebensmittelsicherheit gilt neu eine «dynamische Rechtsübernahme». Die Schweiz übernimmt grundsätzlich EU-Recht, kann dies aber über das Volk oder das Parlament ablehnen – dann drohen aber Strafen.
- EU-Bürger dürfen in die Schweiz ziehen und arbeiten. Es gibt aber nur eine Aufenthaltsgenehmigung, wenn die Person auch einen Job hat.
- EU-Firmen dürfen künftig ihre Arbeiter in die Schweiz schicken, um dort Jobs zu erledigen, ebenso umgekehrt. Die Firmen müssen ihre Bürger voranmelden.
- Die Schweiz bezahlt gerne und viele Subventionen. Die EU will unerwünschte Wettbewerbsverfälschungen verhindern. Grundsätzlich gilt ein Verbot – aber mit zahlreichen Ausnahmen.
- Ausländische Bahnen wie Flixtrain dürfen auf Schweizer Schienen fahren.
- Die Schweiz kann wieder bei EU-Programmen wie dem Studenten-Austauschprogramm Erasmus mitmachen.
- Neue Verträge gibt es beim Strom, bei der Gesundheitsprävention und der Lebensmittelsicherheit.
Wenn es einen Streit gibt, entscheidet zuerst ein sogenannter gemischter Ausschuss mit Vertretern der Schweiz und der EU. Ist man sich dort nicht einig, gibt es ein Schiedsgericht. Dieses muss den EU-Gerichtshof beiziehen. Das Schiedsgericht fällt das Urteil und kann verhältnismässige Ausgleichsmassnahmen verhängen. Willkürliche Strafen sind ausgeschlossen.
Was kostet der Deal?Ab 2030 zahlt die Schweiz jährlich 350 Millionen Franken für Entwicklungsprojekte in EU-Ländern wie zum Beispiel Bulgarien, Estland oder Kroatien. Bis 2030 sind es 130 Millionen Franken pro Jahr.
Was ändert sich in der Schweiz?Auch im Schweizer Recht ändert sich einiges. Wichtigster Punkt: die Schutzklausel. Die Schweiz kann damit die Zuwanderung vorübergehend einschränken. Wenn die Nettozuwanderung, die Arbeitslosigkeit oder der Sozialhilfebezug gewisse Schwellenwerte überschreiten, kann der Bundesrat die Auslösung der Schutzklausel prüfen. Danach kann er Schutzmassnahmen, wie beispielsweise Höchstzahlen bei der Zuwanderung erlassen. Missfällt das der EU, kann das Schiedsgericht Ausgleichsmassnahmen ergreifen.
Um die Schweizer Löhne zu sichern, gibt es ein dreistufiges Konzept. Es gelte das Prinzip «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort», sagte Staatssekretärin Helene Budliger Artieda. Der Lohnschutz werde nicht geschwächt.
Für das Stromabkommen muss der Strommarkt liberalisiert werden. Wer will, kann seinen Anbieter frei wählen oder aber in der Grundversorgung bleiben.
Der EU-Deal ist über 1000 Seiten lang und regelt zahlreiche Bereiche. Die zentralen Punkte
- Der Deal sieht neue Spielregeln vor: bei der Personenfreizügigkeit, beim Land- und Luftverkehr, bei der Landwirtschaft, der gegenseitigen Anerkennung von Produktrichtlinien, beim Strom und bei der Lebensmittelsicherheit gilt neu eine «dynamische Rechtsübernahme». Die Schweiz übernimmt grundsätzlich EU-Recht, kann dies aber über das Volk oder das Parlament ablehnen – dann drohen aber Strafen.
- EU-Bürger dürfen in die Schweiz ziehen und arbeiten. Es gibt aber nur eine Aufenthaltsgenehmigung, wenn die Person auch einen Job hat.
- EU-Firmen dürfen künftig ihre Arbeiter in die Schweiz schicken, um dort Jobs zu erledigen, ebenso umgekehrt. Die Firmen müssen ihre Bürger voranmelden.
- Die Schweiz bezahlt gerne und viele Subventionen. Die EU will unerwünschte Wettbewerbsverfälschungen verhindern. Grundsätzlich gilt ein Verbot – aber mit zahlreichen Ausnahmen.
- Ausländische Bahnen wie Flixtrain dürfen auf Schweizer Schienen fahren.
- Die Schweiz kann wieder bei EU-Programmen wie dem Studenten-Austauschprogramm Erasmus mitmachen.
- Neue Verträge gibt es beim Strom, bei der Gesundheitsprävention und der Lebensmittelsicherheit.
Wenn es einen Streit gibt, entscheidet zuerst ein sogenannter gemischter Ausschuss mit Vertretern der Schweiz und der EU. Ist man sich dort nicht einig, gibt es ein Schiedsgericht. Dieses muss den EU-Gerichtshof beiziehen. Das Schiedsgericht fällt das Urteil und kann verhältnismässige Ausgleichsmassnahmen verhängen. Willkürliche Strafen sind ausgeschlossen.
Was kostet der Deal?Ab 2030 zahlt die Schweiz jährlich 350 Millionen Franken für Entwicklungsprojekte in EU-Ländern wie zum Beispiel Bulgarien, Estland oder Kroatien. Bis 2030 sind es 130 Millionen Franken pro Jahr.
Was ändert sich in der Schweiz?Auch im Schweizer Recht ändert sich einiges. Wichtigster Punkt: die Schutzklausel. Die Schweiz kann damit die Zuwanderung vorübergehend einschränken. Wenn die Nettozuwanderung, die Arbeitslosigkeit oder der Sozialhilfebezug gewisse Schwellenwerte überschreiten, kann der Bundesrat die Auslösung der Schutzklausel prüfen. Danach kann er Schutzmassnahmen, wie beispielsweise Höchstzahlen bei der Zuwanderung erlassen. Missfällt das der EU, kann das Schiedsgericht Ausgleichsmassnahmen ergreifen.
Um die Schweizer Löhne zu sichern, gibt es ein dreistufiges Konzept. Es gelte das Prinzip «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort», sagte Staatssekretärin Helene Budliger Artieda. Der Lohnschutz werde nicht geschwächt.
Für das Stromabkommen muss der Strommarkt liberalisiert werden. Wer will, kann seinen Anbieter frei wählen oder aber in der Grundversorgung bleiben.
Doch jetzt kommt laute Kritik von Vertretern der Strombranche. Sie befürchten zu viel Bürokratie und einen «Swiss Finish». Die neuen Regeln seien strenger als jene der EU. Die Gewerkschaften um Pierre-Yves Maillard stellen sich ganz gegen das Stromabkommen, weil sie die Liberalisierung stört. Doch dies bleibt ein Nebenschauplatz: Über das Stromabkommen wird separat abgestimmt.
Die Bauern
Die Bauern, allen voran der gewichtige Bauernverband, lavieren. Sie sehen den bilateralen Weg zwar als alternativlos an, äussern sich aber weder klar für noch gegen den EU-Deal. Viele Bauern stehen der SVP nahe. Beim EWR-Nein vor über 30 Jahren waren sie wichtige Verbündete.
Doch jetzt sagt zum Beispiel die Interessengemeinschaft Agrarstandort, zu der unter anderen Migros, Coop, Emmi oder Bell gehören, die neuen Verträge seien «gangbar». Die Bauern dürften bei den Verhandlungen im Parlament versuchen, die eine oder andere Extrawurst herauszuholen.
Die Jongleure
Ob der Aargauer Regierungsrat Markus Dieth (58) jonglieren kann, ist nicht bekannt. Sicher ist: Als Präsident der Konferenz der Kantonsregierungen muss er mit den unterschiedlichen Interessen der Kantone jonglieren. Eine grosse Mehrheit ist für die Verträge – doch Streit gibt es in der Frage des Ständemehrs: Soll allein das Volk entscheiden oder muss auch die Mehrheit der Kantone zustimmen?
Für eine Abstimmung ohne Ständemehr sprachen sich 15 Kantone aus, für eine mit Ständemehr deren 10. Der Kanton Bern hat keine Präferenz. Zwar ist also eine Mehrheit dafür, dass das Volksmehr reicht. Doch es sind zu wenig für eine eindeutige Positionierung der Konferenz. Diskussionen sind vorprogrammiert.