Darum gehts
- EU-Deal veröffentlicht: Neue Spielregeln für Abkommen zwischen Schweiz und EU
- Dynamische Rechtsübernahme und Schiedsgericht bei Streitigkeiten sind wichtige Punkte
- Ab 2030 überweist die Schweiz jährlich 350 Millionen Franken an EU-Entwicklungsprojekte
Jetzt ist er da: Aussenminister Ignazio Cassis (64) hat den EU-Deal veröffentlicht. Das sind wichtigsten Fragen und Antworten.
Wie sieht der EU-Deal aus?
Der Deal ist über tausend Seiten lang und regelt zahlreiche Bereiche. Die zentralen Punkte
- Der Deal sieht neue Spielregeln vor: Bei der Personenfreizügigkeit, beim Land- und Luftverkehr, der Landwirtschaft, der gegenseitigen Anerkennung von Produktrichtlinien, beim Strom und der Lebensmittelsicherheit gilt neu eine «dynamische Rechtsübernahme». Die Schweiz übernimmt grundsätzlich EU-Recht, kann dies aber über das Volk oder das Parlament ablehnen – dann drohen aber Strafen.
- EU-Bürger dürfen in die Schweiz ziehen und arbeiten. Es gibt aber nur eine Aufenthaltsgenehmigung, wenn die Person auch einen Job hat.
- EU-Firmen dürfen künftig ihre Arbeiter in die Schweiz schicken, um dort Jobs zu erledigen, ebenso umgekehrt. Die Firmen müssen ihre Bürger voranmelden.
- Die Schweiz bezahlt gerne und viele Subventionen. Die EU will unerwünschte Wettbewerbsverfälschungen verhindern. Grundsätzlich gilt ein Verbot – aber mit zahlreichen Ausnahmen.
- Ausländische Bahnen wie Flixtrain dürfen auf Schweizer Schienen fahren.
- Die Schweiz kann wieder bei EU-Programmen wie dem Studenten-Austauschprogramm Erasmus mitmachen.
- Neue Verträge gibt es beim Strom, der Gesundheitsprävention und der Lebensmittelsicherheit.
Was, wenn es Streit gibt?
Wenn es einen Streit gibt, entscheidet zuerst ein sogenannter gemischter Ausschuss mit Vertretern der Schweiz und der EU. Ist man sich dort nicht einig, gibt es ein Schiedsgericht. Dieses muss den EU-Gerichtshof beiziehen. Das Schiedsgericht fällt das Urteil und kann verhältnismässige Ausgleichsmassnahmen verhängen. Willkürliche Strafen sind ausgeschlossen.
Warum will der Bundesrat diesen Deal?
Der Bundesrat will die Beziehungen zur EU stabilisieren. Cassis betont die Vorteile für Wohlstand, Stabilität und Sicherheit. «Wir gehören zu Europa», erinnerte Cassis. «Gerade in Zeiten globaler Unsicherheiten sind verlässliche Beziehungen zu unseren Nachbarn von strategischer Bedeutung.»
«Die EU ist mit Abstand die wichtigste Handelspartnerin der Schweiz», so Cassis. Dazu hat die Landesregierung mehrere Studien in Auftrag gegeben, die zum Schluss kommen, dass sich «das Paket positiv auf die Volkswirtschaft der Schweiz auswirken würde».
Was kostet der Deal?
Ab 2030 zahlt die Schweiz jährlich 350 Millionen Franken für Entwicklungsprojekte in EU-Ländern wie zum Beispiel Bulgarien, Estland oder Kroatien. Bis 2030 sind es 130 Millionen Franken pro Jahr. Dazu kommen jährliche Kosten für einzelne Abkommen, wie zum Beispiel Erasmus. Es dürfte sich insgesamt auf eine Milliarde Franken pro Jahr kumulieren, schätzte Cassis. Die Schweiz hätte aber auch sonst Kosten – «einfach mit weniger Outcome».
Was ändert sich in der Schweiz?
Auch im Schweizer Recht ändert sich einiges. Wichtigster Punkt: die Schutzklausel. Die Schweiz kann damit die Zuwanderung vorübergehend einschränken. Wenn die Nettozuwanderung, die Arbeitslosigkeit oder der Sozialhilfebezug gewisse Schwellenwerte überschreiten, kann der Bundesrat die Auslösung der Schutzklausel prüfen. Danach kann er Schutzmassnahmen, wie beispielsweise Höchstzahlen bei der Zuwanderung erlassen. Missfällt das der EU, kann das Schiedsgericht Ausgleichsmassnahmen ergreifen.
Um die Schweizer Löhne zu sichern, gibt es ein dreistufiges Konzept. Es gelte das Prinzip «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort», sagte Staatssekretärin Helene Budliger Artieda. Der Lohnschutz werde nicht geschwächt.
Für das Stromabkommen muss der Strommarkt liberalisiert werden. Wer will, kann seinen Anbieter frei wählen oder aber in der Grundversorgung bleiben.
Worüber wird gestritten?
Einer der grössten Streitpunkte dürfte die dynamische Rechtsübernahme sein. Die SVP schreibt in einer Medienmitteilung bereits von einem «Angriff auf unsere Demokratie und Selbstbestimmung».
Auch die Rolle des Schiedsgerichts bleibt umstritten. Es muss in einem Streitfall, wo sich Schweiz und EU nicht einigen können, den EU-Gerichtshof beiziehen. Weiter zu reden geben werden die Kosten für die Schweiz oder die Frage, ob die Verträge in einer Volksabstimmung einem Ständemehr standhalten müssen. Auch über das Stromabkommen wird geredet werden, etwa bezüglich der Liberalisierung des Marktes. Auf der anderen Seite dürften auch der Nutzen für Wirtschaft und Forschung in die Waagschale geworfen werden.
Was sagen die Parteien?
Die SP begrüsst das Paket. «Der Kompromiss der Sozialpartner ist eine solide Grundlage für ein mehrheitsfähiges Gesamtpaket, das nicht verzögert oder geschwächt werden darf», heisst es in einer Medienmitteilung. Die Grünen reagieren vor allem positiv auf das Stromabkommen. «Mit dem Stromabkommen ebnen wir den Weg in eine Zukunft ohne fossile Energie und ohne überteuerte und klimaschädliche Überproduktion», heisst es in einer Medienmitteilung. GLP-Präsident Jürg Grossen zeigt sich überzeugt von den Verträgen: «Diese Verträge bringen der Schweiz wirtschaftliche Sicherheit und politischen Handlungsspielraum.»
Die Mitte-Partei spricht von einem «weiteren wichtigen Schritt». Die FDP kritisiert jene, die in Unkenntnis der Fakten den Untergang des Vaterlandes heraufbeschworen hätten. «Nach endlosen Schattengefechten liegen die Texte seit heute vor. Endlich kann eine faktenbasierte Diskussion über die Zukunft des bilateralen Wegs stattfinden.»
Schon am Mittag hatte die SVP vor einem «Angriff auf unsere Demokratie und Selbstbestimmung» gewarnt. «Die vereinigten EU-Turbos wollen uns Schweizerinnen und Schweizern das Stimmrecht entziehen», so Parteipräsident Marcel Dettling.
Wie geht es jetzt weiter?
Nun beginnt die Vernehmlassung. Parteien, Verbände aber auch Privatpersonen haben jetzt drei Monate Zeit, sich zum Paket zu äussern. Der Bundesrat wird danach möglicherweise noch Anpassungen vornehmen und das Geschäft dann dem Parlament übergeben. Ziel dürfte es sein, das Paket bis zu den Wahlen 2027 verabschiedet zu haben. Andernfalls könnte die SVP das Thema im Wahljahr ausschlachten.
Wer entscheidet am Schluss?
Wahrscheinlich das Volk. Denn die SVP dürfte die nötigen 50'000 Unterschriften locker sammeln. Dann kann das Volk über das Basispaket mit der dynamischen Rechtsübernahme und über die drei Einzelabkommen abstimmen.