Darum gehts
- Die SVP kritisiert die neuen EU-Verträge wegen des Daueraufenthaltsrechts für EU-Bürger
- Die erweiterten Familiennachzugsrechte könnten die Einwanderung verstärken
- 570’000 Personen könnten nach fünf Jahren das Daueraufenthaltsrecht erhalten
Die SVP und die Personenfreizügigkeit werden kaum noch Freunde. Die Rechtspartei bekämpft die EU-Einwanderung bereits seit Jahren. Das ändert sich auch mit dem neuen Vertragspaket nicht. Es trägt sogar einen weiteren Störfaktor bei: Der Bund will darin einen Teil der Unionsbürgerrichtlinie übernehmen.
Mit der Übernahme dieser Richtlinie können EU-Bürgerinnen und -Bürger nach fünf Jahren Erwerbstätigkeit in der Schweiz ein Daueraufenthaltsrecht erhalten. Die grosse Sorge mancher Politiker: Nimmt mit der Richtlinie die Einwanderung in den Sozialstaat zu?
Freie Arbeitssuche innerhalb der EU
Die Unionsbürgerrichtlinie soll innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten sicherstellen, dass Bürgerinnen und Bürger sich frei nach Arbeit umschauen dürfen. So können sie beispielsweise bedingungslos für bis zu drei Monate in andere EU-Länder einreisen. Zudem haben sie nach fünf Jahren Aufenthalt ein Anrecht auf dauerhafte Niederlassung – unabhängig davon, ob sie arbeiten oder nicht.
Wie CH Media berichtet, übernimmt die Schweiz die Regelung jedoch nur unter speziellen Voraussetzungen. Anders als in der EU-Richtlinie vorgesehen ist in der Schweiz eine fünfjährige Erwerbstätigkeit Voraussetzung für das Daueraufenthaltsrecht.
Der Bundesrat spricht in den Erläuterungen zum Vertragspaket von einer «gewichtigen Ausnahme». Die Personen seien nach fünf Jahren «nachhaltig» in den Arbeitsmarkt integriert, und es bestehe daher ein geringes Risiko für Arbeitslosigkeit oder Sozialhilfebezug.
Die Definition der Erwerbstätigkeit ist weit gefasst
Trotzdem: Die Definition von Erwerbstätigkeit ist dabei weit gefasst. So reicht ein Teilzeitpensum von 30 bis 40 Prozent, in manchen Fällen sind sogar zwölf Wochenstunden genug. Auch Phasen von Arbeitslosigkeit oder kurzzeitigem Sozialhilfebezug werden nicht als erwerbslose Zeit gewertet.
Ein Gutachten des Forschungsbüros Ecoplan im Auftrag des Bundes prognostiziert, dass fünf Jahre nach Einführung der neuen Regelung rund 570’000 Personen das Daueraufenthaltsrecht in der Schweiz erhalten könnten. Jährlich kämen weitere 50’000 bis 70’000 hinzu. Die Studie geht davon aus, dass vor allem Personen in prekären Arbeitsverhältnissen oder mit geringen Sprachkenntnissen das Recht beantragen werden.
Die SVP warnt vor den Folgen dieser Ausweitung. «Das Daueraufenthaltsrecht ist eine Art Schweizer Pass ohne Stimmrecht, eine lebenslange Garantie für staatliche Rundumversorgung und selbst bei Kriminalität nicht entziehbar», sagt der Thurgauer SVP-Nationalrat Pascal Schmid (49) gegenüber CH Media.
Risiko des Familiennachzugs
Schmid sieht auch im erweiterten Familiennachzug ein Risiko für verstärkte Einwanderung. Neben minderjährigen Kindern und Ehegatten dürften nämlich auch Enkel und erwachsene Kinder, die noch nicht 21-jährig sind, einreisen. Ebenfalls ein Anrecht hätten zudem Konkubinatspartner, Gross- und Schwiegereltern sowie pflegebedürftige Familienmitglieder, falls diese auf Unterstützung angewiesen sind.
«Konkret bedeutet das, dass ein Syrer, der dank der deutschen Turboeinbürgerungen EU-Bürger wurde, in die Schweiz einwandern und danach seine Grossfamilie direkt aus Syrien nachziehen kann», sagt Schmid. «Und alle bekommen nach fünf Jahren das Daueraufenthaltsrecht geschenkt.»
Der Bundesrat räumt ein, dass die neuen Verpflichtungen Auswirkungen auf die Zuwanderung haben könnten, hält das Ausmass jedoch für überschaubar. Er verweist darauf, dass die eigenständige Steuerung der Zuwanderung bereits seit der Annahme der SVP-Masseneinwanderungsinitiative im Jahr 2014 in der Verfassung stehe.
Wirtschaftsverbände verweisen auf die Schutzklausel
Rückendeckung erhält der Bund dabei vom Wirtschaftsdachverband Economiesuisse sowie vom Schweizerischen Arbeitgeberverband. Stefan Heini (45), Sprecher des Arbeitgeberverbandes, betont, dass der arbeitsmarktorientierte Kern der Personenfreizügigkeit gewahrt bleibe und die Möglichkeit direkter Einwanderung in den Sozialstaat minimiert werde.
Heini verweist dabei auch auf die im Paket enthaltene Schutzklausel, die die Schweiz einseitig aktivieren könne. Bei der SVP wird er mit dem Argument aber kaum punkten: Sie glaubt weiterhin nicht daran, dass diese Schutzklausel tatsächlich funktionieren wird.