Ständemehr-Knatsch wird vertagt
Die Mitte gibt den EU-Verträgen wohl grünes Licht

Nach SVP und FDP wird auch die Mitte bald Stellung zu den EU-Verträgen nehmen. Sie wird sich dabei auf die Seite des Ja-Lagers schlagen. Innenpolitische fordert sie aber Nachbesserungen. Bei der umstrittenen Ständemehr-Frage dürfte die Partei vorerst kneifen.
Publiziert: 21:01 Uhr
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Die Mitte unter Parteichef Philipp Matthias Bregy dürfte sich hinter die EU-Verträge stellen.
Foto: keystone-sda.ch

Darum gehts

  • Die Mitte dürfte die EU-Verträge grundsätzlich unterstützen, will aber innenpolitische Verbesserungen vorschlagen
  • Das Parteipräsidium entscheidet am Donnerstag, die Kommunikation folgt nächste Woche
  • 72 Prozent der Mitte-Sympathisanten befürworten laut GFS-Umfrage die Bilateralen III

Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Ruedi StuderBundeshaus-Redaktor

Beim EU-Deal klären sich die Fronten. Die SVP lehnt den «Unterwerfungsvertrag» vehement ab, die FDP hingegen stellt sich überraschend deutlich hinter das Vertragspaket. Am Donnerstag will nun das Mitte-Präsidium um Parteichef Philipp Matthias Bregy (47) seinen Entscheid fällen, am Mittwoch nächster Woche wird kommuniziert. 

Blick hat sich in der Partei umgehört. Die Stossrichtung scheint klar: Die Mitte unterstützt die EU-Verträge grundsätzlich. Allerdings wird man bei der innenpolitischen Umsetzung den Finger auf wunde Punkte legen – etwa im Bereich der Schutzklausel oder beim Lohnschutz dürfte sie mit Verbesserungsvorschlägen aufwarten. Von der heiss umstrittenen Frage des Ständemehrs lässt die Partei vorerst die Finger. 

Mitte-Mehrheit für EU-Deal

Für die Mitte ist die Ausgangslage ähnlich wie für die FDP: Einer befürwortenden Mehrheit steht eine relativ starke ablehnende Minderheit gegenüber. Darauf lässt eine jüngere GFS-Umfrage schliessen: 72 Prozent der Mitte-Sympathisanten stellten sich dabei hinter die Bilateralen III, knapp ein Viertel dagegen. 

«Es stabilisiert und stärkt den bilateralen Weg»
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Cassis über EU-Paket:«Es stabilisiert und stärkt den bilateralen Weg»

Die FDP hat die Frage in einem schmerzhaften Selbstfindungsprozess geklärt und das Nein-Lager mit einem Delegiertenentscheid zurückgebunden. Bei der Mitte wählt man einen anderen Weg: Nachdem eine Arbeitsgruppe die Grundlagen geliefert hat, fällt das Präsidium den definitiven Entscheid zur Vernehmlassungsantwort. Dieses ist tendenziell EU-freundlich eingestellt. Das neue Paket sei auch deutlich besser als das 2021 gescheiterte Rahmenabkommen, hört man hinter den Kulissen. 

Schneider-Schneiter will Handlungsspielraum nutzen

Für Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (61, BL) wäre ein Ja zum EU-Deal ein logischer Entscheid. «Die Mitte hat den bilateralen Weg stets unterstützt», sagt sie zu Blick. «Mit dem neuen Paket führen wir diesen Weg fort und stellen unsere Beziehungen zur EU auf ein nachhaltiges Fundament.»

Das ist der EU-Deal

Der EU-Deal ist über 1000 Seiten lang und regelt zahlreiche Bereiche. Die zentralen Punkte

  • Der Deal sieht neue Spielregeln vor: bei der Personenfreizügigkeit, beim Land- und Luftverkehr, bei der Landwirtschaft, der gegenseitigen Anerkennung von Produktrichtlinien, beim Strom und bei der Lebensmittelsicherheit gilt neu eine «dynamische Rechtsübernahme». Die Schweiz übernimmt grundsätzlich EU-Recht, kann dies aber über das Volk oder das Parlament ablehnen – dann drohen aber Strafen.
  • EU-Bürger dürfen in die Schweiz ziehen und arbeiten. Es gibt aber nur eine Aufenthaltsgenehmigung, wenn die Person auch einen Job hat.
  • EU-Firmen dürfen künftig ihre Arbeiter in die Schweiz schicken, um dort Jobs zu erledigen, ebenso umgekehrt. Die Firmen müssen ihre Bürger voranmelden.
  • Die Schweiz bezahlt gerne und viele Subventionen. Die EU will unerwünschte Wettbewerbsverfälschungen verhindern. Grundsätzlich gilt ein Verbot – aber mit zahlreichen Ausnahmen.
  • Ausländische Bahnen wie Flixtrain dürfen auf Schweizer Schienen fahren.
  • Die Schweiz kann wieder bei EU-Programmen wie dem Studenten-Austauschprogramm Erasmus mitmachen.
  • Neue Verträge gibt es beim Strom, bei der Gesundheitsprävention und der Lebensmittelsicherheit.
Was, wenn es Streit gibt?

Wenn es einen Streit gibt, entscheidet zuerst ein sogenannter gemischter Ausschuss mit Vertretern der Schweiz und der EU. Ist man sich dort nicht einig, gibt es ein Schiedsgericht. Dieses muss den EU-Gerichtshof beiziehen. Das Schiedsgericht fällt das Urteil und kann verhältnismässige Ausgleichsmassnahmen verhängen. Willkürliche Strafen sind ausgeschlossen.

Was kostet der Deal?

Ab 2030 zahlt die Schweiz jährlich 350 Millionen Franken für Entwicklungsprojekte in EU-Ländern wie zum Beispiel Bulgarien, Estland oder Kroatien. Bis 2030 sind es 130 Millionen Franken pro Jahr.

Was ändert sich in der Schweiz?

Auch im Schweizer Recht ändert sich einiges. Wichtigster Punkt: die Schutzklausel. Die Schweiz kann damit die Zuwanderung vorübergehend einschränken. Wenn die Nettozuwanderung, die Arbeitslosigkeit oder der Sozialhilfebezug gewisse Schwellenwerte überschreiten, kann der Bundesrat die Auslösung der Schutzklausel prüfen. Danach kann er Schutzmassnahmen, wie beispielsweise Höchstzahlen bei der Zuwanderung erlassen. Missfällt das der EU, kann das Schiedsgericht Ausgleichsmassnahmen ergreifen.

Um die Schweizer Löhne zu sichern, gibt es ein dreistufiges Konzept. Es gelte das Prinzip «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort», sagte Staatssekretärin Helene Budliger Artieda. Der Lohnschutz werde nicht geschwächt.

Für das Stromabkommen muss der Strommarkt liberalisiert werden. Wer will, kann seinen Anbieter frei wählen oder aber in der Grundversorgung bleiben.

Der EU-Deal ist über 1000 Seiten lang und regelt zahlreiche Bereiche. Die zentralen Punkte

  • Der Deal sieht neue Spielregeln vor: bei der Personenfreizügigkeit, beim Land- und Luftverkehr, bei der Landwirtschaft, der gegenseitigen Anerkennung von Produktrichtlinien, beim Strom und bei der Lebensmittelsicherheit gilt neu eine «dynamische Rechtsübernahme». Die Schweiz übernimmt grundsätzlich EU-Recht, kann dies aber über das Volk oder das Parlament ablehnen – dann drohen aber Strafen.
  • EU-Bürger dürfen in die Schweiz ziehen und arbeiten. Es gibt aber nur eine Aufenthaltsgenehmigung, wenn die Person auch einen Job hat.
  • EU-Firmen dürfen künftig ihre Arbeiter in die Schweiz schicken, um dort Jobs zu erledigen, ebenso umgekehrt. Die Firmen müssen ihre Bürger voranmelden.
  • Die Schweiz bezahlt gerne und viele Subventionen. Die EU will unerwünschte Wettbewerbsverfälschungen verhindern. Grundsätzlich gilt ein Verbot – aber mit zahlreichen Ausnahmen.
  • Ausländische Bahnen wie Flixtrain dürfen auf Schweizer Schienen fahren.
  • Die Schweiz kann wieder bei EU-Programmen wie dem Studenten-Austauschprogramm Erasmus mitmachen.
  • Neue Verträge gibt es beim Strom, bei der Gesundheitsprävention und der Lebensmittelsicherheit.
Was, wenn es Streit gibt?

Wenn es einen Streit gibt, entscheidet zuerst ein sogenannter gemischter Ausschuss mit Vertretern der Schweiz und der EU. Ist man sich dort nicht einig, gibt es ein Schiedsgericht. Dieses muss den EU-Gerichtshof beiziehen. Das Schiedsgericht fällt das Urteil und kann verhältnismässige Ausgleichsmassnahmen verhängen. Willkürliche Strafen sind ausgeschlossen.

Was kostet der Deal?

Ab 2030 zahlt die Schweiz jährlich 350 Millionen Franken für Entwicklungsprojekte in EU-Ländern wie zum Beispiel Bulgarien, Estland oder Kroatien. Bis 2030 sind es 130 Millionen Franken pro Jahr.

Was ändert sich in der Schweiz?

Auch im Schweizer Recht ändert sich einiges. Wichtigster Punkt: die Schutzklausel. Die Schweiz kann damit die Zuwanderung vorübergehend einschränken. Wenn die Nettozuwanderung, die Arbeitslosigkeit oder der Sozialhilfebezug gewisse Schwellenwerte überschreiten, kann der Bundesrat die Auslösung der Schutzklausel prüfen. Danach kann er Schutzmassnahmen, wie beispielsweise Höchstzahlen bei der Zuwanderung erlassen. Missfällt das der EU, kann das Schiedsgericht Ausgleichsmassnahmen ergreifen.

Um die Schweizer Löhne zu sichern, gibt es ein dreistufiges Konzept. Es gelte das Prinzip «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort», sagte Staatssekretärin Helene Budliger Artieda. Der Lohnschutz werde nicht geschwächt.

Für das Stromabkommen muss der Strommarkt liberalisiert werden. Wer will, kann seinen Anbieter frei wählen oder aber in der Grundversorgung bleiben.

Nachverhandlungen mit der EU seien aber eine Illusion, deshalb müsse man sich in der Vernehmlassung auf die innenpolitische Umsetzung fokussieren, ist sie überzeugt. «Die Verträge bieten Handlungsspielraum, den man noch deutlicher ausnutzen kann, als es der Bundesrat bisher vorgeschlagen hat. Hier müssen wir ansetzen.»

Zudem müssten Parlament und Kantone früher in den Entscheidungsprozess eingebunden werden, wenn es um die künftige Gestaltung und Umsetzung von EU-Recht gehe. «Hier braucht es mehr Mitsprache», so Schneider-Schneiter. 

Hegglin sieht institutionelle Nachteile

Zu den Skeptikern hingegen zählt Ständerat Peter Hegglin (64, ZG). «Das Paket hat Vor- und Nachteile, nun gilt es, diese gegeneinander abzuwägen», sagt er. Für ihn fallen insbesondere die institutionellen Nachteile ins Gewicht. «Insgesamt gesehen würde ich das Paket derzeit eher ablehnen.» 

Er gehe davon aus, dass die Ablehnung an der Basis grösser ist, als Umfragen derzeit zeigen würden. Das Verhältnis schätze er auf 55 Prozent Ja zu 45 Prozent Nein. «In den ländlichen Kantonen tendiert unsere Basis zum Nein, in urbanen Gebieten zum Ja», mutmasst er. Trotzdem glaube er nicht, dass sich die Partei an der EU-Frage zerreibt. «In der Politik gibt es immer wieder Stürme, die man durchstehen muss – daran zerbrechen wir aber nicht», so Hegglin. 

Ständemehr-Frage ist umstritten

Ob sich die Mitte allenfalls bei der umstrittenen Ständemehr-Frage auf einen Kompromiss einlässt? Hegglin spricht sich klar für das Ständemehr aus, Schneider-Schneiter ebenso deutlich dagegen.

In der Vernehmlassung dürfte die Partei bei dieser Frage noch kneifen. Der Entscheid dürfte später in der Fraktion fallen, wobei der FDP-Entscheid auch in der Mitte den Weg für ein Nein zum Ständemehr ebnen könnte. 

Es gebe für die Partei keinen Zeitdruck, diese Frage bereits zu klären, meint Schneider-Schneiter. «Warten wir doch ab, wie die Kantone zu dieser Frage stehen. Das gibt uns vielleicht einen weiteren Fingerzeig.»

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