61 Prozent sagen Ja zu Deal
Trump treibt die Schweizer in die Arme der EU

Das EU-Schweiz-Paket findet breite Zustimmung: 61 Prozent befürworten die Bilateralen III. Auch die drei neuen Abkommen in den Bereichen Strom, Gesundheit und Lebensmittel stossen auf positives Echo, wie eine neue Umfrage zeigt. Die wichtigsten Resultate.
Publiziert: 03:29 Uhr
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Aktualisiert: vor 32 Minuten
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Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter (rechts) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen – hier am WEF in Davos – dürfen auf ein Ja zum EU-Deal hoffen.
Foto: AFP

Darum gehts

  • Schweizer Bevölkerung unterstützt EU-Deal – auch wegen Unsicherheiten mit den USA
  • Bilaterale III und neue Abkommen finden klare Mehrheit bei Schweizerinnen und Schweizern
  • 61 Prozent stimmen EU-Paket zu, 69 Prozent befürworten Stromabkommen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Ruedi StuderBundeshaus-Redaktor

Im Ringen mit den USA um tiefere Strafzölle hängt die Schweiz in den Seilen. 39 Prozent hat US-Präsident Donald Trump (79) aufs Auge gedrückt, darunter ächzt die Exportwirtschaft. Das wirtschaftspolitische Kräftemessen mit den unberechenbaren Amerikanern wirkt sich nun an einer ganz anderen Front aus: Trumps Zollhammer gibt dem EU-Deal Schwung!

In einem Meer der US-Unwägbarkeiten werden stabile EU-Beziehungen zum sicheren Hafen. Das zeigt sich in einer neuen repräsentativen Umfrage des Forschungsinstituts GFS Bern im Auftrag von Interpharma bei rund 1000 Stimmberechtigten. «Die Entwicklungen rund um die USA verstärkt offenbar die wohlwollende Beurteilung der bisherigen bilateralen Verträge», sagt Studienautor Urs Bieri (52) zu Blick.

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So sehen 64 Prozent im bilateralen Weg ausschliesslich oder eher Vorteile, nur 21 Prozent sehen hauptsächlich Nachteile. Insbesondere bei der FDP-Basis hat die positive Sichtweise stark zugenommen – auf satte 76 Prozent. Dabei schlägt sich der 39-Prozent-Hammer gar nicht vollends in der Umfrage nieder, da diese im Juli/August hauptsächlich noch vor Bekanntwerden des Zollschocks durchgeführt wurde.

Der Aufwärtstrend bei den Bilateralen wirkt sich auch auf die Haltung zum EU-Deal aus. So findet das EU-Schweiz-Paket mit der Weiterentwicklung der heutigen Verträge (Bilaterale III) derzeit ebenso eine klare Mehrheit wie die drei neu geplanten Abkommen. Die erste Abstimmung über den EU-Deal dürfte frühestens 2027 stattfinden. 

61 Prozent für EU-Paket

Dem Paket der Bilateralen III stimmen derzeit 61 Prozent bestimmt oder eher zu. Nur 30 Prozent stellen sich dagegen, der Rest ist unentschlossen. Besonders hoch ist der Ja-Anteil bei SP (89 Prozent), GLP (84 Prozent) und Grünen (82 Prozent). Auch bei FDP und Mitte haben die Befürworter die Nase mit 72 Prozent deutlich vorn. Einzig die SVP-Basis lehnt den Deal ab – mit 68 Prozent Nein, bei 17 Prozent Zustimmung. 

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Ausschlaggebend für ein Ja sind insbesondere wirtschaftliche Argumente wie der Zugang zum EU-Markt und die stärkere Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz. Eine deutliche Mehrheit wünscht sich eine gesicherte und stabile Kooperation mit der EU. Auch innenpolitische Massnahmen für einen verbesserten Lohnschutz oder die Zuwanderungs-Schutzklausel geben dem EU-Deal Rückhalt. So kommt die Schutzklausel sogar bei 60 Prozent der SVPler gut an. 

Das ist der EU-Deal

Der EU-Deal ist über 1000 Seiten lang und regelt zahlreiche Bereiche. Die zentralen Punkte

  • Der Deal sieht neue Spielregeln vor: bei der Personenfreizügigkeit, beim Land- und Luftverkehr, bei der Landwirtschaft, der gegenseitigen Anerkennung von Produktrichtlinien, beim Strom und bei der Lebensmittelsicherheit gilt neu eine «dynamische Rechtsübernahme». Die Schweiz übernimmt grundsätzlich EU-Recht, kann dies aber über das Volk oder das Parlament ablehnen – dann drohen aber Strafen.
  • EU-Bürger dürfen in die Schweiz ziehen und arbeiten. Es gibt aber nur eine Aufenthaltsgenehmigung, wenn die Person auch einen Job hat.
  • EU-Firmen dürfen künftig ihre Arbeiter in die Schweiz schicken, um dort Jobs zu erledigen, ebenso umgekehrt. Die Firmen müssen ihre Bürger voranmelden.
  • Die Schweiz bezahlt gerne und viele Subventionen. Die EU will unerwünschte Wettbewerbsverfälschungen verhindern. Grundsätzlich gilt ein Verbot – aber mit zahlreichen Ausnahmen.
  • Ausländische Bahnen wie Flixtrain dürfen auf Schweizer Schienen fahren.
  • Die Schweiz kann wieder bei EU-Programmen wie dem Studenten-Austauschprogramm Erasmus mitmachen.
  • Neue Verträge gibt es beim Strom, bei der Gesundheitsprävention und der Lebensmittelsicherheit.
Was, wenn es Streit gibt?

Wenn es einen Streit gibt, entscheidet zuerst ein sogenannter gemischter Ausschuss mit Vertretern der Schweiz und der EU. Ist man sich dort nicht einig, gibt es ein Schiedsgericht. Dieses muss den EU-Gerichtshof beiziehen. Das Schiedsgericht fällt das Urteil und kann verhältnismässige Ausgleichsmassnahmen verhängen. Willkürliche Strafen sind ausgeschlossen.

Was kostet der Deal?

Ab 2030 zahlt die Schweiz jährlich 350 Millionen Franken für Entwicklungsprojekte in EU-Ländern wie zum Beispiel Bulgarien, Estland oder Kroatien. Bis 2030 sind es 130 Millionen Franken pro Jahr.

Was ändert sich in der Schweiz?

Auch im Schweizer Recht ändert sich einiges. Wichtigster Punkt: die Schutzklausel. Die Schweiz kann damit die Zuwanderung vorübergehend einschränken. Wenn die Nettozuwanderung, die Arbeitslosigkeit oder der Sozialhilfebezug gewisse Schwellenwerte überschreiten, kann der Bundesrat die Auslösung der Schutzklausel prüfen. Danach kann er Schutzmassnahmen, wie beispielsweise Höchstzahlen bei der Zuwanderung erlassen. Missfällt das der EU, kann das Schiedsgericht Ausgleichsmassnahmen ergreifen.

Um die Schweizer Löhne zu sichern, gibt es ein dreistufiges Konzept. Es gelte das Prinzip «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort», sagte Staatssekretärin Helene Budliger Artieda. Der Lohnschutz werde nicht geschwächt.

Für das Stromabkommen muss der Strommarkt liberalisiert werden. Wer will, kann seinen Anbieter frei wählen oder aber in der Grundversorgung bleiben.

Der EU-Deal ist über 1000 Seiten lang und regelt zahlreiche Bereiche. Die zentralen Punkte

  • Der Deal sieht neue Spielregeln vor: bei der Personenfreizügigkeit, beim Land- und Luftverkehr, bei der Landwirtschaft, der gegenseitigen Anerkennung von Produktrichtlinien, beim Strom und bei der Lebensmittelsicherheit gilt neu eine «dynamische Rechtsübernahme». Die Schweiz übernimmt grundsätzlich EU-Recht, kann dies aber über das Volk oder das Parlament ablehnen – dann drohen aber Strafen.
  • EU-Bürger dürfen in die Schweiz ziehen und arbeiten. Es gibt aber nur eine Aufenthaltsgenehmigung, wenn die Person auch einen Job hat.
  • EU-Firmen dürfen künftig ihre Arbeiter in die Schweiz schicken, um dort Jobs zu erledigen, ebenso umgekehrt. Die Firmen müssen ihre Bürger voranmelden.
  • Die Schweiz bezahlt gerne und viele Subventionen. Die EU will unerwünschte Wettbewerbsverfälschungen verhindern. Grundsätzlich gilt ein Verbot – aber mit zahlreichen Ausnahmen.
  • Ausländische Bahnen wie Flixtrain dürfen auf Schweizer Schienen fahren.
  • Die Schweiz kann wieder bei EU-Programmen wie dem Studenten-Austauschprogramm Erasmus mitmachen.
  • Neue Verträge gibt es beim Strom, bei der Gesundheitsprävention und der Lebensmittelsicherheit.
Was, wenn es Streit gibt?

Wenn es einen Streit gibt, entscheidet zuerst ein sogenannter gemischter Ausschuss mit Vertretern der Schweiz und der EU. Ist man sich dort nicht einig, gibt es ein Schiedsgericht. Dieses muss den EU-Gerichtshof beiziehen. Das Schiedsgericht fällt das Urteil und kann verhältnismässige Ausgleichsmassnahmen verhängen. Willkürliche Strafen sind ausgeschlossen.

Was kostet der Deal?

Ab 2030 zahlt die Schweiz jährlich 350 Millionen Franken für Entwicklungsprojekte in EU-Ländern wie zum Beispiel Bulgarien, Estland oder Kroatien. Bis 2030 sind es 130 Millionen Franken pro Jahr.

Was ändert sich in der Schweiz?

Auch im Schweizer Recht ändert sich einiges. Wichtigster Punkt: die Schutzklausel. Die Schweiz kann damit die Zuwanderung vorübergehend einschränken. Wenn die Nettozuwanderung, die Arbeitslosigkeit oder der Sozialhilfebezug gewisse Schwellenwerte überschreiten, kann der Bundesrat die Auslösung der Schutzklausel prüfen. Danach kann er Schutzmassnahmen, wie beispielsweise Höchstzahlen bei der Zuwanderung erlassen. Missfällt das der EU, kann das Schiedsgericht Ausgleichsmassnahmen ergreifen.

Um die Schweizer Löhne zu sichern, gibt es ein dreistufiges Konzept. Es gelte das Prinzip «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort», sagte Staatssekretärin Helene Budliger Artieda. Der Lohnschutz werde nicht geschwächt.

Für das Stromabkommen muss der Strommarkt liberalisiert werden. Wer will, kann seinen Anbieter frei wählen oder aber in der Grundversorgung bleiben.

Die Kritiker hingegen fürchten eine verstärkte Migration und Souveränitätsverlust. «Besonders im rechtskonservativen Lager befürchtet man einen Abbau der direkten Demokratie», so Bieri. Auch die teilweise Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie sorgt für Sorgenfalten. Die grösste Skepsis zeigen die Befragten gegenüber dem Solidaritätsbeitrag von jährlich 350 Millionen Franken. «Das sind Themen, die im Abstimmungskampf wieder stärker in den Vordergrund rücken dürften», sagt Bieri.

Neue Abkommen kommen gut an

Überraschend hoch ist die Zustimmung mit 69 Prozent beim Stromabkommen. Obwohl hier vonseiten der Gewerkschaften ein Referendum droht, lehnt nur ein Viertel der Befragten das Abkommen derzeit ab. Kernstücke des Stromabkommens sind eine bessere Versorgungssicherheit und Netzstabilität. Und vor allem: ein liberalisierter Strommarkt für alle. Bieri geht davon aus, dass die Kritik am Stromabkommen mit zunehmender Debatte aber noch zunehmend dürfte.

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Das neue Gesundheitsabkommen stösst mit 68 Prozent ebenfalls auf hohe Zustimmung. Nur jeder Fünfte lehnt dieses ab. Im Fokus des Abkommens steht ein verbesserter Schutz vor Gesundheitsgefahren. Die Schweiz erhält Zugang zu EU-Frühwarn- und Präventionssystemen.

«Gewonnen ist noch nichts»

«Die Schweizerinnen und Schweizer verstehen, dass unser wirtschaftlicher Wohlstand stark von geregelten Beziehungen zu unserer wichtigsten Handelspartnerin abhängt», nimmt Interpharma-Direktor René Buholzer (56) das Umfrageresultat zur Kenntnis. «Angesichts der Unberechenbarkeit der US-Administration wollen die Leute wenigstens die Beziehungen mit der EU regeln.»

Für seine Branche sei das Stabilisierungspaket zentral. «Einerseits lassen sich Handelshemmnisse verhindern, andererseits sind wir darauf angewiesen, gut ausgebildete Fachkräfte rekrutieren zu können.»

Allerdings mag er nicht darauf vertrauen, dass die Trumpzölle dem EU-Deal den Weg bis ins Ziel ebnen. «In zwei Jahren kann die Welt wieder eine ganze andere sein, gewonnen ist noch nichts», so Buholzer. «Wir müssen die Zeit aber nutzen, der Bevölkerung die Vorteile des EU-Deals für Land und Leute aufzuzeigen.»

Für seine Branche sei das Stabilisierungspaket zentral, sagt Interpharma-Direktor René Buholzer.
keystone-sda.ch

«Die Schweizerinnen und Schweizer verstehen, dass unser wirtschaftlicher Wohlstand stark von geregelten Beziehungen zu unserer wichtigsten Handelspartnerin abhängt», nimmt Interpharma-Direktor René Buholzer (56) das Umfrageresultat zur Kenntnis. «Angesichts der Unberechenbarkeit der US-Administration wollen die Leute wenigstens die Beziehungen mit der EU regeln.»

Für seine Branche sei das Stabilisierungspaket zentral. «Einerseits lassen sich Handelshemmnisse verhindern, andererseits sind wir darauf angewiesen, gut ausgebildete Fachkräfte rekrutieren zu können.»

Allerdings mag er nicht darauf vertrauen, dass die Trumpzölle dem EU-Deal den Weg bis ins Ziel ebnen. «In zwei Jahren kann die Welt wieder eine ganze andere sein, gewonnen ist noch nichts», so Buholzer. «Wir müssen die Zeit aber nutzen, der Bevölkerung die Vorteile des EU-Deals für Land und Leute aufzuzeigen.»

Am schlechtesten kommt das Lebensmittelabkommen weg. Allerdings findet sich immer noch eine Mehrheit von 54 Prozent Zustimmung gegenüber 39 Prozent Ablehnung. Besonders stark ist der Widerstand in den Reihen der SVP-Sympathisanten. Im Kern geht es um die Schaffung eines gemeinsamen Lebensmittelsicherheitsraums.

Die Schweiz wäre künftig dem Schnellwarnsystem der EU angeschlossen, das etwa über falsch deklarierte Produkte oder gefährliche Substanzen in Lebensmitteln informiert. Am heutigen Grenzschutz für Agrarprodukte hingegen ändert sich nichts.

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