Darum gehts
- Migrationsminister Beat Jans plant verschärfte Schutzklausel bei EU-Zuwanderung
- SVP-Bundesräte zweifeln an der Wirksamkeit des Konzepts
- Selbst Juristen sind skeptisch
Migrationsminister Beat Jans (61) markiert beim EU-Deal Härte: Wenn die Zuwanderung aus der EU der Schweiz wirtschaftlich oder sozial schwerwiegend zu schaffen macht, soll der Bundesrat künftig mit einer verschärften Schutzklausel eingreifen können.
Bloss, nicht alle Bundesräte stehen hinter dem innenpolitischen Umsetzungskonzept. Die beiden SVP-Magistraten Guy Parmelin (65) und Albert Rösti (58) hegen grundsätzliche Zweifel an dessen Wirksamkeit. Das zeigen interne Dokumente zur Ämterkonsultation, die Blick gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz vorliegen.
Bundesamt für Justiz liefert Munition
Ihre Hauptkritik: Eine nationale Schutzklausel bringe nichts, weil das Bundesgericht das EU-Freizügigkeitsabkommen sowieso höher gewichten würde als ein Bundesgesetz oder eine bundesrätliche Verordnung. Entsprechende Schutzmassnahmen würden damit über den Haufen geworfen.
«Aus rechtlicher Sicht ist es nicht möglich, eine innerstaatliche Lösung vorzusehen, die im Widerspruch zum Völkerrecht steht», schiesst Parmelins Generalsekretariat gegen das Konzept. Es verweist dabei auf die bundesgerichtliche Praxis der vergangenen Jahre. Ebenso auf das Bundesamt für Justiz in Jans’ Departement, welches weitere Munition liefert. Dieses hinterfragt nämlich kritisch, ob eine Schutzmassnahme, die über eine bundesrätliche Verordnung eingeführt wurde, vor Gericht gegenüber dem Freizügigkeitsabkommen Bestand haben würde.
Parmelin will Schubert-Praxis in der Verfassung
Um eine nationale Schutzklausel effektiv abzusichern, «müsste in der Verfassung eine Schubert-Klausel eingeführt werden, die keinen Raum für Diskussionen lässt», betont das Wirtschaftsdepartement (WBF).
Die sogenannte Schubert-Praxis besagt, dass Bundesgesetze dem Völkerrecht vorgehen, wenn das Parlament bewusst ein völkerrechtswidriges Gesetz erlässt. Das WBF-Generalsekretariat formuliert sogar konkrete Vorschläge für eine entsprechende Verfassungsänderung.
Das Jans-Konzept stehe «auf tönernen Füssen» und basiere «auf der vagen Hoffnung, dass das Bundesgericht seine Spruchpraxis ändert und künftig die Schubert-Praxis im Zusammenhang mit der Personenfreizügigkeit anwenden wird», moniert auch Rösti.
Jans kontert die Kritik
Jans' Justizdepartement hingegen wischt die Bedenken vom Tisch. Das Freizügigkeitsabkommen sehe neu selber einen Mechanismus für den Fall vor, dass eine Vertragspartei vom Abkommen abweiche, kontert es die Kritik. Dieser Mechanismus greife auch, falls die Schweiz trotz negativem Entscheid des Schiedsgerichts Schutzmassnahmen ergreife.
Der EU-Deal ist über 1000 Seiten lang und regelt zahlreiche Bereiche. Die zentralen Punkte
- Der Deal sieht neue Spielregeln vor: bei der Personenfreizügigkeit, beim Land- und Luftverkehr, bei der Landwirtschaft, der gegenseitigen Anerkennung von Produktrichtlinien, beim Strom und bei der Lebensmittelsicherheit gilt neu eine «dynamische Rechtsübernahme». Die Schweiz übernimmt grundsätzlich EU-Recht, kann dies aber über das Volk oder das Parlament ablehnen – dann drohen aber Strafen.
- EU-Bürger dürfen in die Schweiz ziehen und arbeiten. Es gibt aber nur eine Aufenthaltsgenehmigung, wenn die Person auch einen Job hat.
- EU-Firmen dürfen künftig ihre Arbeiter in die Schweiz schicken, um dort Jobs zu erledigen, ebenso umgekehrt. Die Firmen müssen ihre Bürger voranmelden.
- Die Schweiz bezahlt gerne und viele Subventionen. Die EU will unerwünschte Wettbewerbsverfälschungen verhindern. Grundsätzlich gilt ein Verbot – aber mit zahlreichen Ausnahmen.
- Ausländische Bahnen wie Flixtrain dürfen auf Schweizer Schienen fahren.
- Die Schweiz kann wieder bei EU-Programmen wie dem Studenten-Austauschprogramm Erasmus mitmachen.
- Neue Verträge gibt es beim Strom, bei der Gesundheitsprävention und der Lebensmittelsicherheit.
Wenn es einen Streit gibt, entscheidet zuerst ein sogenannter gemischter Ausschuss mit Vertretern der Schweiz und der EU. Ist man sich dort nicht einig, gibt es ein Schiedsgericht. Dieses muss den EU-Gerichtshof beiziehen. Das Schiedsgericht fällt das Urteil und kann verhältnismässige Ausgleichsmassnahmen verhängen. Willkürliche Strafen sind ausgeschlossen.
Was kostet der Deal?Ab 2030 zahlt die Schweiz jährlich 350 Millionen Franken für Entwicklungsprojekte in EU-Ländern wie zum Beispiel Bulgarien, Estland oder Kroatien. Bis 2030 sind es 130 Millionen Franken pro Jahr.
Was ändert sich in der Schweiz?Auch im Schweizer Recht ändert sich einiges. Wichtigster Punkt: die Schutzklausel. Die Schweiz kann damit die Zuwanderung vorübergehend einschränken. Wenn die Nettozuwanderung, die Arbeitslosigkeit oder der Sozialhilfebezug gewisse Schwellenwerte überschreiten, kann der Bundesrat die Auslösung der Schutzklausel prüfen. Danach kann er Schutzmassnahmen, wie beispielsweise Höchstzahlen bei der Zuwanderung erlassen. Missfällt das der EU, kann das Schiedsgericht Ausgleichsmassnahmen ergreifen.
Um die Schweizer Löhne zu sichern, gibt es ein dreistufiges Konzept. Es gelte das Prinzip «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort», sagte Staatssekretärin Helene Budliger Artieda. Der Lohnschutz werde nicht geschwächt.
Für das Stromabkommen muss der Strommarkt liberalisiert werden. Wer will, kann seinen Anbieter frei wählen oder aber in der Grundversorgung bleiben.
Der EU-Deal ist über 1000 Seiten lang und regelt zahlreiche Bereiche. Die zentralen Punkte
- Der Deal sieht neue Spielregeln vor: bei der Personenfreizügigkeit, beim Land- und Luftverkehr, bei der Landwirtschaft, der gegenseitigen Anerkennung von Produktrichtlinien, beim Strom und bei der Lebensmittelsicherheit gilt neu eine «dynamische Rechtsübernahme». Die Schweiz übernimmt grundsätzlich EU-Recht, kann dies aber über das Volk oder das Parlament ablehnen – dann drohen aber Strafen.
- EU-Bürger dürfen in die Schweiz ziehen und arbeiten. Es gibt aber nur eine Aufenthaltsgenehmigung, wenn die Person auch einen Job hat.
- EU-Firmen dürfen künftig ihre Arbeiter in die Schweiz schicken, um dort Jobs zu erledigen, ebenso umgekehrt. Die Firmen müssen ihre Bürger voranmelden.
- Die Schweiz bezahlt gerne und viele Subventionen. Die EU will unerwünschte Wettbewerbsverfälschungen verhindern. Grundsätzlich gilt ein Verbot – aber mit zahlreichen Ausnahmen.
- Ausländische Bahnen wie Flixtrain dürfen auf Schweizer Schienen fahren.
- Die Schweiz kann wieder bei EU-Programmen wie dem Studenten-Austauschprogramm Erasmus mitmachen.
- Neue Verträge gibt es beim Strom, bei der Gesundheitsprävention und der Lebensmittelsicherheit.
Wenn es einen Streit gibt, entscheidet zuerst ein sogenannter gemischter Ausschuss mit Vertretern der Schweiz und der EU. Ist man sich dort nicht einig, gibt es ein Schiedsgericht. Dieses muss den EU-Gerichtshof beiziehen. Das Schiedsgericht fällt das Urteil und kann verhältnismässige Ausgleichsmassnahmen verhängen. Willkürliche Strafen sind ausgeschlossen.
Was kostet der Deal?Ab 2030 zahlt die Schweiz jährlich 350 Millionen Franken für Entwicklungsprojekte in EU-Ländern wie zum Beispiel Bulgarien, Estland oder Kroatien. Bis 2030 sind es 130 Millionen Franken pro Jahr.
Was ändert sich in der Schweiz?Auch im Schweizer Recht ändert sich einiges. Wichtigster Punkt: die Schutzklausel. Die Schweiz kann damit die Zuwanderung vorübergehend einschränken. Wenn die Nettozuwanderung, die Arbeitslosigkeit oder der Sozialhilfebezug gewisse Schwellenwerte überschreiten, kann der Bundesrat die Auslösung der Schutzklausel prüfen. Danach kann er Schutzmassnahmen, wie beispielsweise Höchstzahlen bei der Zuwanderung erlassen. Missfällt das der EU, kann das Schiedsgericht Ausgleichsmassnahmen ergreifen.
Um die Schweizer Löhne zu sichern, gibt es ein dreistufiges Konzept. Es gelte das Prinzip «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort», sagte Staatssekretärin Helene Budliger Artieda. Der Lohnschutz werde nicht geschwächt.
Für das Stromabkommen muss der Strommarkt liberalisiert werden. Wer will, kann seinen Anbieter frei wählen oder aber in der Grundversorgung bleiben.
«Die Schweiz handelt vertragskonform, wenn sie den entsprechenden Mechanismus nutzt», so das Justizdepartement. «Daher kann die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Verhältnis Völkerrecht und Landesrecht nicht auf die neue Ausgangslage mit Schiedsgericht und Ausgleichsmassnahmen übertragen werden.»
SVP-Chef sieht sich bestätigt
Der Schutzklausel-Knatsch ist Wasser auf die Mühlen der SVP. Parteichef Marcel Dettling (44) sieht sich in seinem Widerstand gegen den «EU-Unterwerfungsvertrag» bestätigt.
«Die heute geltende Schutzklausel wurde nie aktiviert. Schlimmer noch: Die neue Schutzklausel wäre nicht einmal im Jahr 2023 mit einer Nettozuwanderung von rund 100’000 Personen zur Anwendung gekommen», so der Schwyzer.
Da bleibe auch die neue Klausel blosse Augenwischerei. «Der Schutzklausel-Bschiss ist eine reine Beruhigungspille für die Bevölkerung.»