Darum gehts
- Alex Zülle erinnert sich an seinen legendären Tour-de-France-Etappensieg vor 30 Jahren
- Zülles 100-Kilometer-Flucht endete mit Sieg auf La Plagne trotz Erschöpfung
- Zülle verbesserte sich auf Platz 2 und nahm Indurain über zwei Minuten ab
La Plagne, die Terrasse in Savoyen auf 2010 Metern über Meer. Hier müssen die Fahrer der Tour de France hoch. Ein Anstieg, 19,1 Kilometer lang und im Durchschnitt 7,2 Prozent steil. Spektakel ist garantiert. Einer, der genau weiss, wie sich das anfühlt, ist Alex Zülle.
Der heute 57-jährige St. Galler lieferte vor 30 Jahren am gleichen Berg eine Show ab, wie man sie noch nie gesehen hatte. «Dieser Etappensieg ist unter den Top 3 meiner Karriere», sagt er heute. Angesichts seiner 65 Profi-Siege, darunter zwei Vuelta-Triumphe (1996 und 1997) sowie WM-Gold im Zeitfahren (1996) und dem Tour-de-Suisse-Gewinn 2002 will das etwas heissen.
Doch was passierte an jenem 11. Juli 1995 – der Festina-Doping-Skandal folgte erst drei Jahre später – genau? Zülle lag sportlich am Boden. Er hatte zum Ziel gehabt, die vierjährige Regentschaft des Spaniers Miguel Indurain bei der Tour zu beenden. Doch zwei Tage vor La Plagne kassierte Zülle ausgerechnet im Zeitfahren eine heftige Klatsche. Er verlor fast vier Minuten und damit auch die Tour. Oder doch nicht?
Der verrückte ONCE-Plan
Sein Team ONCE heckte nach einem Zusammenschiss des Sponsors einen Plan für die Mehrpässe-Fahrt aus. «Es war eigentlich ein Harakiri-Manöver», so Zülle. Er riss früh aus, fuhr zuerst mit zwei Konkurrenten und bald alleine. Zwischendurch war er sogar virtueller Tour-Leader.
«Am Fuss der Schlusssteigung rief mein sportlicher Leiter Manolo Saiz ins Mikrofon: ‹nur noch diesen Berg, Alex!› Ich mochte es, wenn er mich anschrie – das motivierte mich. Ich fuhr auch mit Wut im Bauch. Das Problem war, dass ich eigentlich schon kaputt war», erinnert er sich schmunzelnd.
«Sonst spule ich einfach zurück»
Zülles Vorsprung schmolz in der Schlusssteigung, letztlich krönte er seine 100-Kilometer-Flucht aber und nahm Indurain über zwei Minuten ab. Auf der Ziellinie bekreuzigte sich Zülle. «Das habe ich häufig gemacht. Nicht, weil ich besonders gläubig bin. Mehr aus Dank. Sogar Eddy Merckx kam danach und gratulierte mir, was mich besonders freute», wie er erklärt. Zülle verbesserte sich in der Gesamtwertung auf Platz 2 – es war letztlich auch sein Schlussrang in Paris.
Und heute? Längst arbeitet Zülle als Fitnesstrainer in Uzwil SG, sein Herz schlägt aber nach wie vor für den Radsport. «Und wenn ich Zeit habe, werde ich mir die Etappe nach La Plagne live im TV anschauen. Oder am Abend zurückspulen.»