Darum gehts
Schon bevor Israel am 13. Juni Luftangriffe auf den Iran startete, war die Stimmung im Land angespannt. Die Regierung unter Ayatollah Ali Chamenei (86) ist unbeliebt. Aus Israel kommen Stimmen, die einen Regimewechsel fordern. Verteidigungsminister Israel Katz (69) sagte am Donnerstag, Chamenei könne «nicht weiter existieren».
US-Präsident Donald Trump (79) sprach ebenfalls über einen Führungswechsel. «Es ist nicht politisch korrekt, den Begriff ‹Regimewechsel› zu verwenden», schrieb Trump am Sonntag auf Truth Social. «Aber wenn die derzeitige iranische Führung nicht in der Lage ist, den Iran wieder grossartig zu machen, warum sollte es dann nicht einen Regimewechsel geben?»
Doch wie wahrscheinlich ist ein Umsturz?
Die Iraner sind unzufrieden
Der Iran leidet unter wirtschaftlicher Stagnation, hoher Inflation, Jugendarbeitslosigkeit und Sanktionen. Das Regime kontrolliert die Gesellschaft streng, insbesondere durch Revolutionsgarden und Basidschi-Milizen, die Proteste brutal niederschlagen.
Zwangsverschleierung und Einschränkungen der Freiheiten lösten 2022 die Protestbewegung «Frau, Leben, Freiheit» aus. Jüngere Iraner fordern Zugang zu globaler Kultur und wirtschaftlichen Perspektiven. Gemäss Schätzungen lehnen bis zu 80 Prozent der Iraner den Polizeistaat ab, besonders in Städten wie Teheran und Isfahan.
Der Widerstand ist jedoch zersplittert, umfasst Frauenbewegungen, Arbeiterstreiks, Studentenproteste und ethnische Minderheiten. Diese Gruppen haben unterschiedliche Ziele, was eine Koordination erschwert.
Dem Widerstand fehlt ein Gesicht
Auch fehlt eine charismatische Führung. Reformpolitiker wie Hassan Rohani (76) oder Mir-Hossein Mousavi (83) sind marginalisiert oder unter Hausarrest.
Exilführer Reza Pahlavi (64), Sohn des 1979 gestürzten Schahs, gilt derzeit als einziger, der über einen ausreichend hohen Bekanntheitsgrad verfügt, ist jedoch wegen seines einst autokratisch herrschenden Vaters umstritten. Am Montag rief er in Paris zum Umsturz auf, betonte aber, keine politische Rolle anzustreben.
Zwar erhält das Regime noch Unterstützung von Russland, wie Wladimir Putin (72) am Montag bekräftigte. Der russische Präsident sagte indes nicht, worin die Unterstützung bestehen könnte.
Gefährliche Rache
Klar ist: Chamenei steht nach der Bombardierung seiner Atomanlagen vor der grössten Krise seit seiner Amtsübernahme 1989. Seine Reaktion auf die USA muss bedacht sein, da Trump Gegenschläge mit «weitaus grösserer Gewalt» angedroht hat. Geht Chamenei zu weit, könnte dies sein eigenes Todesurteil sein. Am Montagabend griff der Iran mit Raketen US-Militärstützpunkte in Katar und im Irak an. Die Operation laute «Verheissung des Sieges», so die staatliche Nachrichtenagentur.
Gefährdet ist der 86-Jährige auch durch einen möglichen israelischen Anschlag – und seine eigene Gesundheit. Es gibt Gerüchte über eine Krebserkrankung. Ein Nachfolger fehlt, was ein Machtvakuum auslösen könnte. 1989 zeigte das Regime jedoch, dass es heikle Übergänge managen kann.
Es soll zwar Geheimgespräche über einen Iran ohne Chamenei geben. Dennoch bleibt ein Kollaps unwahrscheinlich, da die Sicherheitskräfte loyal sind. Die Revolutionsgarden, auch wirtschaftlich einflussreich, könnten etwa Modschtaba Chamenei (55) installieren, Sohn des Ajatollahs.
Geschwächt, aber stark genug
Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi (78) sagt im Interview mit dem Sonntagsblick: «Die Führung ist zwar geschwächt, aber sie ist immer noch stark genug, um die Menschen zu unterdrücken.»
Kurzfristig könnte die Bedrohungslage die Bevölkerung gar hinter das Regime bringen. «Fakt ist, dass das Volk sich derzeit mehr vor den israelischen Raketen fürchtet, als an Aufstand zu denken», sagte ein iranischer Journalist in Teheran im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
Am Montag deutete Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu (75) ein Ende der Angriffe an. Israelische Medien wie etwa Channel 12 sprachen von «Tagen». Man werde aber «nicht zu früh aufhören», so Netanyahu.
«Es gibt keine Zeichen, dass das Regime direkt vor dem Kollaps steht», sagt der iranisch-amerikanischer Politikanalyst Karim Sadjadpour von der Carnegie-Denkfabrik im Interview mit CNBC.