Darum gehts
Die königliche Saison
Armon Orlik (30) heisst der neue Schwingerkönig. Der Holzbauingenieur holt nicht nur den Titel nach 18 Jahren wieder in den Nordostschweizer Verband, sondern ist auch der erste Bündner, der ihn gewinnt. Und das neun Jahre, nachdem er schon einmal ganz nah an der Krone dran war. Im Schlussgang von Estavayer FR liess er sich von Matthias Glarner (39) übertölpeln. Nun krönt er seine Karriere in einer Saison, in welcher er schon einen anderen Meilenstein erreichte. Er schloss mit dem Gewinn des Kranzes am Nordwestschweizer Schwingfest die letzte Lücke in seinem Kranz-Palmarès und hat nun von sämtlichen Berg- und Teilverbandsfesten Eichenlaub zu Hause.
Daneben feierte Orlik zwei Kranzfestsiege (Glarner-Bündner und Zürcher Kantonales) und stand am Nordostschweizer im Schlussgang (gestellt gegen Werner Schlegel). Insgesamt hat er acht Kränze geholt. Wie steht er im Vergleich zu seinen Vorgängern da? Ein Blick zurück bis zum letzten Nordostschweizer König zeigt etwa, dass Orlik die tiefste Punktzahl zum Titel gereicht hat. Mit drei Festsiegen liegt er im hinteren Mittelfeld, unerreichbar ist Jörg Abderhalden (46), der in der Saison seines dritten Königstitels insgesamt sieben Festsiege feierte. Gar kein anderes Fest ausser das ESAF gewann hingegen Christian Stucki. Der Grund: In jener Saison schleppte er sich mit einer Knieverletzung rum.
Der einzige Königs-Bezwinger
Inklusive Eidgenössisches hat Armon Orlik in dieser Saison zehn Feste bestritten. Das sind total 62 Gänge. Seine Bilanz: 47 Siege, 14 Gestellte und nur gerade eine Niederlage. Wer hat ihm diese zugefügt? Es ist Verbandskollege Damian Ott (25). Im ersten Gang des Glarner-Bündner am 9. Juni griffen die beiden zusammen. Mit einer Kombination aus Hüfter und Lätz legte Ott den Bündner im ersten Angriff platt auf den Rücken. Die Revanche folgte im Schlussgang, den Orlik für sich entschied. Nichtsdestotrotz ist Ott damit der Einzige, der in diesem Jahr den König bezwingen konnte. Am ESAF hatte Ott mit den vordersten Rängen dann nichts zu tun, er wurde Siebter. Für Aufsehen sorgte er nicht mit dem Kranzgewinn, sondern mit einer unnötigen Aktion. Der Gestellte im sechsten Gang gegen Bernhard Kämpf (37) ärgerte ihn dermassen, dass er seinen Frust an der TV-Kamera ausliess. Er attackierte sie beim Verlassen des Sägemehlrings.
Die unfairste Aktion
Am ESAF gehörte Domenic Schneider (31) einmal mehr zu den Publikumslieblingen. So war es auch an seinem Heimfest, dem Thurgauer Kantonalen. Auf dem Weg in den Schlussgang bodigte der Landwirt unter anderem Jeremy Vollenweider (27). Doch der Sieg hat einen faden Beigeschmack. Auf den Fernsehbildern ist zu sehen, wie Schneider seinem Gegner mehrmals Sägemehl unter den Rücken schiebt. Experten und Schwing-Fans waren empört über die unfaire Aktion. Sie forderten drastische Strafen. Zwei Tage später zeigte Schneider Reue und entschuldige sich: «Mit meinem Verhalten im Sägemehl war ich kein gutes Vorbild. Ich werde daraus lernen.» Seither verhielt sich Schneider tadellos.
Die emotionalen Abschiede
Am 7. August hat Remo Käser (28) zu einer Medienkonferenz eingeladen. Zwischenzeitlich mit Tränen kämpfend, erklärte der Sohn von König Adrian Käser (54) seinen sofortigen Rücktritt vom Schwingsport. Der Entscheid ist nach einem weiteren gesundheitlichen Rückschlag gekommen. Mitte Juni zog er sich am Bern-Jurassischen Schwingfest einen Teilriss des Aussenbandes und eine Ruptur am Wadenbeinkopf zu. Fürs ESAF hätte er das Knie fitspritzen lassen müssen – das wollte der Berner nicht. Der Rücktrittsentscheid sei «kein Kurzschluss, ich habe es mir reiflich überlegt», begründete Käser. Er ist nicht der einzige Eidgenosse, der in dieser Saison die Schwing-Bühne verlassen hat. Anfang April erklärte Mike Müllestein (36, ISV) seinen Rücktritt, Ende Juni schallte Patrick Räbmatters (33, NWSV) legendäres «Jabadabadu!» ein letztes Mal über den Schwingplatz und wenige Tage später ging auch die Karriere von Kilian von Weissenfluh (28, BKSV) zu Ende. Kurz nachdem er auf der Rigi seinen 123. Kranz gewonnen hatte, zog auch Christian Schuler (37, ISV) einen Schlussstrich.
Und während des ESAF endete die Karriere eines weiteren Innerschweizer Eidgenossen. Nach dem siebten Gang gab der von vielen Verletzungen geplagte Pirmin Reichmuth (29) seinen Entscheid im SRF-Interview bekannt. «Ich wusste es schon Anfang Saison, habe es aber niemandem gesagt.» In Mollis bestritt er alle acht Gänge und holte sich den Kranz (Rang 8). Dabei hatte er am Sonntagmorgen schon die Tasche gepackt. Nach einem Zwischenfall im vierten Gang schmerzte sein Knie dermassen, dass er nicht mehr auftreten konnte. Doch sein Team hielt ihn zum Glück vom Aufgeben ab. Und Reichmuth durfte noch einmal jubeln – auch wenn er das letzte Duell seiner Karriere gegen den späteren König verloren hat.
Die übelsten Beleidigungen
Der Ruf von Nick Alpiger (28) ist auch in der Aargauer Heimat etwas ramponiert. Ihm werden, in den meisten Fällen völlig zu Unrecht, «Mätzchen» beim Greifen vorgeworfen. Als Alpiger im Gang gegen Sinisha Lüscher (19) zum Münger-Murks ansetzte, jaulten zwei hysterische Frauen auf. «Schiedsrichter, er drückt ihm den Kopf ins Sägemehl», schrien sie Richtung Kampfrichter und liessen eine Reihe nicht zitierbarer Kraftausdrücke folgen. Auch andere Zuschauer am Sägemehlrand liessen sich zu primitiven Beleidigungen hinreissen. Dieser Vorfall passte zum gebrauchten Tag von Alpiger am Aargauer Kantonalen. Er verlor sowohl gegen Lüscher als auch gegen Marius Frank (20).
Die härtesten Bösen
Wer einen Outdoor-Sport betreibt, muss hart im Nehmen sein. Das beweisen auch die Schwinger immer wieder, wenn sie bei Wind und Wetter in die Zwilchhosen steigen. Besonders hart trafs Mitte Juni am Bern-Jurassischen Sandro Galli (24) und David Lüthi (23). Während sie im fünften Gang zusammengriffen, begann es zu schütten wie aus Eimern, es stürmte und blitzte auch mal. Während um sie herum niemand mehr im Sägemehl stand und die Zuschauer alle Richtung Festzelt flüchteten, kämpften die beiden weiter. Erst nach mehreren Minuten, als der Niederschlag richtig heftig wurde, unterbrach der Kampfrichter das Duell und die beiden durften sich in Sicherheit bringen. «Es windete wie verrückt. Ich sah, wie die Zuschauer flüchteten und einige Schirme umfielen», sagte Lüthi tags darauf zu Blick. «Ich flüchtete ins Festzelt. Das war sehr krass. So etwas habe ich noch nie erlebt.»
Die schönsten Tränen
Kurz vor dem Schlussgang spielten sich auf dem Stoos herzerwärmende Szenen ab. Etwas abseits der Sägemehlringe sass der Berner Schwinger Nicolas Zimmermann (23) und weinte hemmungslos. Kurz darauf stürmten Fabian Staudenmann und Adrian Walther auf ihn zu. Sie umarmten ihren Freund und gratulierten ihm zu seinem ersten Bergkranz. «Es ist unglaublich emotional. Ich habe den ganzen Winter auf solche Momente hingearbeitet», erklärte der Klubkollege von Staudenmann. Zimmermanns Erfolg ist auch deshalb besonders, weil er zwei Tage zuvor bereits im Einsatz stand. Am Oberaargauischen sicherte er sich am Samstag ebenfalls den Kranz. «Dank der Nervosität und des Adrenalins spürte ich die Müdigkeit nicht so stark.»
Das kurioseste Psychospiel
Im ersten Moment sah es nach Arbeitsverweigerung aus. Mehrfach bat der Kampfrichter am Nordostschweizer Werner Schlegel (22) und Sinisha Lüscher (19), den Sägemehlring zu betreten. Doch keiner der beiden reagierte – mehr als eine Minute lang! Die Zuschauer fragten sich: Was läuft hier? Die Antwort war simpel: ein Psychospiel. Lüscher und Schlegel pflegten das Ritual, erst nach ihrem Gegner den Sägemehlring zu betreten. Als Blick Schlegel nach dem Schlussgang darauf ansprach, meinte dieser: «Wir haben wohl beide einen dicken Schädel. Irgendwann habe ich mir gesagt: So, jetzt reichts.» Schlegel betrat als Erster den Sägemehlring – und gewann den Kampf nach wenigen Sekunden.
Der schnellste Schlussgang
Im Schlussgang gehts um den Festsieg. Manchmal dauert er etwas länger, manchmal verkommt er zu einem Quickie. In der Saison 2025 dauerten insgesamt acht der 39 Schlussgänge weniger als eine Minute. Am schnellsten zum Sieg kam Samuel Giger (27). Auf der Rigi bezwang er Mario Schneider (33) im ersten Zug mit Ableeren übers Knie – dafür brauchte er rund fünf Sekunden. Den zweitkürzesten Schlussgang gabs am Neuenburger Kantonalen, wo Lario Kramer (27) nach 26 Sekunden einen Kreuzgriff-Lätz auspackte und so Antoine Ducry (30) auf den Rücken legte. Der Ein-Minuten-Grenze am nächsten kam derweil Fabian Staudenmann (25) auf dem Stoos. 58 Sekunden dauerte es, bis sein Sieg gegen Adrian Walther (24) feststand.
Die Pechvögel
Wenns darum geht, wer in dieser Saison am meisten Pech hatte, kommen gleich mehrere Schwinger infrage. Beispielsweise Marcel Bieri (30). Der Zuger kassierte im ersten Gang auf dem Stoos einen Schlag ins Gesicht. Mit blutender Nase war sein Fest vorzeitig vorbei. Drei Wochen später verletzte er sich am Oberschenkel und konnte vor dem ESAF keinen Ernstkampf mehr bestreiten. In Mollis hatte Bieri dann erneut das Glück nicht auf seiner Seite, ihm fehlte ein Viertelpunkt für den Kranzgewinn. Ein weiterer Pechvogel ist Andreas Döbeli (27). Der Nordwestschweizer verletzte sich beim Einlaufen auf der Rigi und musste sich einer Operation am Meniskus unterziehen. Wie schon 2022 verpasste er das Saisonhighlight verletzt. Auch Fabio Hiltbrunner (20) landete auf dem OP-Tisch. Vergangenes Jahr gewann er sensationell das Jubiläumsschwingfest, in dieser Saison bremste ihn eine Schulterverletzung aus, die letztlich operativ behandelt werden muss und die ESAF-Teilnahme verhindert. Noe van Messel (23) galt als einer der heissesten Anwärter auf den Status Neu-Eidgenosse. Auf der Schwägalp verletzte er sich am Knie, ein Wettlauf gegen die Zeit begann. Van Messel biss auf die Zähne, war in Mollis am Start. Und musste, nachdem er im dritten Gang die zweite Niederlage kassierte, einsehen, dass es nicht weitergeht. Er brach das Fest ab.
Die grössten Aufreger
Innert Sekundenbruchteilen müssen die Kampfrichter Entscheidungen fällen. Je nachdem, wo sie stehen, können sie nicht jedes Detail sehen – und liegen so auch mal daneben. Einen VAR gibts im Schwingen nicht, aber viele TV-Bilder, die in Zeitlupe abgespielt für Auflösung sorgen. Und für viele Diskussionen. Auch am ESAF gab es Szenen, die für Aufregung sorgten. Etwa als Werner Schlegel im fünften Gang von Curdin Orlik (32) auf den Rücken gelegt wurde. Kurz davor hatten beide Schwinger keinen Griff mehr, der Kampfrichter hätte das Duell unterbrechen müssen. Tat er aber nicht. Der spätere Schlussgangteilnehmer war stinksauer, konnte aber nichts mehr daran ändern.
Auch König Joel Wicki (28) ist von einem Fehlentscheid betroffen. Ihm wurde im fünften Gang der Sieg gegen Romain Collaud verwehrt – obwohl dieser eindeutig mit den Schultern im Sägemehl lag. Mitunter diese Szene warf den Titelverteidiger aus dem Königsrennen.
Nicht nur am ESAF gabs Aufreger, sondern auch an einem anderen Fest. Zwei Wochen zuvor zündete ein Zuschauer auf der Schwägalp einen Böller – während der fünfte Gang lief. Nicht nur Kommentator Stefan Hofmänner regte sich am SRF-Mikrofon grausam darüber auf. Auch in der Schwingszene hatte man kein Verständnis. Immerhin: Der Böller-Zünder merkte selber, dass seine Aktion daneben war und meldete sich wenige Tage später beim Fest-OK.