Karrierenende wegen Gehirnerschütterungen
Der Leidensweg von Ex-Nati-Spielerin Livia Altmann

Eine Gehirnerschütterung zuviel. Deswegen musste HCD-Assistenztrainerin und Ex-Nati-Verteidigerin Livia Altmann ihre Karriere beenden. Wie sieht sie die Einführung der Bodychecks in unserer Women’s League? Denn erlaubt wurden sie mit der Hoffnung, dass das Risiko sinkt.
Publiziert: 20:58 Uhr
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Livia Altmann ist seit dieser Saison Assistenztrainerin der HCD-Frauen.
Foto: Pius Koller

Darum gehts

  • Karriereende nach jahrelangem Kampf mit schweren Gehirnerschütterungen
  • Ex-Nati-Spielerin Livia Altmann konnte lange nicht über ihre Leidenszeit sprechen
  • Heute setzt sich die Bündnerin für bewussteren Umgang mit der Thematik ein
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Nicole VandenbrouckReporterin Eishockey

Lange hadert Livia Altmann damit, dass sie ihre Karriere als Spielerin beenden muss, weil ihr die Folgen einer schweren Gehirnerschütterung zu schaffen machen. Lange spricht die Ex-Nati-Spielerin und -Kapitänin nicht über ihr Leiden. Fünf Jahre später und als Assistenztrainerin beim Davoser Frauen-Team zurück auf der Hockeybühne, kann Altmann erzählen, wie sie sich fühlte: wie sie litt und dass dies einen negativen Einfluss auf ihr Sozialleben hatte.

Kopfschmerzen, Schwindel, Konzentrationsschwächen, Lichtempfindlichkeit. Die klassischen und zermürbenden Symptome einer Gehirnerschütterung. Sie plagen Altmann nach der schätzungsweise fünften Erschütterung, die sie erlitten hat. «Drei davon waren schlimm», sagt die 30-Jährige. An die erste erinnert sie sich noch sehr genau. «Die hatte aber nichts mit Hockey zu tun, es passierte bei einem Bootsunfall.» Als Zwölfjährige wurde sie nach einer hohen Welle, die das Boot durchschüttelte, kopfvoran gegen eine Wand geschleudert. Damals spielte sie bei den Junioren des EHC Arosa. Nach Stationen im Bündnerland (Arosa, Chur, Davos) wechselt Altmann 2012 zu den Zürcher Löwinnen. Da ist sie bereits Nati-Verteidigerin, an Weltmeisterschaften dabei und gehört 2014 zum Olympia-Bronze-Team. All die Jahre ist ihr bewusst: «Der Nacken ist die Schwachstelle meines Körpers, ich hatte regelmässig Probleme.»

Andere Nackenmuskulatur: Frauen mit höherem Risiko

Walter Kistler, Klubarzt des HC Davos, erklärt, dass Frauen gemäss Studien aus der Sportmedizin ohnehin ein höheres Risiko aufwiesen, eine Gehirnerschütterung zu erleiden. Der Grund? «Sie haben von Natur aus eine weniger ausgeprägte und anders strukturierte Nackenmuskulatur, wodurch der Kopf bei Zusammenstössen weniger stabil gehalten werden kann. Zudem spielen auch hormonelle und anatomische Unterschiede eine Rolle.»

Obgleich dies erst im letzten Jahrzehnt als Thema präsent geworden sei, habe sie sich im Hockey bei allen Klub- sowie Nati-Ärzten mit diesem Leiden gut aufgehoben gefühlt, sagt Altmann. Oft seien aber die Hausärzte nicht darauf spezialisiert gewesen, und das Verständnis in der Studien- und Arbeitswelt habe gefehlt. Beides bekommt die Aroserin zu spüren. An der Universität Zürich studiert sie Wirtschaft. «Ich erinnere mich noch gut daran, wie beschissen es mir in Vorlesungen ging.» Der grosse Saal, das helle Licht, sie konnte sich nicht konzentrieren. «Eine grosse Belastung war, dass ich kaum die Möglichkeit zur Regeneration fand.» Neben dem Hockey arbeiten oder studieren die Spielerinnen noch. Mittlerweile weiss sie: Sie hörte damals zu wenig auf ihren Körper, hatte einen sturen Kopf. «Das ist mein Learning daraus. Das sage ich heute betroffenen Spielerinnen.»

2016 wechselt sie an die Colgate University nach New York (USA). «In Bezug auf die Betreuung bei meinen Leiden waren die professionellen Strukturen im College-Hockey Gold wert.» Die Professoren an der Sport orientierten Universität haben im Gegensatz zur Uni Zürich, die nicht direkt für Sportler ausgerichtet ist, Verständnis, wenn sie gesundheitshalber Vorlesungen auslassen oder Prüfungen verschieben muss. 2019 folgt dann die Rückkehr nach Zürich. Und das fatale Spiel. «Gleich zu Saisonbeginn kassierte ich die nächste Gehirnerschütterung.» Altmann hat eben erst einen neuen Vollzeitjob begonnen. Sie ist ambitioniert, möchte auch im Beruf Karriere machen. Doch sie merkt schnell: «Ich schaffte keinen normalen Arbeitstag.» Sie will es durchziehen – mit Auswirkungen. «Nach der Arbeit kam ich völlig geschafft nach Hause und weinte oft. Ich als starke Hockeyspielerin, die es gewohnt war, die eigenen Ziele zu erreichen. Ich hatte nicht mal mehr Energie, um mich mit Freunden zu treffen, da machte ich mir ernsthaft Sorgen.» Zu diesem Zeitpunkt ist sie erst 25. 

Spielerinnen brauchen mehr Körperspannung

Sie beschäftigt sich mit der Thematik und weiss: Viele Sportler leiden auch lange nach der Karriere noch und kämpfen gegen Depressionen. Altmann zieht die Reissleine. «Es war ein abrupter Entscheid. Innerlich wusste ich, dass ich keine weitere Gehirnerschütterung mehr kassieren darf.» Sie hört mit Eishockey auf. Hadert mit dem Entscheid, weil sie den Sport und das Garderobenleben liebt. Und weil die bewegungsliebende Spielerin so schnell keinen Ersatzsport findet. Ein Jahr lang darf sie nichts ausüben, bei dem der Körper Schläge spürt. «Joggen war der Horror.»

Beim Yoga und auf langen Spaziergängen findet sie die innere Ruhe und ist rückblickend dankbar für diese Zeit. Heute ist sie beschwerdefrei und selbständig in der Personal- und Teamentwicklung. Vom Hockey brauchte sie eine Weile Abstand, schaute kein einziges Spiel, «weil ich gerne noch selbst gespielt hätte», bis sie ihre einstige Nati-Kollegin Evelina Raselli (33) auf diese Saison als ihre Assistentin nach Davos holt.

Heute ist Altmann mit der Thematik auf der anderen Seite der Bande konfrontiert. Wie sieht sie die Einführung von Bodychecks im Schweizer Frauen-Hockey vor dem Hintergrund, wie in Schweden die Anzahl Gehirnerschütterungen zu senken? «Ich kann mir vorstellen, dass dies funktioniert. Entsprechende Übungen müssen aber ins Training integriert werden, damit die Spielerinnen auch in den Matches mehr Körperspannung haben.»

Gleiches hat der Davoser Klubarzt Walter Kistler schon im Februar im Blick betont. Er will sich aber noch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, weil es noch zu wenige verlässliche Zahlen gebe zu diesem Thema. «Beim HCD werden systematisch alle Daten erfasst. Dann werden wir sehen, welchen Einfluss es hat.» Nach Einführung der Checks befinde sich das Frauen-Hockey in einer Übergangsphase.

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