Der Sohn von Tanner Fritz leidet an einem seltenen Gendefekt
«Emmett ist ein Segen für uns»

Team-Canada-Stürmer Tanner Fritz hat seinen 6-jährigen Sohn seit August nicht gesehen. Die Reise aus den USA wäre für den autistischen Emmett zu beschwerlich. Ihn beeinträchtigt ein seltener Gendefekt, der spastische Anfälle auslöst.
Kommentieren
1/10
Seine Frau Brandy besucht ihren Schatz Tanner Fritz mit Töchterchen Charlie (3) am Spengler Cup in Davos.
Foto: Nicole Vandenbrouck

Darum gehts

  • Team-Canada-Stürmer Tanner Fritz redet offen über den Gendefekt seines Sohnes
  • Für den sechsjährigen Emmett wäre die lange Reise in die Schweiz zu beschwerlich
  • Es gibt keine Prognosen, wie sich die Krankheit entwickelt und Emmetts Zukunft aussieht
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
RMS_Portrait_AUTOR_413.JPG
Nicole VandenbrouckReporterin Eishockey

Emmett ist der Sohn von Tanner Fritz. «Manchmal frage ich mich, was Emmett wohl gerade denkt», sagt der Vater. Denn der Sechsjährige kann sich seiner Familie nicht mitteilen. Er leidet an einem seltenen Gendefekt, der erst Monate nach seiner Geburt entdeckt worden ist.

Für die Weihnachtstage in Davos und den Spengler Cup ist Fritz’ Frau Brandy mit Töchterchen Charlie (3) zu Besuch. Emmett ist nicht dabei, «die Reise wäre zu stressig und anstrengend für ihn», erklärt der Stürmer des Team Canada und der SCRJ Lakers. «Er könnte vermutlich nicht ruhig sitzen im Flugzeug. Und er hat ab und zu immer noch Anfälle. Das wollen wir nicht riskieren.» Fritz vermisst seinen Sohn, den er seit August nicht mehr gesehen hat, «aber vermutlich mehr als Emmett mich.» Darüber kann der 34-Jährige lächeln. Das ist nicht immer so gewesen.

Rückblende. Die Liebesgeschichte von Tanner und Brandy beginnt 2011 an der Ohio State University in Columbus. «Wir lernten uns gleich im ersten Semester kennen.» Der Kanadier studiert dort dank eines Hockey-Stipendiums, die 34-Jährige ist eineinhalb Stunden ausserhalb der Stadt aufgewachsen. Vier Jahre später wird Fritz Profi, wechselt in die NHL-Organisation der New York Islanders und spielt bei deren Farmteam Bridgeport in der AHL. Das Paar führt eine Fernbeziehung, bis der Stürmer die Saison 2017/18 in der NHL startet. «Da zogen wir zusammen und haben uns verlobt. Für uns war immer klar, dass wir jung Eltern werden möchten.» Nach der Hochzeit 2018 wird Brandy bald schwanger, die werdende Familie zieht nach Connecticut zurück, wo ihre Basis noch immer ist.

Emmetts Gendefekt erst nach halbem Jahr entdeckt

Tanner und Brandy sind glücklich und voller Vorfreude. «Die Schwangerschaft verlief normal. Einzig über die ungewöhnliche Kopfgrösse machten sich die Ärzte bei Kontrollen etwas Sorgen.» Nach der Geburt im Juni 2019 wirkt Emmett wie ein normales Baby, «er schlief schlecht und erbrach sich viel, aber sonst war nichts aussergewöhnlich».

Dass sich Emmett nach einer Woche bereits selbständig liegend umgedreht hat, macht die Eltern stutzig. Bei weiteren Checks wird erneut die auffällig kleine Kopfgrösse notiert. Nach sechs Monaten beobachten Tanner und Brandy Fritz bei ihrem Sohn dann zuckende Augenbewegungen. «Danach war er immer sehr müde. Er entwickelte sich nicht, wie er sollte. Aber wir dachten einfach, er sei vielleicht ein Spätzünder.»

Dennoch sind sie beunruhigt. Sie erzählen der Kinderärztin beim nächsten Kontrollbesuch davon und zeigen ihr eine Videoaufnahme. Die Spezialistin reagiert sofort und schickt die Familie zum Neurologen. Das Resultat einer EEG, also einer Hirnstrom-Messung, ist: Emmett hat spastische Anfälle. Die Diagnose: Infantile Spasmen. Die typischen Symptome dafür sind plötzliche kurze Zuckungen oder Versteifungen, oft begleitet von Entwicklungsstörungen.

«Sein Gehirn hat sich während der Schwangerschaft wohl nicht richtig entwickelt, sagte man uns», so Fritz, «und dass er vielleicht nie wird gehen und sprechen können.» Eine unvorstellbare und schockierende Nachricht für die jungen Eltern. «Diesen Moment werde ich nie vergessen», gesteht der Hockeyprofi, der sich in dieser Zeit von einer Hüft-Operation erholte und praktisch die gesamte Saison 2019/20 verletzt ausfiel. «Spielen zu müssen, wäre für mich sowieso extrem hart gewesen.» Der Schicksalsschlag hallt nach.

Fritz will anderen betroffenen Eltern Mut machen

Es folgen diverse Gentests, die ergeben, dass Emmett ein defektes DYNC1H1-Gen aufweist, das ein breites Spektrum an neurologischen und neuromuskulären Erkrankungen auslöst. Diese reichen von leichten Entwicklungsverzögerungen bis hin zu schweren intellektuellen Behinderungen, Epilepsie oder eine Form von Autismus. «Es ist ein seltener Genfehler, und mangels Erfahrungswerten gibt es kaum verlässliche Prognosen. Man weiss aber auch von Kindern, deren Gehirn nicht schwer geschädigt ist.»

Der kleine Emmett bekommt Medikamente, welche die Anfälle im Griff halten sollen. Die Eltern achten auf gute Ernährung, «die Keto-Diät half ihm sehr». Ab seinem dritten Geburtstag ist Fritz’ Sohn praktisch frei von Anfällen und beginnt sogar mit ersten Gehversuchen. In der Zwischenzeit läuft er, «aber ziemlich unbeholfen, weil er auch visuelle Beeinträchtigungen hat und sein unteres Sichtfeld stark eingeschränkt ist. In gewohnter Umgebung funktioniert es gut». Es sei aber schwierig, abzuschätzen, was Emmett wirklich sieht und was nicht. «Uns erkennt er».

Es hat am Anfang von Emmetts Leben immer wieder Momente gegeben, in denen Tanner und Brandy Fritz gehadert haben und übers Leben sinniert. «Wir sind nicht gläubig oder so», sagt der SCRJ–Spieler, «aber eines Tages sagte die Oma meiner Frau zu uns, dass uns Gott aus einem bestimmten Grund als Eltern von Emmett ausgewählt hat. So sehen wir es auch.» Sich um ihren Sohn zu kümmern, habe ihn und Brandy noch näher zusammenrücken lassen. «Wir sind daran gewachsen. Emmett ist ein Segen für uns, wir lieben ihn.» Deshalb spricht der Lakers-Star darüber, um anderen betroffenen Eltern Mut zu machen.

Das Leben bestmöglich leben

Sie halten zusammen und werden von ihren beiden Eltern bei der Betreuung ihres Sohnes unterstützt. Wenn Emmett nicht gerade in der Schule ist, muss er ständig umsorgt werden, er braucht seine Routine im Alltag, hat ein volles Programm mit Ergo- und Logotherapien. Oder es stehen immer wieder Untersuchungen an, weil die Familie für die Versicherung und Krankenkasse auf möglichst genaue Diagnosen angewiesen ist. «Uns ist bewusst», so der Kanadier, «dass Emmett uns sein ganzes Leben lang braucht.» Wie lange das sein wird, darüber denken die Eltern nicht nach, «das frisst dich sonst auf, so vieles ist ungewiss. Alles wird in eine andere Perspektive gerückt. Wir leben unser Leben einfach bestmöglich.»

Dazu hat auch gehört, dass Herr und Frau Fritz nochmals Eltern geworden sind. Töchterchen Charlie ist dreijährig. Natürlich hat sich das Paar Sorgen gemacht, ob ihr zweites Kind mit demselben Genfehler zur Welt kommen könnte. Doch die Statistik der Fachleute besagt, dass das Risiko bei eins zu einer Million liegt. «Wir wollten auch die Freude eines gesunden Kindes erleben», sagt er ehrlich. Charlie ist quietschfidel und für ihren grossen Bruder schon jetzt eine grosse Hilfe. «Sie versteht, dass Emmett anders ist.» Dass die Familie bei Einkäufen oder wenn Emmett in der Öffentlichkeit einen Anfall bekommt, angestarrt wird – damit können sie umgehen. Aber nicht immer damit, dass sie sich manchmal schuldig fühlen gegenüber Charlie, weil Emmett so viel Zuwendung braucht.

Deshalb haben sie beschlossen, dass Brandy und Charlie über Weihnachten und Neujahr in die Schweiz fliegen, um mit Tanner Fritz am Spengler Cup in Davos dabei zu sein. Die Grosseltern betreuen Emmett in seinem Zuhause. Seinen Sohn wird Fritz erst in der Olmypia-Pause im Februar wieder in die Arme schliessen können. Die Entfernung zu seinen Liebsten, sie hat ihm den Entscheid, nach zwei Jahrzehnten in Nordamerika in der Schweiz weiterzuspielen, erschwert. «Es ist hart für mich, aber eine Investition in die Zukunft von Emmett.» So lange sie dauert.

In diesem Artikel erwähnt
Was sagst du dazu?
Heiss diskutiert
    Meistgelesen