Hier stürzt der Gletscher Blatten entgegen
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Video zeigt Mega-Abbruch:Hier stürzt der Gletscher Blatten entgegen

Schuttkegel grösser als Sperrzone
Deshalb verrechneten sich Experten in Blatten

In Blatten ereignete sich ein verheerender Gletschersturz. Er begrub das Dorf unter sich – und war grösser als die abgesteckte Sperrzone. Nun wird Schafhirte Toni vermisst. Geologieprofessor Walter Wildi betont die Unberechenbarkeit von Gletscherabbrüchen.
Publiziert: 01.06.2025 um 19:27 Uhr
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Aktualisiert: 01.06.2025 um 21:06 Uhr
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Neue Bilder aus Blatten verdeutlichen das Ausmass der Katastrophe.
Foto: Andrea Soltermann

Darum gehts

  • Gletschersturz in Blatten überraschte Experten und verursachte massive Zerstörung
  • Geologieprofessor: Gletscherstürze sind im Gegensatz zu Bergstürzen nicht berechenbar
  • Historischer Vergleich: Frühere Bergstürze forderten bis zu 400 Todesopfer
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Die Naturkatastrophe von Blatten VS wird unvergessen bleiben. Der Birchgletscher brach ab. Krachte zu Tal. Und begrub fast das ganze Dorf unter sich. Bundesrat Albert Rösti (57) sprach von einem «Jahrtausendereignis». Jetzt, einige Tage nach dem Drama, zeigt sich immer deutlicher: Die hinunter donnernde Menge an Fels, Schutt und Eis übertraf alles, was die Experten im Voraus erwartet und errechnet hatten, wie ein Blick auf die Evakuierungszone zeigt. Das Ausmass des Schuttkegels geht weit über die Sperrzone hinaus, wie aktuelle Satellitenbilder belegen.

Er drang Hunderte Meter weiter vor. Auch gen Südwest. Zum Leidwesen des lokalen Schafhirten Toni* (64), der dort seinen Stall hatte. Er soll sich während der Katastrophe in seinem Stall ausserhalb der evakuierten Zone aufgehalten haben. Zwischen dem Stall und dem Beginn der Sperrzone liegen 300 Meter.

Doch wie konnten sich die Experten um mindestens 300 Meter verrechnen? Walter Wildi, emeritierter Geologieprofessor an der Universität Genf, hat eine Erklärung. Es habe einen Irrtum gegeben, von dem alle ausgegangen seien: Bergsturz! Aber: «Die Naturkatastrophe in Blatten war kein reiner Bergsturz, sondern vor allem ein Gletscherabbruch. Die Experten haben es unterschätzt und keinen derart grossen Gletscherabsturz vorausgesehen. Die Natur hat sich aber anders entschieden.» Wildi ahnte Böses, als er das Video des Abbruchs sah: «Die Masse stürzte ab, sprang auf einem Relief auf, und von dort aus gab es einen viel breiteren Sturzfächer, als man erwarten konnte. Deshalb war der Schuttkegel auch erheblich grösser als die evakuierte Zone.»

«Noch nie einem Gletscherabsturz-Modell begegnet»

Der Autor des Buchs «Auf den Spuren folgenschwerer Naturereignisse in der Schweiz» stellt klar: «Ja, am Ende waren es die Experten, die sich verrechnet haben. Man hat sich im Fall des Schafhalters um 300 Meter verschätzt. Das sind etwa zehn Prozent der Länge des Schuttkegels, wenn man bedenkt, dass dieser 2,5 Kilometer lang ist.» Aber es wäre falsch, jetzt Schuldzuweisungen zu machen. «Denn die Berechnungsmodelle, die man bei Fällen wie Blatten macht, basieren auf Gestein.» Gletschermasse sei jedoch unberechenbarer, und man habe damit deutlich weniger Erfahrung. Wildi sagt: «In meiner Karriere bin ich noch nie einem Gletscherabsturz-Modell begegnet.»

Dabei können Bergsturz-Modelle sehr hilfreich sein. Sie erlauben, Absturzwege zu berechnen. «Konkret funktioniert das mit der Trajektorien-Berechnung: Ein Stein fliegt durch die Luft, je nach Härte und Orientierung wird er abgelenkt. Dann fliegt er wieder eine gewisse Strecke und prallt wieder auf.» Bei diesem Gletscherabbruch sei das nicht der Fall gewesen. «Form, Orientierung und Steilheit eines Gletschers kennt man nicht wirklich, denn man sieht nicht unter den Gletscher. Der Gletscher im Fall Blatten ist ein sogenannter Hängegletscher.» Er ist auf dem Fels fixiert. «Dieser Hängegletscher hat sich vom Fels abgelöst wegen der grossen Gesteinsüberlast, die drückte. Der Gletscherabbruch von Blatten war praktisch unvorhersehbar, mit unserem heutigen Wissen.»

Der Experte betont: «Nach heutigem Kenntnisstand würde ich sagen: Es war weder ein Mensch noch eine Gruppe von Experten, die bei der Berechnung der Evakuierungszone von Blatten versagte. Es ist schlicht die Natur, die das Kommando übernommen hat.» Und er sagt auch, dass die Behörden die Evakuierungszone sicherlich vergrössert hätten, wenn sie es gewusst hätten. «Grundsätzlich berechnet man Evakuierungszonen immer grosszügig.»

«Das Risiko einer Flutwelle ist gesunken»
2:11
Situation im Lötschental:«Das Risiko einer Flutwelle ist gesunken»

«Rettung vieler Leute ist Erfolg für Behörden»

Im Fall von Blatten war die Evakuierungszone deutlich zu klein. Geologe Wildi sagt weiter: «Man hat sich verrechnet, es gab ein mutmassliches Opfer, das ist tragisch, ohne Frage. Natürlich ist jedes Opfer eines zu viel.» Aber: «National verglichen mit anderen Katastrophen ist es ein Erfolg für die Behörden, dass sie so viele Leute retten konnten.» Er erinnert an den Bergsturz von Bondo GR, bei dem 2017 acht Menschen starben. Oder an den Bergsturz in Elm GL von 1881 mit über 100 Toten. Und: In Goldau SZ starben 1806 beim Bergsturz über 400 Menschen. Das zeige laut Wild klar auf: «Mit den heutigen Überwachungsmethoden ist man auf einem ganz anderen Niveau. Man hat einen unglaublichen Fortschritt gemacht.»

Trotz all dem: Die Staatsanwaltschaft hat eine Untersuchung eröffnet. Es müssen Fragen geklärt werden, warum der Stall nicht geräumt wurde und der Landwirt noch zu seinen Tieren durfte – und ob eine Fehleinschätzung vorlag. Auf Blick-Anfrage war die Walliser Staatsanwaltschaft am Sonntag nicht zu erreichen.

Blick fragte am Sonntag auch bei Matthias Ebener (43), Chef Information des regionalen Führungsstabs im Lötschental, nach. Dieser wiederum verweist auf die Walliser Staatsanwaltschaft.

* Name bekannt

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