Ausgerechnet im abgelegenen und sagenumwobenen Lötschental erkennt die moderne Schweiz sich selbst. Hinter ihrem Erfolgsrezept steht ein dröger, sperriger Begriff, der von der Reaktion auf die Naturkatastrophe mit Leben gefüllt wird: das Subsidiaritätsprinzip. Was sonst zum Wortschatz von Politologen und Staatsrechtlern gehört, wurde diese Woche in dramatischer Weise greifbar, begreifbar, erkennbar.
Die Subsidiarität ist ein ureigenes Merkmal des helvetischen Gemeinwesens. Entscheidungen werden nach Möglichkeit auf der nächstkleineren Stufe gefällt. Wobei – was heisst klein? Im Zweifel findet Politik hierzulande auf jener Ebene statt, die am nächsten bei der Bürgerin, beim Bürger liegt. Das Staatsgebilde Schweiz funktioniert von unten nach oben. Sein Kraftzentrum sind die Kommunen und Gemeinden, nicht Bern oder Zürich oder Brüssel.
So gesehen scheint es logisch, dass der Auftritt des Gemeindepräsidenten von Blatten am Mittwoch zum Schlüsselmoment der gesamten Krisenbewältigung wurde: «Wir haben das Dorf verloren, aber nicht das Herz», sagte Matthias Bellwald. Es waren die richtigen Worte, vorgetragen mit unaufgeregter Gefasstheit angesichts des Unfassbaren. Und sein Amtsvorgänger ermunterte die Besitzer von Ferienwohnungen, ihr Domizil doch eine Weile den Betroffenen zur Verfügung zu stellen. Der Auftritt der beiden, ruhig und pragmatisch, muss Balsam für die Seele des Wallis gewesen sein, das in der Restschweiz zuweilen als von Filz durchzogener, ineffizienter Landesteil betrachtet wird.
Die Schweiz ist reich, weil sie bürgerlich funktioniert, vom Bürger her. Das unterscheidet die Eidgenossenschaft von zentralistisch geprägten Nationalstaaten, deren Regierungsvertreter im Katastrophenfall mit Pathos und Gummistiefeln aus der Hauptstadt zur Stippvisite einfliegen – und die versprochene Hilfe zumeist in der Bürokratie hängen bleibt. Man erinnert sich an das Hochwasser im deutschen Ahrtal 2021, das zum Fiasko der rheinland-pfälzischen Politik wurde.
Gewiss: Auch Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter, die Bundesräte Albert Rösti und Martin Pfister und die Walliser Kantonsregierung spielten ihre Rollen fehlerfrei. Nun müssen die Magistraten ihren Worten Taten folgen lassen und unkomplizierte Hilfe in die Wege leiten, wenn sie beweisen wollen, dass das System funktioniert. Die Behörden im Lötschental könnten ihr Vorbild sein.