Darum gehts
- Mindestlohn-Debatte in der Schweiz: Städte warten auf Bundesgerichtsentscheid
- Juristische Gutachten stützen kommunale Mindestlohn-Initiativen
- In Schaffhausen könnten rund 1500 Arbeitnehmende von einem Mindestlohn profitieren
In Bundesbern sorgt das Thema Mindestlohn für rote Köpfe. Erst recht, seit Arbeitgeber-Direktor Roland A. Müller (62) die Debatte mit einer brisanten Aussage befeuert hat: «Ein rein existenzsichernder Lohn ist nicht die Aufgabe der Arbeitgeber», befand er. Sprich: Nicht alle Löhne müssten zum Leben reichen. Der Befund platzt mitten in die Diskussion um kantonale Mindestlöhne, welche der Nationalrat kappen will.
Das Thema sorgt nicht nur beim Bund für politischen Zündstoff, sondern auch auf lokaler Ebene. In mehreren Städten steht ein kommunaler Mindestlohn zur Debatte. In Zürich und Winterthur hat das Stimmvolk diesem deutlich zugestimmt. Doch das kantonale Verwaltungsgericht hat die jeweiligen Mindestlohn-Verordnungen aufgehoben. Die Zürcher Gemeinden seien nicht berechtigt, einen lokalen Mindestlohn einzuführen. Die beiden Fälle sind derzeit vor Bundesgericht hängig, der Ausgang ist offen.
Gespanntes Warten auf Bundesgericht
Nicht nur Zürich und Winterthur warten gespannt auf das Urteil aus Lausanne, sondern etwa auch Schaffhausen. In der Munotstadt haben Linke und Gewerkschaften ebenfalls eine kommunale Mindestlohn-Initiative eingereicht. Für einen Stundenlohn von 23.50 Franken. In Schaffhausen will man das Bundesgerichtsurteil abwarten, bevor über die Initiative entschieden wird.
«Es ist eine vertrackte Situation», sagt Unia-Gewerkschafter Serge Gnos (53) zu Blick. Er ist zuständig für die Region Zürich/Schaffhausen. Er befürchtet, dass die Schaffhauser Behörden die Initiative für ungültig erklären könnten, sollte das Bundesgericht die kommunalen Mindestlöhne in Zürich kippen.
«Die Initiative ist gültig zu erklären»
Die Gewerkschaft hat die rechtliche Lage deshalb vom Juristen Kurt Pärli (62) abklären lassen. «Die Initiative ist gültig zu erklären», kommt der Professor für Soziales Privatrecht an der Uni Basel in einem noch unveröffentlichten Gutachten zum Schluss. «Solange der Kanton keinen Mindestlohn erlassen hat, steht der Stadt Schaffhausen die Kompetenz zum Erlass eines städtischen Mindestlohns zu.»
Pärli hat dafür die Schaffhauser Kantonsverfassung und Gesetz genau unter die Lupe genommen und die Mindestlohn-Initiative auch mit ihren Zürcher Pendants verglichen. «Die Fälle sind relativ ähnlich, auch wenn es in den Details Unterschiede gibt», sagt er zu Blick.
Das Urteil des Zürcher Verwaltungsgerichts betrachtet er kritisch. «Es ist zwar nicht einfach falsch, man hätte aber auch die Gemeindeautonomie oder den Volksentscheid stärker gewichten können. Nach dem Grundsatz: In dubio pro populo – im Zweifel für das Volk.»
Die Zürcher Richter hätten da durchaus mehr Spielraum gehabt, ist er überzeugt. So sei das Urteil denn auch nicht einstimmig gefallen. Eine Minderheit erachtete den lokalen Mindestlohn als sozialpolitische Massnahme zur Armutsbekämpfung als zulässig.
Nutzen Bundesrichter den Spielraum?
Ein Spielraum also, den die Bundesrichter in Lausanne nutzen könnten – oder auch nicht. «Es kann auf beide Seiten kippen», glaubt Pärli. Bei einem negativen Entscheid stellt sich allerdings die Frage, ob die kommunalen Mindestlöhne – etwa auch in Bern, Luzern oder eben Schaffhausen – allgemein dahin fallen würden.
«Nicht unbedingt», sagt der Professor. Das hänge von der konkreten Begründung ab. Aus seiner Sicht ist klar: «Für Schaffhausen wäre es sicher kein Präjudiz. Die Frage kommunaler Mindestlöhne ist in der Schaffhauser Gesetzgebung weiter gefasst als im Kanton Zürich.» Würde die Initiative für ungültig erklärt, liesse sich dies vor Gericht anfechten. «Nötigenfalls bis vors Bundesgericht», so Pärli. «Dass die Richter dann zu einem anderen Schluss kommen, ist nicht abwegig.»
Gewerkschafter Gnos will jedenfalls weiter für die Initiative kämpfen. Alleine in Schaffhausen gehe es um rund 1500 Arbeitnehmende, die von einem kommunalen Mindestlohn profitieren würden. «Wir wollen anständige Löhne, die zum Leben reichen», sagt er. Und: «Die Lohnerhöhungen sind dringend nötig, denn die Mieten und Krankenkassenprämien steigen unaufhaltsam.»