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Arbeitgeber-Boss provoziert mit brisanter Aussage
«Existenzsichernder Lohn ist nicht Aufgabe der Arbeitgeber»

In der Sommersession entscheidet der Nationalrat über kantonale Mindestlöhne. Zuvor sorgte Arbeitgeber-Direktor Roland A. Müller in der Anhörung der Wirtschaftskommission für Erstaunen. Er findet, Firmen müssten nicht zwingend Löhne zahlen, die zum Leben reichen.
Publiziert: 05.06.2025 um 00:41 Uhr
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Aktualisiert: 05.06.2025 um 07:01 Uhr
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«Ein rein existenzsichernder Lohn ist nicht die Aufgabe der Arbeitgeber», sagt Arbeitgeber-Direktor Roland A. Müller. Schlussendlich müsse die Sozialhilfe einspringen.
Foto: Keystone

Darum gehts

  • Debatte über kantonale Mindestlöhne im Nationalrat
  • Arbeitgeber-Direktor: Existenzsicherung nicht Aufgabe der Arbeitgeber
  • Fünf Kantone haben derzeit eigene Mindestlöhne zwischen 20 und 24.50 Franken pro Stunde
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Ruedi StuderBundeshaus-Redaktor

Es ist ein heisses Thema, mit dem sich der Nationalrat in der Sommersession beschäftigt: Soll der Bund kantonale Mindestlöhne kippen können? Ja, sagen Wirtschaftsverbände und Bürgerliche. Zumindest dann, wenn die Sozialpartner in einem allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag (GAV) tiefere Löhne vereinbaren.

Eine hitzige Debatte ist programmiert. Nun sorgt ein Aspekt für zusätzlichen Zündstoff: Muss ein Vollzeit-Lohn zum Leben reichen? So, dass nicht der Staat mit Sozialhilfe oder Ergänzungsleistungen einspringen muss?

«Sozialhilfe muss einspringen»

Nein, befand Arbeitgeber-Direktor Roland A. Müller (62) in einer Anhörung der nationalrätlichen Wirtschaftskommission Ende März. «Man kann von den Arbeitgebern oder von der Wirtschaft nicht verlangen, dass sie Existenzsicherung betreiben. Irgendwo hört es auf», sagte er gemäss Dokumenten, die Blick vorliegen. «Da muss dann schlussendlich die Sozialhilfe einspringen.»

Es gehe hier auch um die wirtschaftspolitische Leistungsfähigkeit der Arbeitgeberschaft. Das Ganze sei eine epische Frage, so Müller. Etwas später stellte er in der Diskussion nochmals klar: «Ein rein existenzsichernder Lohn ist nicht die Aufgabe der Arbeitgeber.» Schliesslich würden diese die soziale Sicherheit über Unternehmenssteuern mitfinanzieren.

SP-Badran: «Miese Unternehmerin oder hinterlistige Ausbeuterin»

Müllers Aussagen sind brisant, sodass die Reaktionen auf linker Seite nicht auf sich warten liessen. «Die Gewinne privat, die Kosten dem Staat», monierte SP-Nationalrätin Jacqueline Badran (63). Hinter Müllers Aussagen stecke ein Bild der Arbeitgeber als «gnädige Herren mit den milden Gaben», so die Zürcherin.

«Wenn ich keine existenzsichernden Löhne zahlen kann, bin ich eine miese Unternehmerin oder eine hinterlistige Ausbeuterin meiner Leute. Sie können weder die eine noch die andere Variante ernsthaft gutheissen», hielt die IT-Unternehmerin dem Arbeitgeber-Direktor entgegen. Mit Mindestlöhnen schaffe man gleich lange Spiesse, sodass «die schwarzen Schafe, eben die Ausbeuter oder die schlechten Unternehmen», herausgefiltert würden.

Mindestlohn zur Armutsbekämpfung

Auch die betroffenen Kantone sind wenig erfreut. Fünf kennen derzeit eigene Mindestlöhne. Diese variieren zwischen 20 Franken pro Stunde im Tessin und 24.50 Franken in Genf. Einzig in Genf und Neuenburg gehen derzeit kantonale Mindestlöhne tieferen GAV-Löhnen vor.

Sie gelten als sozialpolitische Massnahme, um Armut zu bekämpfen und Working Poor zu verhindern. Daran erinnerte in der Anhörung Gewerkschaftsvertreter Luca Cirigliano (44): «Die Kantone Neuenburg und Genf waren mit riesigen Zahlen an Arbeitnehmenden konfrontiert, die 100 Prozent gearbeitet haben und trotzdem auf dem Sozialamt gelandet sind. Das wollte man nicht.»

Er warnte davor, die Regelung zu ändern. In gewissen Fällen würden so wieder «300 Franken weniger Lohn» monatlich bezahlt. «Die Sozialämter der Kantone Genf und Neuenburg müssten sich auf einen Ansturm ohnegleichen vorbereiten.»

Müller: «Jobs verschwinden»

Gegenüber Blick verteidigt der Arbeitgeber-Direktor seine Aussagen. «Natürlich ist es das Ziel, dass man vom eigenen Lohn leben kann – das ist völlig unbestritten», erklärt Müller im Gespräch. Die Realität zeichne aber ein anderes Bild. Es gebe gewisse Tätigkeiten oder Branchen, in denen höhere Löhne nicht möglich seien, weil die Unternehmen die entsprechende Wirtschaftsleistung nicht erbringen könnten.

«Zu hohe Mindestlöhne führen dort dazu, dass diese Jobs verschwinden. Damit ist den Betroffenen auch nicht geholfen.» Es sei besser, jemand sei im Arbeitsmarkt integriert als arbeitslos zu sein, ist Müller überzeugt. Für ihn ist zudem klar: «Kein Arbeitgeber zahlt bewusst tiefe Löhne, um die Boni hochzuschrauben.»

In der jetzigen Debatte ist für Müller ein anderer Fokus entscheidend: «Es geht uns um die Sozialpartnerschaft.» Würden sich Arbeitgeber und Gewerkschaften auf Mindestlöhne einigen, sollten diese Vorrang vor kantonalen Eingriffen haben. «In den GAVs werden auch bessere Arbeitsbedingungen, Weiterbildung oder Ferien verhandelt», so Müller. «Drehen die Kantone an den Mindestlöhnen, dann gerät das ganze Gefüge in Gefahr.»

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