Darum gehts
- Nationalrat will kantonale Mindestlöhne kappen
- Gewerkschaften und Kantone kritisieren das geplante Bundesgesetz scharf
- Fünf Kantone haben eigene Mindestlöhne zwischen 20 und 24.50 Franken pro Stunde
Linke und Gewerkschaften wetzen bereits die Messer für das Referendum. Der Nationalrat hat mit 109 zu 76 Stimmen bei sieben Enthaltungen entschieden, dass kantonale Mindestlöhne in gewissen Fällen gekappt werden sollen.
Dann nämlich, wenn die Sozialpartner einen nationalen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) vereinbart haben und der Bundesrat diesen für allgemeinverbindlich erklärt hat. Dann könnten tiefere GAV-Löhne auch bessere kantonale Mindestlöhne übersteuern.
SP droht mit Referendum
Kaum war die Gesamtabstimmung im Nationalrat durch, meldete sich die SP bereits mit einer Medienmitteilung zu Wort. Die Partei spricht von einem «Frontalangriff auf Mindestlöhne», der Nationalrat wolle die Löhne senken. Und sie kündigt an: «Die SP wird die Gesetzesänderung mit allen Mitteln bekämpfen – nötigenfalls mit einem Referendum.»
SP, Grüne und GLP hatten zuvor bereits in der Ratsdebatte ihren Unmut deutlich gemacht. SP-Co-Chef Cédric Wermuth (39) sprach von einem «Lohnsenkungsgesetz». Gewisse Löhne würden damit um Hunderte Franken monatlich gesenkt, als habe es in den letzten Monaten und Jahren keine Steigerung der Lebenshaltungskosten gegeben, monierte er. «Das ist ein parlamentarischer Putsch der Chefs und der Bosse gegen die Lohnabhängigen in diesem Land.»
Er sei kein Fan von Mindestlöhnen, schickte GLP-Chef und Unternehmer Jürg Grossen (55) voraus. Trotzdem beantragte er, erst gar nicht auf die Vorlage einzutreten. «Es ist ein massiver Eingriff in das Gleichgewicht zwischen Sozialpartnerschaft, Föderalismus und Demokratie», warnte er. «Es ist ein Verfassungsbruch durch die Hintertür. »
Selbst SVP-Wirtschaftsminister Guy Parmelin (65) sprach sich namens des Bundesrats gegen die Vorlage aus. «Sie ist in vielerlei Hinsicht problematisch», sagte er. Ein GAV sei ein privatwirtschaftlicher Vertrag und kein Gesetz. Die Kantone seien zudem berechtigt, Mindestlöhne als sozialpolitische Massnahme zu bestimmen.
Bürgerliche setzen sich durch
Auf bürgerlicher Seite war damit kein Durchkommen. FDP, SVP und Mitte sprachen sich weitgehend geschlossen für das neue Bundesgesetz aus. Mit der Vorlage werde die Sozialpartnerschaft gestärkt, zeigte sich Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy (46) überzeugt. Und: «Nicht alle Unternehmen können gleich hohe Löhne bezahlen, auch wenn sie es vielleicht möchten.»
Es gehe darum, einen «Missstand» zu beheben, so FDP-Nationalrat Marcel Dobler (44). «Die Sozialpartnerschaft hat eine zentrale Bedeutung, die Gesamtarbeitsverträge sind hart verhandelt.» Dabei würden auch andere Elemente berücksichtigt. Und: «Zu hohe Mindestlöhne vernichten Einstiegsjobs.»
Das Geschäft geht nun an den Ständerat, der voraussichtlich in der Herbstsession darüber entscheiden wird.
Fünf Kantone mit Mindestlohn
Aktuell kennen fünf Kantone eigene Mindestlöhne. Diese variieren zwischen 20 Franken pro Stunde im Tessin und 24.50 Franken in Genf. In den Kantonen Tessin, Basel-Stadt und Jura gilt bereits der Vorrang der GAV-Löhne, nur in Neuenburg und Genf gehen die kantonalen Mindestlöhne vor.
In den Städten Zürich, Winterthur und Luzern kamen lokale Mindestlöhne in Volksabstimmungen durch, sind aber noch nicht umgesetzt. In mehreren Kantonen und Städten sind zudem Volksinitiativen hängig.
SP droht bereits mit Referendum
Kaum ist die Gesamtabstimmung im Nationalrat durch, meldet sich bereits die SP mit einer Medienmitteilung zu Wort. Die Partei spricht von einem «Frontalangriff auf Mindestlöhne», der Nationalrat wolle die Löhne senken.
Und sie kündigt an: «Die SP wird die Gesetzesänderung mit allen Mitteln bekämpfen – nötigenfalls mit einem Referendum.»
Nationalrat will kantonale Mindestlöhne kappen
In der Gesamtabstimmung kommt die Mindestlohn-Vorlage mit 109 zu 76 Stimmen bei sieben Enthaltungen klar durch. Das heisst: GAV-Löhne sollen Vorrang haben, auch wenn sie tiefer sind als kantonale Mindestlöhne.
Das Geschäft geht nun an den Ständerat.
Nationalrat tritt auf Mindestlohn-Vorlage ein
Jetzt geht es los mit den Abstimmungen. Der Nationalrat tritt mit 113 zu 75 Stimmen bei drei Enthaltungen auf die Vorlage ein.
Die Rückweisung der Vorlage lehnt der Nationalrat mit 113 zu 74 Stimmen bei fünf Enthaltungen ab.
Weitere Minderheitsanträge von linker Seite werden ebenfalls abgeschmettert.
Bundesrat lehnt die Vorlage ab
SVP-Wirtschaftsminister Guy Parmelin spricht sich namens des Bundesrats gegen die Vorlage aus. «Diese Vorlage ist in vielerlei Hinsicht problematisch», sagt er. Ein GAV sei ein privatwirtschaftlicher Vertrag und kein Gesetz. Die Kantone seien zudem berechtigt, Mindestlöhne als sozialpolitische Massnahme zu bestimmen. Die Vorlage verstosse gegen die Verfassung, macht er klar. Auch er erinnert daran, dass sich 25 Kantone gegen das neue Gesetz ausgesprochen hätten.
SVP-Pamini: «Die Einwanderung ist das Übel»
Für die SVP-Fraktion verteidigt Paolo Pamini die Vorlage. Der Tessiner verweist auf seinen Kanton, wo die GAV-Löhne Vorrang haben vor dem kantonalen Mindestlohn. «Das ist eine gute Lösung», sagt er. Kantonale Mindestlöhne seien ein Eingriff in die Wirtschafts- und Vertragsfreiheit. Mindestlöhne seien in vielen Bereichen auch ein Problem. Mindestlöhne hätten vor allem mit der Zuwanderung aus Grenzstaaten zu tun, findet er. Da sei das Lohn- und Preisgefälle teils hoch. Die Zahl der Grenzgänger haben dadurch noch zugenommen. «Die Einwanderung ist das Übel.»
FDP-Dobler: «Zu hohe Mindestlöhne vernichten Einstiegsjobs»
FDP-Nationalrat Marcel Dobler macht sich für die Vorlage stark. Er spricht von einem «Missstand» und einer «Fragmentierung der Arbeitsbedingungen für die Schweiz».
Aus Sicht der Wirtschaftspolitik sei die Vorlage richtig, sagt Dobler. «Die Sozialpartnerschaft hat eine zentrale Bedeutung, die Gesamtarbeitsverträge sind hart verhandelt.» Dabei würden auch andere Elemente berücksichtigt.
«Zu hohe Mindestlöhne vernichten Einstiegsjobs», betont Dobler.
Mit Blick auf Genf und Neuenburg sei diese Aussage falsch, kontert Wermuth. Da gebe es entsprechende Studien, dass keine Jobs vernichtet worden seien. «Die Firmen können nicht neue Leute einstellen und machen eventuell zu», hält Dobler dagegen.
SP-Roth: «Anständige Löhne sind kein Luxus, sondern eine Frage der Gerechtigkeit»
Die Bevölkerung wehre sich gegen Armutslöhne, sagt SP-Nationalrat David Roth. Und dies versuche die Mehrheit nun auszuhebeln. «Löhne, von denen man nicht leben kann, sind respektlos gegenüber den Arbeitnehmenden.» Und es sei eine verdeckte Subventionierung von Unternehmen, die nicht bereit seien, angemessene Löhne zu zahlen. «Anständige Löhne sind kein Luxus, sondern eine Frage der Gerechtigkeit.»
SP-Widmer: «Sie machen Politik auf dem Buckel von Working Poors»
«Sie machen Politik auf dem Buckel der Schwächsten, auf dem Buckel von Working Poors», sagt Céline Widmer namens der SP-Fraktion. «Das ist ein Angriff auf die Armutsbekämpfung.» Zehntausende Arbeitnehmende würden mit dem neuen Gesetz wieder weniger verdienen.
«Ein Lohn sollte zum Leben reichen», sagt sie. Das sei auch wirtschaftlich nützlich. «Bitte, versenken Sie heute diese Vorlage!»
Mitte-Bregy: «Sozialpartnerschaft ist zentral»
Nun ist Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy an der Reihe. «Heute und hier wird nicht geputscht», meint er an Wermuth gerichtet. Es gehe vielmehr um die Zukunft der Sozialpartnerschaft. «Die Sozialpartnerschaft ist für die Mitte zentral.» Niemand wolle deren Bedeutung und Rolle wissen.
Es gebe ein Spannungsfeld zwischen demokratiepolitischen Überlegungen und der Sozialpartnerschaft, räumt er ein. Mit der Vorlage wolle man die Sozialpartnerschaft stärken, betont er. Diese stärke den Arbeitsfrieden am besten.
SP-Wermuth: «Das ist ein parlamentarischer Putsch gegen die Lohnabhängigen in diesem Land»
SP-Mann Cédric Wermuth wehrt sich gegen «Lohnsenkungen für Tiefstlöhner. Das wäre das erste Lohnsenkungsgesetz seit 1848.» Als habe es in den letzten Jahren keine Preissteigerungen und höhere Mieten oder Krankenkassenprämien gegeben. Wenn es um Boni für Banker gehe, seien die Bürgerlichen nie so rasch, bei Tieflöhnern hingegen gehe es schnell, wundert er sich.
Und er warnt: «Sie spielen mit dem europapolitischen Feuer.» Wie soll die Bevölkerung glauben, dass sie die Löhne schützen würden?
Er macht klar: «Das ist ein parlamentarischer Putsch gegen die Lohnabhängigen in diesem Land und gegen die Souveränität der Kantone.»