Darum gehts
- Die Bundespräsidentin warnt vor einer Annahme der Juso-Initiative
- Sie sagt: Schwerreiche ziehen weg, am Ende fehlt gar Geld!
- «Wir brauchen zu viel Geld», begründet die Finanzministerin ihr Sparpaket
Am 30. November kommt die Erbschaftsteuer-Initiative der Juso vors Volk. FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter (61) will einen linken Abstimmungserfolg verhindern. Bei einem Kaffee in ihrem Büro erklärt sie im Gespräch mit Blick, warum die Initiative der Schweiz schaden würde.
Blick: Superreiche verlassen die Schweiz bereits aus Angst vor der Erbschaftssteuer-Initiative. Wie viele Telefonate haben Sie schon geführt, um Milliardäre vom Bleiben zu überzeugen?
Karin Keller-Sutter: Ich bin an Anlässen von einzelnen Unternehmern angesprochen worden. Ansonsten hatte ich vor allem Kontakt mit kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren. Gerade in steuergünstigen Kantonen, in denen es viele Vermögende gibt, ist die Sorge gross. Vermögende Personen erkundigen sich nach der Initiative und treffen Vorbereitungen.
Laut den jüngsten Umfragen gibt es ein Nein. Sie können sich zurücklehnen.
Umfragen sind Umfragen. Der Entscheid fällt erst an dem Tag, an dem abgestimmt wird.
Leistung war wichtig in Ihrem Leben, Sie haben alles selbst erarbeitet, ohne Erbe. Wäre es nicht fair und liberal, wenn alle die gleichen Voraussetzungen hätten und nicht Einzelne so viel erben?
Man darf nicht so tun, als ob es keine Erbschaftssteuern gäbe. Mit Ausnahme von Obwalden und Schwyz gibt es sie in allen Kantonen. Das Volk hat jedoch in vielen Kantonen die Erbschaftsteuer für Kinder und Ehegatten abgeschafft. Ich finde es richtig, dass weitervererbt werden kann, was in der Kernfamilie erarbeitet worden ist.
Aber es geht ja nicht um gewöhnliche Erben, sondern um sehr hohe Millionenbeträge, die die Initiative besteuern will.
Die Schweiz ist eines der wenigen Länder in der OECD, das eine Vermögenssteuer kennt. Das Vermögen wird also bereits vor dem Erbgang besteuert, und auch die Erben zahlen wieder Vermögenssteuern, und zwar jedes Jahr. Andere Länder kennen keine Vermögenssteuer, dafür eine Erbschaftssteuer. Man muss also das Gesamtpaket anschauen.
Aber das Schweizer Angebot ist durchaus sehr attraktiv. Deutsche kamen wegen der tieferen Erbschaftssteuern, vermögende Norweger ziehen auch gerade in die Schweiz, weil sie hier weniger Steuern zahlen.
Die Schweiz ist für vermögende Personen attraktiv, ja. Das kommt allen zugute. Diese Leute zahlen sehr viele Steuern und finanzieren unseren Staat mit. Wir haben ein Interesse daran, dass wir für solche Personen attraktiv bleiben. Das wäre nach Annahme der Initiative nicht mehr der Fall.
Wenn man die Liste der 300 reichsten Schweizer anschaut, steigt deren Vermögen stetig. Denen tut es nicht weh, wenn man etwas mehr nehmen würde.
Sie sprechen das Thema Vermögensungleichheit an. Die Initiative würde den Ärmeren nichts bringen: Viele Vermögende würden einfach auswandern, um die Steuer zu vermeiden und ihren Reichtum zu behalten. Das oberste Prozent der vermögenden Personen bezahlt 40 Prozent der Vermögens- und der Einkommenssteuern. Einen Teil dieser Erträge würde man verlieren, und es hätten dann einfach alle weniger.
Zusätzliche Milliarden-Einnahmen müssten Ihnen als Finanzministerin doch gelegen kommen.
Wenn es sie gäbe. Wenn die Vermögenden nicht reagieren würden, könnte der Bund rund 4 Milliarden Franken einnehmen. Aber die Vermögenden werden reagieren! Eine Schätzung der Eidgenössischen Steuerverwaltung basierend auf einer wissenschaftlichen Studie zeigt, dass viele umziehen würden und dadurch 85 bis 98 Prozent des Geldes ins Ausland abgezogen werden könnten. Dann würden wir je nach Szenario nur noch bis gut eine Milliarde zusätzlich einnehmen. Gleichzeitig würden die Steuereinnahmen beim Bund, bei den Kantonen und Gemeinden aufgrund der Wegzüge aber deutlich sinken. Das heisst: Unter dem Strich könnte die Rechnung negativ ausfallen. Davon hätte niemand etwas.
Bei den Klimazielen hinkt die Schweiz hinterher. Dass die Initiative die Mehreinnahmen in den Klimaschutz investieren will, scheint daher nicht primär falsch.
Allein der Bund stellt pro Jahr gut 2 Milliarden Franken im Klimabereich bereit. Auch die Unternehmen geben sehr viel Geld aus für den Klimaschutz, ebenso Private, Gemeinden und Kantone. Und wir sind bei den Klimazielen weitgehend auf Kurs.
Sie gilt als starke Figur im Bundesrat: Finanzministerin Karin Keller-Sutter (61). Seit 2025 ist die St. Gallerin auch Bundespräsidentin. Aufgewachsen ist sie in einer Wirtefamilie in Wil SG, wo sie auch heute noch lebt – gemeinsam mit ihrem Ehemann Morten Keller. Die FDP-Politikerin hat die klassische Ochsentour gemacht: Gemeinde- und Kantonsrätin, dann Regierungs- und später Ständerätin. Ende 2018 wurde die ausgebildete Konferenzdolmetscherin in den Bundesrat gewählt.
Sie gilt als starke Figur im Bundesrat: Finanzministerin Karin Keller-Sutter (61). Seit 2025 ist die St. Gallerin auch Bundespräsidentin. Aufgewachsen ist sie in einer Wirtefamilie in Wil SG, wo sie auch heute noch lebt – gemeinsam mit ihrem Ehemann Morten Keller. Die FDP-Politikerin hat die klassische Ochsentour gemacht: Gemeinde- und Kantonsrätin, dann Regierungs- und später Ständerätin. Ende 2018 wurde die ausgebildete Konferenzdolmetscherin in den Bundesrat gewählt.
Beim Entlastungspaket 2027, das Sie planen, wollen Sie ausgerechnet beim Gebäudeprogramm und damit beim Klima sparen.
Grundsätzlich: Beim Entlastungspaket wird nicht gespart. Es wird nur das Wachstum gebremst. Der Bund hat heute Ausgaben von knapp 86 Milliarden, diese steigen bis 2027 auf 93 Milliarden, auch mit dem Paket. Beim Gebäudeprogramm setzen wir bei jenen Geldern an, bei denen es grosse Mitnahmeeffekte gibt. Das heisst: Wir bezahlen Subventionen, obwohl die Heizung auch sonst saniert oder die Solaranlage auch sonst gebaut würde. Das ist ineffizient. Und …
Bitte.
Wieso machen wir das Entlastungspaket überhaupt? Wir machen dies auch, weil wir die 13. AHV-Rente und den Ausbau der Armee finanzieren müssen. Das heisst, es gibt jetzt eine gewisse Verlagerung der Ausgaben.
In den letzten Jahren war die Rechnung oft besser als budgetiert. Braucht es das Entlastungspaket wirklich?
Seit 2020 schloss der Bund immer mit einem Defizit ab, und gemäss der aktuellen Hochrechnung rechnen wir für dieses Jahr mit einem Defizit von 600 statt 800 Millionen Franken. Die Finanzpläne der nächsten Jahre sind leider klar, da fehlen ohne das Entlastungspaket jeweils 2,5 bis 4,5 Milliarden Franken. Die Kosten für die 13. AHV-Rente und den Armeeausbau lassen sich nicht einfach wegdiskutieren. Diese Finanzierungslücke müssen wir schliessen.
Trotzdem ist das Paket unter Beschuss. Die höhere Rentengeld-Besteuerung ist bei den Bürgerlichen chancenlos. Warum halten Sie daran fest?
Es geht um die Kapitalbezüge, die heute deutlich tiefer besteuert werden als die Renten. Wir haben zwar tatsächlich ein Ausgaben- und kein Einnahmenproblem. Wir brauchen zu viel Geld! In der Vernehmlassung hat man sich aber auch für Mehreinnahmen ausgesprochen. Neben der höheren Besteuerung hoher Kapitalbezüge aus der zweiten und dritten Säule sehen wir solche auch bei der Versteigerung der Zollkontingente im Landwirtschaftsbereich vor.
Im Parlament drohen Abstriche beim Sparpaket, weil keiner bei seiner Klientel sparen will.
Das Lobbying hat in den letzten Jahren enorm zugenommen. Ich erachte es aber nicht als Aufgabe des Steuerzahlers, alles Mögliche zu subventionieren. Wir müssen Prioritäten setzen und gewisse Posten vorübergehend etwas kürzen. Der Bundesrat hat seine Verantwortung wahrgenommen, jetzt liegt der Ball beim Parlament. Dieses hat die Budgethoheit.
Selbst wenn das Parlament spurt, bleibt das Stimmvolk als letzte Hürde.
Viele haben immer noch das Gefühl, der Bund habe genügend Geld – das ist ein Problem. Der Bund sind wir alle, also betreffen die Bundesfinanzen auch alle. Bringen wir das Entlastungspaket nicht ganz oder zumindest nicht in grossen Teilen ins Trockene, bleiben nur Kürzungen bei jenen Ausgaben, die nicht durch ein Gesetz gebunden sind, oder Steuererhöhungen.
Dann werden Sie zur Steuererhöhungsministerin?
Das Parlament müsste entscheiden, ob es die Steuern erhöhen will. Dem Volk zu sagen: «Wir brauchen zu viel Geld, und nun brauchen wir noch mehr Geld, weil wir uns nicht auf Kürzungen einigen können», das fände ich aber eine happige Ansage.
Ihr Jahr als Bundespräsidentin neigt sich dem Ende zu. Wie ist Ihr Fazit?
Es gab sehr viele eindrückliche Momente, beispielsweise die Teilnahme an den Feierlichkeiten zur Befreiung des Konzentrationslagers in Auschwitz. Dorthin haben mich zwei über 90-jährige Schweizer Juden begleitet, die als Kinder dort gefangen waren. Das ging mir sehr nahe. Ebenso der Felssturz in Blatten. Beeindruckt hat mich der neue Papst Leo XIV., den ich zweimal getroffen habe.
Mit den Trump-Zöllen war es aber auch ein «Schreckensjahr», das an Ihrem Ruf kratzte.
Dass ich Bundespräsidentin war, als Präsident Trump seine Zölle angesagt hat, ist Zufall. Ich habe meine Verantwortung wahrgenommen und mit Präsident Trump telefoniert. Er war mit der ausgehandelten Vereinbarung nicht einverstanden. Punkt. Damit muss man leben. Die Gespräche laufen weiter.
Am Dienstag trafen sich Schweizer Firmenvertreter mit US-Präsident Donald Trump. Sehen Sie bei den Zöllen die Chance auf ein Happy End noch in diesem Jahr?
Ich kann Ihnen diese Frage nicht beantworten. Das zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft ist in Kontakt mit den US-Behörden. Letztendlich liegt es am US-Präsidenten, ob er auf einen Deal eingehen will oder nicht.