Darum gehts
- AHV-Reform: Baume-Schneider prüft Lohnbeiträge auf elektronisch bezahlte Trinkgelder
- Gastrobranche und Gewerkschaften kritisieren die Idee
- Schätzung: Jährliche Trinkgelder in der Gastronomie zwischen 600 Millionen und 1 Milliarde Franken
Die AHV braucht Geld, viel Geld. SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (61) plant bereits die nächste grosse AHV-Reform 2030 und setzt den Fokus dabei auf Mehreinnahmen. Neben zusätzlichen Lohnprozenten und höherer Mehrwertsteuer prüft sie auch kleinere Anpassungen auf der Einnahmeseite.
Eine davon sorgt besonders in der Gastrobranche für Aufregung: Auf elektronische bezahlte Trinkgelder sollen künftig Lohnbeiträge fällig werden, sofern sie einen wesentlichen Teil des Arbeitsentgelts ausmachen. Grundsätzlich gilt das eigentlich heute schon. Doch was unter «wesentlich» zu verstehen ist und wie viele Trinkgelder tatsächlich fliessen, liegt im Graubereich – und so schauten die Behörden kulant darüber hinweg.
Das soll sich angesichts zunehmender Digitalzahlungen ändern. «Dass der elektronische Zahlungsverkehr immer mehr zum Normalfall wird, verbessert die Nachvollziehbarkeit der Trinkgelder», schreibt Baume-Schneider in einem Aussprachepapier, das Blick gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz vorliegt.
Bis zu 1 Milliarde Franken Trinkgelder
Zwar ist die Höhe der in der Schweiz insgesamt bezahlten Trinkgelder nicht bekannt. Der Bund schätzt die Zahl aber alleine für die Gastronomie auf jährlich 600 Millionen bis 1 Milliarde Franken. «Daraus lassen sich Zusatzeinnahmen für die AHV von 20 bis 50 Millionen Franken ableiten», heisst es in den Unterlagen.
Die Gastroangestellten hätten damit zwar weniger Geld im Portemonnaie, sollen aber im Rentenalter profitieren. «Die zusätzlichen Beiträge würden angesichts der tiefen Löhne in den betroffenen Branchen zu höheren Rentenansprüchen führen», betont Baume-Schneider. «Mittelfristig würden diese die Zusatzeinnahmen mindestens aufwiegen.» Ihre Bundesrats-Gschpänli liessen den Prüfauftrag widerstandslos durchgehen.
SVP-Friedli: «Absolut verfehlt»
Opposition markiert hingegen SVP-Ständerätin Esther Friedli (48, SG). Die Trinkgeld-Pläne erachtet sie als «absolut verfehlt». Ihre Kritik: «Anstatt eine Reform anzustreben, die der Generationengerechtigkeit der AHV dient und auf die langfristige Sicherung fokussiert, will der Bundesrat einfach überall die arbeitende Bevölkerung mehr belasten und diese mehr zur Kasse bieten», so die Gastronomin. «Das lehne ich entschieden ab.»
Friedli weiss dabei den Branchenverband Gastrosuisse im Rücken. «Primär sind die Angestellten die Leidtragenden, wenn der Bund die Trinkgelder künftig den Lohnabzügen unterstellen würde», befürchtet Ad-Interims-Direktor Patrik Hasler-Olbrych. «Unternehmen werden vermehrt die Annahme von Trinkgeld verbieten. Kunden werden tendenziell weniger Trinkgeld geben, wenn sie wissen, dass darauf Abgaben fällig werden.» Zudem müssten die Angestellten mehr Lohnabzüge hinnehmen und höhere Einkommenssteuern bezahlen. «Das reduziert nicht nur den Nettolohn, sondern bremst auch die Lohnentwicklung im Gastgewerbe.»
Gastrosuisse: «Nicht umsetzbar»
Die zusätzlichen Arbeitgeber-Beiträge und administrativen Aufwände würden auch die Betriebe stark belasten, sagt Hasler-Olbrych. Bereits mit der aktuellen AHV-Finanzierung oder den höheren Kinderzulagen sei eine weitere Belastung absehbar. «Wenn der Staat gleichzeitig auch noch das Trinkgeld mit Lohnabzügen belastet, müssten die Preise im Gastgewerbe in den nächsten Jahren deutlich steigen», warnt er. Das wiederum wirke sich negativ auf die Nachfrage aus.
Das Vorhaben sei nicht umsetzbar, macht er klar. «Arbeitgebenden ist es nicht möglich, die tatsächliche Höhe der erhaltenen Trinkgelder zu ermitteln, ohne die Mitarbeitenden in unangemessener – völlig praxisferner – Weise zu kontrollieren. Ein solches Kontrollregime ist nicht durchsetzbar.»
Auch Gewerkschaft übt Kritik
Support erhält der Gastroverband von Gewerkschaftsseite. «Trinkgelder sind rückläufig und kein wesentlicher Bestandteil des Arbeitsentgelts», sagt Unia-Sprecher Philipp Zimmermann. Die Gewerkschaft spricht sich daher für eine Beibehaltung der bisherigen Praxis aus. «Alles andere wäre mit einem unverhältnismässigen Aufwand verbunden und letztlich vor allem zum Nachteil der Arbeitnehmenden, da das eh schon bescheidene Einkommen noch geschmälert würde.»