«Uns fehlen die Daten!»
Bundesrätin Baume-Schneider verteidigt ihr AHV-Reförmli

Eben erst präsentierte Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider ihre Pläne für die AHV-Reform 2030 – und schon steht diese in heftiger Kritik. Im Interview erklärt die Jurassierin, warum die Reform rasch kommen muss. Und warum sie nicht mutiger war.
Publiziert: 00:13 Uhr
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Aktualisiert: 07:07 Uhr
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Will die AHV fit machen für die kommende Babyboomer-Welle: SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (61).
Foto: Philippe Rossier

Darum gehts

  • Will sie uns Frühpensionierungen vermiesen? Die Bundesrätin antwortet
  • Baume-Schneider kontert Kritik von FDP-Präsident Burkart
  • Obwohl man seit Jahren über AHV-Reformen redet: Baume-Schneider sagt, für grosse Reformen fehlen die Daten
  • Sie will rasch eine Reform, um die Renten der Babyboomer zu zahlen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Die AHV ist an vielen Fronten im Umbruch. Da plant SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (61) bereits die nächste grosse AHV-Reform 2030. Die Pensionierungswelle der Babyboomer-Generation will sie vor allem mit Mehreinnahmen überwinden.

Die Sozialministerin empfängt Blick gut gelaunt zu einer Tasse Kaffee in ihrem Departement. Und erklärt, warum sie für die anstehende Reform die Finger von einem höheren Rentenalter lässt.

Blick: Frau Baume-Schneider, Sie brauchen viel zusätzliches Geld für die AHV, Verteidigungsminister Martin Pfister für die Armee. Hatten Sie mit Ihrem neuen Kollegen schon Krach?
Elisabeth Baume-Schneider: Nein, absolut nicht. Geld ist immer ein Thema in der Politik, für fast alle politischen Entscheide braucht es Geld, von der AHV bis zu Bildung und Forschung, Umwelt oder Armee. Klar versucht jeder Bundesrat, sein Thema zu pushen, aber am Ende tragen wir die Verantwortung gemeinsam.

Das heisst: Martin Pfister hat sich als Neuling gut ins Gremium eingefügt?
(Lacht.) Er ist 61 Jahre alt und hat viel Erfahrung als Exekutivpolitiker. Da ist Neuling vielleicht das falsche Wort. Aber ja, die Zusammenarbeit funktioniert gut. 

Sie haben eben erst die Stossrichtung zur AHV-Reform vorgestellt, doch die Kritik ist bereits massiv. FDP-Präsident Thierry Burkart schlägt Ihnen ein Preisschild um die Ohren: Die Reform koste jeden Haushalt 3000 Franken pro Jahr.
Diese Aussage ist falsch. Die AHV 2030 dürfte rund 3 bis 4 Milliarden Franken pro Jahr kosten. Viel weniger, als die FDP behauptet. Aber ja, dieses Geld brauchen wir, um die Renten auszahlen zu können. Die Babyboomer haben ein Leben lang gearbeitet, zu unserem Wohlstand beigetragen und in die AHV eingezahlt. Sie haben Anspruch auf eine Rente. Und wir als Gesellschaft haben die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass die AHV gesund bleibt. Das machen wir mit dieser Reform.

Sie sprechen von einer Reform. Aber ist dieses Wort nicht übertrieben? Sie präsentieren keine strukturelle Reform, sondern fordern einfach mehr Geld.
Das hier ist sicher nicht eine tiefgreifende strukturelle Reform. Aber es ist die nötige Reform, um die Finanzierung der AHV zu sichern.

Für den Moment wählen Sie aber den einfachsten Weg und decken das Problem mit viel Geld zu.
Es ist absolut nicht der einfachste Weg. Aber es ist ein Weg, der unserer politischen Kultur entspricht. Der Bundesrat hat das Volk gehört und Massnahmen gewählt, die auch Chancen haben an der Urne. Wir wissen, dass das Volk keinen Rentenabbau und aktuell keine Erhöhung des Rentenalters will. Und wir können nicht warten, denn zusätzlich zur demografischen Welle kommt noch die 13. Rente und die kostet ab 2026 weitere vier Milliarden Franken pro Jahr.

Warum fehlt Ihnen für eine strukturelle Änderung wie ein höheres Rentenalter der Mut?
Für eine grosse strukturelle Reform fehlt uns nicht der Mut, uns fehlen die Grundlagen! Statt einfach für alle das Rentenalter anzuheben, will der Bundesrat differenzierte Lösungen vorschlagen können. Etwa das Lebensarbeitszeitmodell oder Ausnahmen für Personen, die Schwerarbeit leisten. Dafür brauchen wir qualitative Daten zur Erwerbsbiografie der Leute. Arbeiten sie Teil- oder Vollzeit? Welche Arbeit haben sie ausgeübt? Folgt auf eine Lehre später doch ein Studium? Mit der AHV 2030 schaffen wir die Entscheidungsgrundlage, damit der Bundesrat bei der nächsten Reform alternative Lösungen für das Rentenalter diskutieren kann. 

Man spricht schon sehr lange von AHV-Reformen. Warum hat man da keine Daten?
Viele Informationen wurden bisher nicht erhoben. Das will der Bundesrat jetzt ändern.

Die Daten sammeln Sie diesmal aber nicht per Fax?
Nein, Sie verteilen Ihre Zeitung ja auch nicht mehr mit der Postkutsche (lacht).

Wie lange lässt sich ein höheres Rentenalter noch hinausschieben?
Der Bundesrat will es nicht hinausschieben. Zuerst müssen wir aber verstehen, was es bringt. Ist ein höheres Rentenalter für alle sinnvoll oder doch eine Alternative wie ein Lebensarbeitszeitmodell? Der Bundesrat will diese Diskussion bei der nächsten Reform fundiert führen können. 

Wann rechnen Sie mit dieser? 2035 oder eher 2040?
Zuerst müssen wir nun die 13. AHV-Rente und die Demografie-Welle finanzieren, die ihren Höhepunkt nach 2030 erreicht. Wir setzen auf Massnahmen, die mehrheitsfähig und rasch umsetzbar sind, damit die AHV jetzt keine finanziellen Schwierigkeiten bekommt. Aber wir warten nicht einfach zu. Sobald die AHV 2030 in Kraft ist, voraussichtlich in etwa fünf Jahren, werden die Arbeiten an der nächsten Reform beginnen. Es wird schneller gehen, als Sie denken. 

Für die Finanzierung setzen Sie etwas fantasielos auf Lohnabzüge und Mehrwertsteuer. Warum sind Sie nicht mutiger – mit einer Erbschaftssteuer, Grundstückgewinnsteuer oder gar einer Digitalsteuer?
Fantasie ist schon gut. Aber der Bundesrat ist kein Labor. Wir brauchen tragfähige Lösungen. Jemand hat eine KI-Steuer zur AHV-Finanzierung vorgeschlagen. Das klingt gut. Aber wie würde diese Steuer erhoben? Wer würde sie bezahlen? Ist das mehrheitsfähig? Es gäbe sehr viele Fragen zu klären. Und das bräuchte Zeit, die wir leider nicht haben. 

Wird die AHV mit der Babyboomer-Welle noch «unreformierbarer», weil die Älteren vorwiegend abstimmen gehen und ihre Interessen durchsetzen?
Wir dürfen die Generationen nicht gegeneinander ausspielen. Die Älteren sind sehr verantwortungsbewusst und sorgen sich um die Lebensqualität der Jungen. Umgekehrt sind die Jüngeren dankbar für die Leistungen der älteren Generation. Dieser Pakt zwischen den Generationen bleibt bestehen. 

Für die AHV 2030 prüfen Sie, ob der automatische Teuerungsausgleich der AHV-Renten bestehen bleiben soll. Müssen die Seniorinnen und Senioren um die regelmässige Erhöhung ihrer AHV-Renten fürchten?
Niemand muss deswegen jetzt schon Angst haben. Der Bundesrat will für die AHV einen Mechanismus prüfen, der automatisch Mehreinnahmen erzeugt, wenn die Reserven unter eine kritische Grenze fallen. In diesem Extremszenario könnte eine temporäre Aussetzung des Teuerungsausgleichs gefordert werden. Im Moment prüfen wir die Vor- und Nachteile einer solchen Lösung. 

«Arbeiten über das Rentenalter hinaus soll attraktiver werden»
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Elisabeth Baume-Schneider:«Arbeiten über das Rentenalter hinaus soll attraktiver werden»

Sie möchten auch Anreize schaffen, damit die Leute länger erwerbstätig bleiben. Besonders heikel dabei: Sie wollen uns die Frühpensionierung vermiesen.
Für uns stehen positive Anreize im Vordergrund, wie etwa höhere Freibeträge für jene, die über das ordentliche Rentenalter hinaus arbeiten. Geprüft werden auch Weiterbildungsmöglichkeiten, damit die Leute länger im Erwerbsleben bleiben. Und ja, wir werden uns auch die Kürzungssätze beim AHV-Vorbezug anschauen.

Die AHV dominiert derzeit die Rentendebatte. Wie sieht es bei der beruflichen Vorsorge aus?
Niemand bestreitet, dass die jetzige Situation für Geringverdienende oder Teilzeit- und Mehrfachbeschäftigte ein Problem ist. Das Bewusstsein dafür ist bei allen vorhanden. Nach drei gescheiterten Reformen ist aber verständlich, wenn die verschiedenen Akteure sich mit einer neuen Reform Zeit lassen wollen.

Einen neuen Anlauf überlassen Sie damit Ihrer Nachfolge?
Vielleicht werde ich ein neues Projekt anfangen. Aber wann dieses bereit sein wird, kann man heute noch nicht sagen: Reformen der Altersvorsorge brauchen viel Zeit und viel Geduld.

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