Für die Rettung der Renten braucht es einen grossen Wurf
Die AHV würden wir heute nicht mehr erfinden

Die Schweiz hat ihre AHV einst mit Mut, Solidarität und Weitsicht eingeführt. Heute fehlt all das. Der Bundesrat präsentiert eine Reform, die keine ist. Warum der Stillstand bald Menschen in Probleme bringt und wie KI unsere Renten verändert. Eine Analyse.
Publiziert: 00:19 Uhr
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Aktualisiert: vor 33 Minuten
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Problem ungelöst: Wie werden die Renten der zukünftigen Pensionäre finanziert?
Foto: Keystone

Darum gehts

  • Die Schweiz hat das wohl beste Rentensystem der Welt
  • Heute hätte die Einführung der AHV kaum noch eine Chance
  • Die AHV-Finanzierung muss sich der digitalen Arbeitswelt anpassen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Wenn wir heute so mutig wären wie 1948, würden wir endlich die AHV grundlegend reformieren. Damals hatte die Schweiz den Mut zum Jahrhundertwerk. Nach Weltwirtschaftskrise und Krieg schufen wir ein Rentensystem, das bis heute weltweit einzigartig ist.

Die Alters- und Hinterlassenenversicherung, die wir alle mit den drei magischen Buchstaben A-H-V kennen, war ein politischer Kraftakt – getragen von Weitsicht, Solidarität und Risikobereitschaft.

77 Jahre später legt der Bundesrat eine Reform vor, die den Namen nicht verdient: mehr Lohnprozente, etwas höhere Mehrwertsteuer, ein paar Anreize für jene, die länger arbeiten. Gleichzeitig soll die Frühpensionierung still und leise unattraktiver werden.

Die Linke freuts, dass das Rentenalter nicht steigt. Dabei übersieht sie, dass dieser Stillstand vor allem jene trifft, die heute schon wenig haben – durch höhere Lohnabzüge und steigende Konsumsteuern. Wer mit 62 nicht mehr kann und gezwungen ist, frühzeitig in Rente zu gehen, wird doppelt bestraft: durch Einkommensverlust – und durch eine gekürzte Rente.

Dass die AHV mittelfristig finanziell aus dem Gleichgewicht gerät, ist unbestritten. Heute kommen knapp drei Erwerbstätige auf einen Rentner. In 25 Jahren werden es nur noch zwei sein. Ohne echte Reform droht jährlich ein Milliardenloch.

Warum fehlt der grosse Wurf?

Die Blockade kommt nicht nur von links. Von rechts werden neue Finanzierungsquellen kategorisch abgelehnt. Beide Seiten denken in Klientelinteressen, nicht im Gesamtbild. Besitzstand vor Zukunft!

Die Arbeitswelt verändert sich schneller, als unser Rentensystem erlaubt. Künstliche Intelligenz, Automatisierung und Plattformarbeit – also Jobs über Apps wie Uber oder Airbnb – verschieben die Wertschöpfung. Wert entsteht heute oft nicht mehr durch klassische Lohnarbeit, sondern durch Kapital, Algorithmen und digitale Infrastrukturen.

Doch die AHV hängt weiter an der Lohnsumme – wie ein Karren am Pferd. Ein System aus dem Industriezeitalter soll eine digitalisierte Wirtschaft finanzieren. Das kann auf Dauer nicht gut gehen.

Was wir brauchen, ist kein ideologischer Umbau, sondern ein realistisches Update.

Ein System, das Flexibilität belohnt und Sicherheit gibt. Das Care-Arbeit ernst nimmt. Das Erwerbsarbeit nicht bestraft, aber auch nicht zur einzigen Währung erklärt. Und eine Finanzierung, die breit abgestützt ist – über Löhne, aber auch über Kapital und digitale Erträge. Ohne gleich nach mehr Staat zu rufen.

Das wäre keine Revolution, nur Vernunft

Die AHV war nie bequem. Sie war ein mutiger Entscheid für das Gemeinsame – in einer Zeit, noch unsicherer als heute. Seien wir ehrlich: Die Einführung einer AHV hätte heute politisch kaum eine Chance. Ein System, das alle einbindet. In dem Junge für Alte zahlen. Reiche mit Ärmeren teilen. Staatlich organisiert, dezentral geführt. Es gäbe Dutzende Gründe, es als überrissen, zu teuer und utopisch zu versenken.

Doch 1948 hatte die Schweiz den Mut, ein geniales Rentensystem zu schaffen. Dann sollten wir heute den Mut haben, es zu erneuern.

Nicht nur, weil es nötig ist – sondern weil wir es können.

«Arbeiten über das Rentenalter hinaus soll attraktiver werden»
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Elisabeth Baume-Schneider:«Arbeiten über das Rentenalter hinaus soll attraktiver werden»
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