Gefahr vor der Haustür
Schweizer Gemeinden bauen trotz Naturrisiken munter weiter

Stürme, Überschwemmungen und Erdrutsche: Die Bedrohung durch Naturkatastrophen lässt auch die Immobilienpreise wanken.
Publiziert: 01.06.2025 um 13:43 Uhr
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Aktualisiert: 01.06.2025 um 16:10 Uhr
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2025 Naturkatastrophe in Blatten VS: Der Bergsturz am Kleinen Nesthorn stand am Anfang der Katastrophe.
Foto: Keystone

Darum gehts

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Carmen Schirm
Handelszeitung

Die Naturkatastrophe von Blatten VS erschüttert die ganze Welt. Das hinterste Dorf im Lötschental ist am Mittwoch unter einem Gletscherabbruch begraben worden. Dreihundert Dorfbewohner und eine Herde von 52 Kühen konnten rechtzeitig aus der Gefahrenzone evakuiert werden. Einzig der Besitzer einer Schafherde starb im Stall bei seinen Tieren. Der Stall lag ausserhalb der Evakuierungszone.

Blatten ist kein Einzelfall. Ähnliches spielte sich unlängst in Brienz ab. Seit vergangenem Herbst ist das kleine Dorf in der Gemeinde Albula, im Herzen Graubündens, evakuiert. Im Juni 2023 lösten sich unter lautem Gedonner rund 1,2 Millionen Kubikmeter Gestein. Der Schuttstrom kam nur wenige Meter vor dem Dorf zum Stillstand. Im Herbst des vergangenen Jahres wurde die Gemeinde erneut evakuiert.

«Mit dem Klimawandel nehmen Naturereignisse in der Schweiz an Intensität und Häufigkeit zu», sagt Rolf Meier, Bereichsleiter bei der Vereinigung Kantonaler Gebäudeversicherungen (VKG). «Jährlich verursachen Gebäudeschäden Kosten in dreistelliger Millionenhöhe.»

Es gibt kaum eine Gemeinde in der Schweiz, die nicht schon einmal von einer Naturgefahr betroffen war. Das zeigen die Zahlen der Schadendatenbank der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Seit 1972 kam es bei gerade mal 145 von insgesamt 2172 Schweizer Gemeinden zu keinem Schadensereignis aufgrund einer Naturgefahr.

Naturgefahren bedrohen jedes sechste Wohnhaus

Die Gefahren sind vielfältig: In La Chaux-de-Fonds wütete 2023 ein Sturm, der seinesgleichen suchte. Windgeschwindigkeiten von bis zu 217 Kilometern pro Stunde verwüsteten rund 5000 Gebäude und richteten Schäden in der Höhe von über 100 Millionen Franken an. In der Bündner Gemeinde Misox gab es 2024 heftige Überschwemmungen: Ein Hangrutsch spülte hier die A13 teilweise weg, die Strecke konnte erst zwei Wochen später wieder provisorisch öffnen.

2023 Sturmschäden in La Chaux-de-Fonds NE: Ein Sturm mit Windspitzen von bis zu 217 km/h zerstörte Tausende Gebäude und richtete Schäden im Wert von mehr als 100 Millionen Franken an.
Foto: Keystone

Die grösste Bedrohung – und damit auch die «teuerste Naturgefahr» – sind aber starke Niederschläge. Zwischen 1972 und 2023 waren heftige Regenfälle und das daraus resultierende Hochwasser für 87 Prozent der Gesamtschäden verantwortlich. An zweiter Stelle folgten Rutschungen. Diese sieht man nicht nur in den Alpen, sondern auch in Kantonen, in denen man nicht damit rechnen würde. Im Kanton Basel-Landschaft etwa ist jedes vierte Wohnhaus gefährdet. Grund dafür sind die dort vorherrschenden Ton- und Mergelschichten, die bei Wasseraufnahme ihre Stabilität verlieren.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

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Die Zahlen sprechen für sich. Jedes sechste Wohnhaus ist von einer Naturgefahr bedroht, wie die ZKB in einer aktuellen Immobilienstudie ausführt. Jedes hundertste Einfamilienhaus ist sogar von mehreren Naturgefahren betroffen. Am extremsten ist die Situation im Glarnerland. Dort ist die Hälfte der Wohngebäude mindestens einer Naturgefahr ausgesetzt. Es folgen die Kantone Wallis (36 Prozent), Schwyz (30 Prozent), Graubünden (29 Prozent) und St. Gallen (27 Prozent).

Bergkantone trifft es am härtesten: Wohngebäude, die von Naturgefahren betroffen sind, in Prozent.
Foto: Screenshot HZ

Gefahrenzonen führen zu hohen Werteinbussen

Dieses Gefährdungsrisiko hat seinen Preis. «Naturgefahren haben heute einen signifikanten Einfluss auf Immobilienpreise», sagt Jörn Schellenberg, Immobilienspezialist bei der ZKB. Er untersuchte die Preise von Einfamilienhäusern in Gefahrenzonen, die in den vergangenen vier Jahren auf Homegate inseriert wurden. Das Ergebnis: Die Werteinbusse für Gebäude in Gefahrenzonen mit Hochwasser beträgt durchschnittlich 2,6 Prozent. Eine ebenfalls kürzlich erschienene Studie des Immobilienberaters Wüest Partner geht von 1,8 Prozent aus. Sollte sich das Haus in einer Gefahrenzone mit Rutschungen befinden, was allmählich zu Rissen in den Wänden führen kann, beträgt die mittlere Preisreduktion 3 Prozent.

Die grössten Werteinbussen haben Hauseigentümer in Gebieten mit einer mittleren oder erheblichen Gefährdung durch Steinschläge, Fels- und Bergstürze. Sie müssen mit Preisabschlägen von 4,9 Prozent (gemäss Wüest Partner) bis 12 Prozent (gemäss ZKB) rechnen. Ein Eigenheim mit einem Preis von 2 Millionen Franken verliert somit rund 240’000 Franken an Wert.

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Preisabschläge je nach Gefahr
Foto: Screenshot HZ

Das ist bereits viel – Preisabschläge können allerdings noch höher ausfallen. «In Einzelfällen kann die Wertminderung bis zu 30 Prozent betragen», sagt Robert Weinert, Research-Leiter bei Wüest Partner. Er hat für die Untersuchung 28’000 Einfamilienhäuser analysiert, die zwischen 2022 und 2024 im Rahmen von Freihandtransaktionen ge- und verkauft wurden. Weshalb die Preisabschläge aber nur in Ausnahmefällen so viel höher sind, erklärt er mit dem Wohnungsmangel in der Schweiz. «Heute müssen Käufer froh sein, wenn sie überhaupt etwas Bezahlbares finden. Während manche den Kauf einer Liegenschaft, bei der ein Risiko für eine Überschwemmung besteht, von vornherein ausschliessen, dichten andere den Keller ab und geniessen die Nähe zum See. Ein einziger Käufer, der bereit ist, den vom Verkäufer geforderten Preis zu bezahlen, reicht, damit eine Transaktion stattfinden kann.»

Jörn Schellenberg von der ZKB nennt einen weiteren Grund, weshalb die Preisabschläge im Durchschnitt nicht höher sind: «Im Fall von Elementarschäden übernehmen die Gebäudeversicherungen den finanziellen Schaden.» Das ist insbesondere in der Schweiz wichtig, da hier ein grosser Bestand an Gebäuden in Risikogebieten steht.

Bauen an der Grenze

So wurden in 150 Gemeinden mehr als die Hälfte der Wohngebäude in der Gefahrenzone gebaut. Total entspricht das 14’000 Wohngebäuden – und es geht ähnlich weiter: «Es ist zwar nicht mehr erlaubt, in der roten Gefahrenzone zu bauen», erklärt Jörn Schellenberg. «Doch aufgrund des Bevölkerungswachstums wird immer näher an die Gefahrenzonen gebaut.»

2023 und 2024 Bergsturz in Brienz GR: Eine Gerölllawine verschüttete einen Dorfteil in Brienz. Heftige Gewitter hatten einen Murgang ausgelöst.
Foto: Keystone

Auch Hochwassergebiete scheinen für viele, die ein Haus bauen wollen, keine Abschreckung zu sein. 115’000 Gebäude befinden sich aktuell in einem Gebiet mit mittlerem Gefährdungsgrad für Hochwasser. Weitere 1966 Gebäude sind aktuell in Planung, projektiert oder bereits im Bau. 487 Gebäude sind in erheblichen Gefährdungsgebieten in Planung. Auch bei der Lawinengefahr spiegelt sich das Bild: 11’545 Gebäude stehen in Risikogebieten, 4537 gar in schwer gefährdeten Gebieten. Weitere 148 Gebäude sind geplant, 14 davon im tiefroten Bereich.

Das birgt hohe Risiken und wird, wenn etwas passiert, schnell teuer. Um sich gegen die finanziellen Folgen von Naturereignissen und Wetterrisiken zu schützen, gibt es Gebäudeversicherungen. Diese wurden vor 74 Jahren in ihrer heutigen Form eingeführt. Seither muss jede private Feuerversicherung für Gebäude automatisch die Elementarschadenversicherung einschliessen, das heisst die Deckung aller wesentlichen Naturgefahren (siehe Box).

Welche Schäden sind versichert?

Gedeckte Elementarschäden: Dazu gehören Schadenereignisse wie Sturm (Wind von mindestens 75 km/h, der in der Umgebung der versicherten Sachen Bäume umwirft oder Gebäude abdeckt), Hochwasser, Überschwemmung, Hagel, Lawinen, Schneedruck, Felssturz, Steinschlag und Erdrutsch.

Nicht gedeckte Schäden: Wasserschäden fallen in den nicht versicherten Bereich, so etwa Wasser, das infolge von Starkregen durch die Kanalisation hochdrückt oder aufgrund eines steigenden Grundwasserspiegels in Gebäude eindringt. Auch Erdbeben sind ausgeschlossen, da sie als sehr bedeutende Naturgefahr eingestuft werden, sowie Schäden, die durch Bodensenkungen, schlechten Baugrund, fehlerhafte bauliche Konstruktion, Unterlassung von Abwehrmassnahmen oder mangelhaften Gebäudeunterhalt verursacht wurden.

Gedeckte Elementarschäden: Dazu gehören Schadenereignisse wie Sturm (Wind von mindestens 75 km/h, der in der Umgebung der versicherten Sachen Bäume umwirft oder Gebäude abdeckt), Hochwasser, Überschwemmung, Hagel, Lawinen, Schneedruck, Felssturz, Steinschlag und Erdrutsch.

Nicht gedeckte Schäden: Wasserschäden fallen in den nicht versicherten Bereich, so etwa Wasser, das infolge von Starkregen durch die Kanalisation hochdrückt oder aufgrund eines steigenden Grundwasserspiegels in Gebäude eindringt. Auch Erdbeben sind ausgeschlossen, da sie als sehr bedeutende Naturgefahr eingestuft werden, sowie Schäden, die durch Bodensenkungen, schlechten Baugrund, fehlerhafte bauliche Konstruktion, Unterlassung von Abwehrmassnahmen oder mangelhaften Gebäudeunterhalt verursacht wurden.

Grund dafür war ein dramatischer Winter, wie ihn die Schweiz bis dahin nicht gesehen hatte: Es war das Jahr 1951, als es vielerorts tagelang ununterbrochen schneite. Der Schnee türmte sich bis zu zwei Meter hoch. Innert weniger Tage gingen im schweizerischen Alpenraum über tausend Lawinen ab, die fast hundert Opfer forderten. Seither gibt es in 19 Kantonen eine öffentlich-rechtliche kantonale Gebäudeversicherung. Diese ist für Immobilieneigentümer obligatorisch. In den anderen Kantonen, den sogenannten Gustavo-Kantonen (GE, UR, SZ, TI, AI, VS, OW), übernehmen Privatversicherer diese Aufgabe. In den Kantonen Genf, Tessin, Appenzell Innerrhoden und Wallis ist die Gebäudeversicherung allerdings nicht verpflichtend.

Die Versicherung greift nicht immer

Immobilien in Risikozonen? Das ist vor allem ein Risiko für Neukäuferinnen und Neukäufer, denn die Versicherer treten auf die Bremse. Die Kosten würden zwar gleich bleiben, wie Stephan Günther, Spezialist für Haushalt- und Gebäudeversicherungen bei der Mobiliar, sagt: «Die Gefahrenzone hat keine Auswirkungen auf die Prämienhöhe.» Allerdings gebe es ein anderes Problem: Elementarschäden in roten (Gefahrenzone 1) und blauen (Gefahrenzone 2) Zonen, die eine hohe oder mittlere Gefährdung darstellen, würden nur unter besonderen Auflagen versichert.

2017 Bergsturz in Bondo GR: Vor acht Jahren stürzten drei Millionen Kubikmeter Gestein ins Tal. Dabei kamen acht Wanderer ums Leben. Für 53 Millionen Franken wurden weitere Schutzbauten und eine neue Brücke erstellt.
Foto: Keystone

«Beim Abschluss einer Gebäudeversicherung sehen unsere Berater automatisch im System, ob sich die Immobilie in einer gefährlichen Zone befindet oder nicht. Eine Versicherung in roten oder blauen Zonen ist nur dann möglich, wenn der Eigentümer nachweislich Präventionsmassnahmen umsetzt.» Das können Dämme sein oder Mauern und Rampen in der Umgebung des Gebäudes, die verhindern, dass Wasser in tiefer liegende Bereiche der Gebäude fliesst.

Solche Schutzmassnahmen können ganz schön ins Geld gehen. Für ein durchschnittliches Einfamilienhaus würde eine 10 Meter lange und 1,5 Meter hohe Hochwasserschutzmauer aus Beton inklusive Fundament und Planung zwischen 20’000 und 40’000 Franken kosten. Es empfiehlt sich daher, vor einem Hauskauf einen Blick auf die Gefahrenzone zu werfen, in der sich das Haus eventuell befindet. Sonst könnte es teuer werden.

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