Andreas Brunner von den SBB
«Ein Meter Gleis kostet 3000 Franken»

Mit 5000 Leuten unterhält, pflegt und erneuert Andreas Brunner das Schienennetz der SBB. Beim Besuch auf der Grossbaustelle Bern–Freiburg erklärt der Luzerner, wie lange eine Schiene hält und warum Totalsperren für alle ein Vorteil sind.
Publiziert: 18.08.2025 um 20:25 Uhr
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Aktualisiert: 18.08.2025 um 21:34 Uhr
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Andreas Brunner am Bahnhof Flamatt FR auf der SBB-Grossbaustelle Bern-Freiburg vor einer 75-Tonnen schweren Zweischwellen-Stopfmaschine.
Foto: Remy Steiner

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Max Fischer, Remy Steiner
Schweizer Illustrierte

Täglich transportieren die SBB über 1,3 Millionen Reisende. Gerade in Ferienzeiten ist der Run auf unsere Bahnen riesig. Andreas Brunner (50) und seine Mitarbeitenden setzen alles daran, damit die Züge pünktlich und sicher fahren: Er ist Leiter Ausbau- und Erneuerungsprojekte bei den SBB. Wir treffen ihn auf der Grossbaustelle Bern–Freiburg, am Bahnhof Flamatt FR.

Artikel aus der «Schweizer Illustrierten»

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.

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Angereist sind wir von Bern aus mit einem Bahnersatzbus. Die Strecke ist acht Wochen lang für den Personenverkehr gesperrt. Das klappt tipptopp. Brunner kommt gerade zurück von Amerika. Zum ersten Mal ist er mit seiner Familie auf Wunsch der Teenager in die Ferien geflogen. Im Yellowstone-Nationalpark haben die Brunners gezeltet und Tiere beobachtet. Gefreut hat Vater Andreas, dass die Jungmannschaft zum Schluss kam: «Fliegen ist toll. Aber Zugfahren noch viel schöner. Da kann man sich bewegen und ist nicht stundenlang eingeklemmt!»

Herr Brunner, wie legen Sie fest, welche Schiene ersetzt werden muss?
Wir haben ein mehrstufiges System. Wir kennen unsere Anlagen, wir wissen, seit wann sie in Betrieb sind, und wir kennen die Lebensdauer. Zudem überwachen wir die Anlagen systematisch mit unserem Mess- und Diagnosezug und durch unsere Streckeninspektoren visuell.

Wie lange hält ein Gleis?
Eine Schiene mit Holzschwellen hat eine Lebensdauer von ungefähr 25 Jahren, Schienen mit Betonschwellen halten etwa 40 bis 50 Jahre. Bei der Schiene selber ist der seitliche Abrieb in Kurven das grösste Problem. Auf der Gotthard-Bergstrecke beispielsweise mit Personen- und Güterverkehr und vielen Kurven müssen wir die Schienen alle paar Jahre auswechseln. Bei der Fahrt geradeaus gibt es fast keine Abnutzung. Da kommt es höchstens zu Oberflächenschäden, dann müssen wir die Schienen abschleifen. Rund 3000 Kilometer Schienen schleifen wir jedes Jahr. Wenn es gar nicht mehr geht, müssen Schiene, Schwellen und Schotter ersetzt werden. Eine sogenannte Fahrbahnerneuerung ist auf Hauptstrecken etwa alle 25 Jahre notwendig.

Wie jetzt bei der Grossbaustelle Bern-Fribourg.
Genau. Wir streben vermehrt sogenannte Cluster-Baustellen an, bei denen wir gleichzeitig alles rund um die Schiene und auch gleich noch die Fahrleitungen ersetzen und die Bahnhöfe entlang der Strecke barrierefrei modernisieren. So können wir mit einer Sperre für die Züge die Bauarbeiten stark bündeln und damit deutlich schneller abschliessen.

Das ist eine Generalsanierung …
… mit entsprechenden Auswirkungen für die Reisenden. Sie müssen während acht Wochen einen Bahnersatz mit Bussen benutzen. Wir führen diese Generalsanierung in der Ferienzeit im Sommer aus. Der Ersatzbetrieb kostet uns mehrere Millionen Franken. Aber unter dem Strich ist diese Lösung für Reisende und die SBB einfacher und effizienter. Wir achten bei der Planung auch darauf, dass die Reisenden auf ihrer Fahrt beispielsweise von St. Gallen über Zürich nach Bern und weiter nach Lausanne und Genf nur einmal auf Ersatzbusse ausweichen müssen. Ohne Totalsperre würden die Arbeiten und damit die Einschränkungen für unsere Kundinnen und Kunden rund drei Jahre dauern. Bauen unter laufendem Bahnbetrieb ist sehr anspruchsvoll und kann eine grosse Gefahrenquelle sein.

Wie viele SBB-Leute sind jetzt auf der Grossbaustelle Bern-Fribourg im Einsatz?
Jeden Tag rund 200 Leute, verteilt auf verschiedene einzelne Baustellen zwischen Fribourg und Bern. Und das in einem Drei-Schicht-Betrieb rund um die Uhr und an sieben Tagen. Wenn man alle notwendigen Zulieferfirmen wie Betonwerke und Lastwagenchauffeure für den Materialtransport mitdazuzählt, sind gegen 1000 Personen Tag für Tag im Einsatz.

Brunner mit Antonio Cides. Dieser ist gerade aus den Ferien in Portugal zurück. Andreas Brunner legt 20'000 Kilometer pro Jahr mit dem Zug zurück.
Foto: Remy Steiner

Der Job im Gleisbau ist bei hochsommerlichen Temperaturen eine Tortur. Wie finden Sie trotz Fachkräftemangel Leute?
Es wird immer schwieriger. Wir versuchen, mit guten Rahmenbedingungen und erstklassigen Weiterbildungsmöglichkeiten Interessierte aus dem Tiefbau zu überzeugen und diesen attraktive Jobmöglichkeiten zu bieten. Das gute Image der SBB hilft sicher, man identifiziert sich mit unserer Bahn und ist stolz auf das Top-Produkt.

Wie viele solcher Cluster-Baustellen können Sie parallel betreiben?
Maximal zwei bis drei liegen von der Anzahl der speziellen Maschinen und der Auslastung unserer Leute her drin.

Wir waren vorhin bei der 75 Tonnen schweren Maschine, die Schottersteine verdichtet. Weshalb eigentlich Schottersteine?
In Tunneln haben wir einbetonierte Gleise. Sonst verwenden wir Schotter. Das hat den Vorteil, dass sich das Gleis einfach wieder ausrichten lässt. Über die Zeit kann es sich durch den Zugverkehr und Witterungseinflüsse leicht verschieben. Ist dies der Fall, können wir mit dieser Maschine das Gleis neu ausrichten. Dabei rammt sie Stopfhämmer in den Schotter und rüttelt die Steine quasi um den Gleisrost zurecht.

Wie viel Schottersteine benötigen Sie?
Gesamthaft verbauen wir jedes Jahr 600'000 Tonnen. Die Steine kommen aus Schweizer Schotterwerken. Wenn man diese Menge verladen würde, ergäbe das einen Schotterzug von Zürich nach Bellinzona.

Und die Schienen kommen aus Schweizer Stahlwerken?
Nein, diese sind nicht auf die Schienenproduktion ausgerichtet. Wir beziehen sie bei etablierten europäischen Herstellern. Wir können aber in unserem Bahntechnik-Center in Hägendorf gebrauchte Schienen reprofilieren, sodass sie in Nebenanlagen wiederverwendet werden können. Wenn nötig, sind wir in der Lage, Rohlinge zu Schienen zu fräsen.

Wem gehören all die Gleise?
Die Bahninfrastruktur gehört der Schweizerischen Bundesbahnen SBB AG. Diese wiederum ist im Besitz des Bundes – und damit letztlich Eigentum aller Schweizer Bürgerinnen und Bürger.

Und wie hoch ist der Preis eines Gleises?
Etwa 3000 Franken kostet es, einen Meter Gleis zu erneuern, also entsprechend drei Millionen Franken für einen Gleiskilometer.

Im Sommer Murgänge und im Winter Lawinen: Die Wetterextreme nehmen zu.
Wir haben Überwachungssysteme, die permanent in Betrieb sind. Wir setzen aber auch Drohnen ein. Diese vereinfachen vieles und helfen uns, schnell ein Bild von einer Gefahrensituation zu erhalten. Früher mussten wir dafür einen teuren Helikopter einsetzen. Klar ist eines: Der Schutz von Reisenden und Mitarbeitenden ist das A und O. Die Sicherheit geht immer vor.

7000 Kilometer umfasst das Schienennetz der SBB, was beinahe der Luftlinie zwischen der Schweiz und China entspricht.
Foto: Remy Steiner

Sind Sie selber meist im Büro – oder auch auf Baustellen anzutreffen?
Ich versuche, einmal pro Woche auf einer Baustelle zu sein. Um zu spüren, wo die Herausforderungen sind. Wo wir noch besser werden können. Für mich hat die Sicherheit oberste Priorität. Gleichzeitig interessiert mich auch der Zustand der Anlagen. Für einen kostengünstigen und effizienten Bahnbetrieb ist es wichtig, in den Unterhalt zu investieren. Klar, es braucht den steten Ausbau. Aber zuerst muss man den Unterhalt und die Erneuerung der Gleisanlagen sicherstellen.

Schauen Sie auch auf die Konkurrenz in anderen Ländern?
Das Schöne im Bahnbetrieb ist, dass wir alle keine direkten Konkurrenten sind. Ich tausche mich regelmässig mit verschiedenen Kollegen in anderen Ländern aus. Gerade wenn es um Cluster-Baustellen geht, habe ich viel von Erfahrungen in Deutschland profitiert.

Unsere nördlichen Nachbarn sind aber nicht gerade eine super Bahnnation.
Ich kann von verschiedenen Ländern viel mitnehmen. Gerade Deutschland zeigt, wie wichtig Investitionen in den Unterhalt sind. Der Unterhalt kommt vor dem Ausbau! Man muss immer darum kämpfen, dass man genügend Geld für den Unterhalt und die Erneuerung des Gleisbaus hat. Wenn man das über längere Zeit vernachlässigt, leidet man später umso mehr. Und es wird viel teurer.

Wie lange sind Sie schon Bähnler?
Über 20 Jahre. Mit Begeisterung (strahlt). Ich habe im Strassenbau angefangen, Autobahnen gebaut und bin dann zur Bahn. Gelockt hat mich das Jahrhundertprojekt Gotthard-Ceneri-Basistunnel. Ursprünglich habe ich an der ETH Kulturingenieurwesen studiert.

Wie sind Sie selber unterwegs?
Beruflich bin ich nur mit der Bahn unterwegs. Mich fasziniert das Zusammenspiel verschiedener Faktoren und die Tatsache, dass es am Schluss sicher und zuverlässig funktioniert. Es ist beeindruckend, dass solch eine Riesenorganisation Tag und Nacht pünktlich läuft. Da gibt es unzählige Menschen, die im Kundenkontakt oder im Hintergrund mit Begeisterung ihren Job machen. Einer allein hätte in einem solchen System keine Chance. Aber ein paar Leute zusammen können die Schweiz bewegen. Das ist toll!

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