Unfall-Experte verrät
Dieser Sitzplatz im Zug ist am sichersten

Verheerende Zugunfälle wie jener am Sonntag in Süddeutschland hinterlassen bei Bahnreisenden ein ungutes Gefühl. Ein Experte für Unfallanalyse erklärt, warum man sich im Zug nicht anschnallen muss, wo das Gepäck hin soll und welche Faktoren das Verletzungsrisiko senken.
Publiziert: 30.07.2025 um 11:28 Uhr
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Aktualisiert: 30.07.2025 um 13:34 Uhr
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Wo soll man sich im Zug hinsetzen, damit man besonders sicher reist?
Foto: Keystone

Darum gehts

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Sylvie KempaRedaktorin Service

Bei einem Unfall sind die Überlebenschancen im hintersten Drittel eines Flugzeugs am grössten. Im Auto kommt meist der Lenker am glimpflichsten davon. Das zeigt die Statistik. Nach einem verheerenden Zugunglück in Süddeutschland stellt sich die Frage: Gibt es auch auf Bahnreisen einen sichersten Platz?

Heinz Reber ist Bereichsleiter Unfallanalyse im Dynamic Test Center DTC, einem Schweizer Kompetenzzentrum für die Sicherheit in der Luft, auf der Schiene und auf der Strasse.
Foto: zVg

Die Antwort kennt Unfallanalytiker Heinz Reber (58) vom Dynamic Test Center DTC im Berner Jura.

Blick: Wenn Sie in einen Zug einsteigen, wo fühlen Sie sich am sichersten?
Heinz Reber: Ganz ehrlich: Ich denke im Zug nicht gross an Risiken. Die Bahn ist nachweislich das sicherste Verkehrsmittel in Europa – mit Abstand. Eine Analyse der deutschen Allianz pro Schiene zeigt: Zugpassagiere haben ein 56 Mal geringeres Risiko, tödlich zu verunfallen, als Autofahrende. Das Verletzungsrisiko ist sogar 105-mal kleiner.

Warum passiert auf Schienen so wenig?
Weil ein Zug dort fährt, wo er soll, nämlich den Geleisen entlang. Und weil in der Zugführerkabine sehr gut ausgebildete Menschen sitzen, die klare Sicherheitsprotokolle befolgen – im Gegensatz zum Strassenverkehr.

Weniger Unfälle heisst auch: weniger Daten. Wie gut sind Zugunfälle erforscht?
Pro Jahr werden Zehntausende Unfälle im Strassenverkehr statistisch erfasst. So zeigen sich klare Risikomuster. Bei Zugunfällen ist das anders: Sie sind so selten, dass die Datenlage zu dünn ist, um verlässliche statistische Schlüsse zu ziehen. Die Sicherheitsuntersuchungsstelle des Bundes SUST dokumentiert jedoch jeden Vorfall im öffentlichen Verkehr, analysiert die Ereignisse und prüft, ob daraus Massnahmen abgeleitet werden können. Die Berichte sind öffentlich einsehbar. Wer will, kann sich selbst ein Bild machen.

Welche Schlüsse ziehen Sie daraus, wenn Sie den sichersten Platz im Zug benennen müssten?
Einen eindeutig sichersten Bereich im Zug gibt es nicht. Je nach Unfallszenario wirken unterschiedliche Kräfte: Bei einer Frontalkollision ist das Ende des Zuges am sichersten. Im Fall eines Auffahrunfalls die Spitze. Bei einer Entgleisung oder Streifung sind wieder andere Zonen gefährdet. Am sichersten ist es dort, wo die grösste Distanz zum Ereignisort vorliegt.

Ein Fensterplatz ist im Zug potenziell weniger sicher als ein Sitz am Gang.
Foto: imago images / Science Photo Library

Unfälle haben eine starke Verlangsamung der Fahrgeschwindigkeit zur Folge. Lässt sich daraus ableiten, dass Rückwärtsfahrende sicherer unterwegs sind?
Das ist tatsächlich so. Wenn der Zug abrupt bremst, stützt die Rückenlehne den Oberkörper gut ab. Wer in Fahrtrichtung sitzt, kann hingegen durch eine Bremsung vorwärts geschleudert werden.

Fenster oder Gang?
Am Fenster sitzt man näher an einer potenziellen Krafteinwirkung, deswegen ist ein Gangplatz in der Tendenz sicherer bei einer seitlichen Kollision oder Streifung.

Im Flugzeug muss das Handgepäck unter den Sitz. Würde diese Regel auch den Zug sicherer machen?
Auf jeden Fall. Schwere Gegenstände gehören nicht lose auf Sitzflächen. Auch nicht auf die Ablage über den Köpfen. Sie könnten bei einer abrupten Bremsung durch den Wagen fliegen. Idealerweise verstaut man solche Dinge unter dem Sitz oder zwischen den Sitzreihen.

Warum muss man sich im Zug nicht anschnallen?
Diese Frage habe ich mir ehrlich gesagt noch nie gestellt. Der Sicherheitsgewinn wäre vermutlich gering. Im Zug ist eine enorme Masse unterwegs – sie bewegt sich viel träger als ein Auto und bremst auch deutlich langsamer. Das bedeutet: Die Kräfte, die dabei auf Passagiere wirken, sind im Normalfall schwächer. Selbst wenn ein Zug bei einem Bahnübergang ein Auto streift – was immer wieder vorkommt –, spürt man im Waggon meist nur eine leichte Erschütterung. Anders sieht es bei Entgleisungen aus.

Gibt es in Zugwaggons Strukturen, die bei einem Unfall die Krafteinwirkung abfangen?
Durch die Komposition eines Zuges mit mehreren Wagen ergibt sich dieser Effekt zum Teil von selbst. Ob auch die Wagenkästen definierte Knautschzonen haben, entzieht sich meiner Kenntnis. Sicher ist aber, dass sie bestimmte Festigkeitsanforderungen erfüllen müssen – besonders in der Wagenmitte.

In Riedlingen, im deutschen Bundesland Baden-Württemberg, ist am Sonntagabend ein Personenzug entgleist – vermutlich wegen eines Erdrutschs. Drei Personen kamen ums Leben, mehrere Dutzend wurden verletzt.
Foto: keystone-sda.ch

Am sichersten reise ich im Zug also, wenn ich mein Gepäck verstaue und einen rückwärtsgerichteten Gangplatz in der Wagenmitte wähle, dessen gegenüberliegender Sitz frei bleibt, damit mir niemand entgegenfliegt.
Dem stimme ich zu.

Was, wenn alle Plätze besetzt sind?
Der wichtigste Punkt: Man sollte sich hinsetzen, wenn es geht. Wer steht, hat ein erhöhtes Verletzungsrisiko, denn auf zwei Beinen ist man weniger stabil und fällt höher.

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