Darum gehts
Das Gespräch ist einige Minuten alt, als sich Oliver lautstark im Hintergrund meldet. Oliver? Das ist Stefan Bisseggers zweijähriger Sohn. Er freut sich, dass sein Papi daheim ist. Der 26-jährige Thurgauer wäre allerdings lieber woanders – an der Tour de France. «Ich bin noch immer enttäuscht, dass ich schon in der ersten Etappe gestürzt bin und aufgeben musste. Nur allzu gern wäre ich das Zeitfahren am Mittwoch gefahren und natürlich auch den Rest der Rundfahrt. Aber das ist halt das Berufsrisiko, mit dem ich lebe.»
Bissegger erlitt bei seinem Crash eine mittelschwere Gehirnerschütterung. «Zwei Tage lag ich in einem dunklen Loch und schlief bis zu 15 Stunden am Tag. Allerdings nicht am Stück, was mühsam war. Ich wachte immer wieder auf.»
Warum er so viel Zeit ohne Tageslicht im Zimmer daheim verbrachte? Er reagierte sensibel auf jede Art von Reiz. «Neueste Studien sagen zwar, dass es besser wäre, Spaziergänge zu machen. Aber ich ertrug das nicht.» Damit er seine Ruhe hatte, fuhr Ehefrau Céline mit dem Söhnchen in den Zoo. «Das war ideal», so Bissegger.
Als es schüttelt, wird ihm schlecht
Doch was geschah am vergangenen Samstag eigentlich genau? Es ist das erste Mal, dass Bissegger darüber sprechen mag. «Jemand fiel vor mir um, ich konnte nicht bremsen. Danach machte ich in der Luft eine 180-Grad-Drehung und knallte mit dem Hinterkopf auf den Asphalt», so der Zeitfahr-Europameister von 2022. Den Sturz gibt es auf Video nicht, es waren keine TV-Kameras da. Dennoch gibt es Bilder von den Szenen danach. Man erkennt, wie ein Zuschauer Bissegger stützt. Er ist sichtlich benommen, zieht einen Gartenstuhl heran und wird vom Rennarzt untersucht.
«Danach fuhr ich 60 Kilometer weiter. Doch bei einem Abschnitt mit Pavés schüttelte es und mir wurde schlecht. Die Ambulanz war gleich hinter mir, ich wurde noch mal gecheckt.» Bissegger musste dabei die Augen schliessen und öffnen und Finger verfolgen. Dazu wurde seine Reaktion getestet, der Siebte von Paris-Roubaix musste auf einem Bein stehen. «Ich versuchte es danach erneut, hatte aber überhaupt keine Kraft in den Beinen und stieg aus.»
Keine Blutungen im Gehirn
Eine Computertomografie im Spital zeigte, dass Bissegger keine Blutungen im Gehirn hatte. «Und mittlerweile habe ich das Schlimmste überwunden, bin nicht mehr so sensitiv gegenüber Reizen.» Am Mittwoch schaute er sich sogar Teile des Tour-Zeitfahrens im TV an. Hat ihm dabei nicht das Herz geblutet? «Es ist schade, klar. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte ich ganz andere Sorgen.»
Mittlerweile geht es Bissegger besser. Er tastet sich nach und nach wieder heran. Derzeit trainiert er zu Hause auf der Rolle, kommende Woche möchte er nach draussen. Wichtig ist, dass er nicht übertreibt. «Es wäre nicht ideal, wenn ich irgendwo auf der Schwägalp stehenbleiben würde, weil mir schlecht ist.» Stress habe er jedenfalls nicht, so Bissegger. «Zuerst will ich ganz gesund werden, erst danach schaue ich mit dem Team, welche Rennen für mich Sinn machen.»