«Das ist alarmierend»
Experten fordern besseren Kopfschutz nach Bissegger-Sturz

Für Stefan Bissegger (26) endete die Tour de France schon während der ersten Etappe. Er erlitt eine Gehirnerschütterung. Nati-Trainer Michael Schär und der Sportarzt Thorsten Hammer sehen beim Thema Kopfschutz noch viel Luft nach oben. Bloss: Es tut sich fast nichts.
Publiziert: 19:04 Uhr
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Aktualisiert: 21:15 Uhr
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Für Stefan Bissegger war die Tour de France zu Ende, bevor sie überhaupt richtig begonnen hatte. Er stürzte in der ersten Etappe und schied mit einer Gehirnerschütterung aus.
Foto: Screenshot Eurosport

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Mathias GermannReporter Sport

Er knallt mit dem Kopf auf den Asphalt, bleibt kurz liegen, rappelt sich auf, ein Zuschauer stützt ihn. Stefan Bissegger (26) ist sichtlich benommen, er zieht den Gartenstuhl eines Fans heran, setzt sich hin, wird vom Rennarzt untersucht. Kurz darauf ist klar: Die Tour de France ist für den Thurgauer vorbei, er muss in der allerersten Etappe aufgeben. Im Etappenbulletin steht letztlich neben seinem Namen: «Traumatisme crânien. Protocole commotion. Abandon.» Auf Deutsch: «Schädeltrauma. Protokoll der Gehirnerschütterung. Aufgabe.»

Bissegger ist mit dieser Diagnose nicht allein. Auch Filippo Ganna (28), zweifacher Zeitfahrweltmeister aus Italien, scheidet in der ersten Etappe mit einer Gehirnerschütterung aus.

Seit 2020 steigt die Anzahl Verletzungen im Profiradsport an. In Zahlen: 141, 191, 248, 296, 327. In diesem Jahr sind es gemäss «Pro Cycling Stats» bereits 253 – gut möglich, dass bis Ende der Saison ein nächster Negativrekord erzielt wird. Die allermeisten Verletzungen betreffen das Schlüsselbein – ein Klassiker unter Radfahrern.

Ein Bruch des Schlüsselbein erlitten 2025 auch Noemi Rüegg (24) und Jan Christen (21). Während sie wenige Wochen später schon ins Renngeschehen zurückkehren konnten, haben Kopfverletzungen dagegen oft weitreichendere Folgen. Denn: Ist das Gehirn betroffen, sind meistens weder Heilungsverlauf noch Langzeitfolgen vorhersehbar.

Trainer Schär: «Da hinken wir hinterher»

Die Statistik zeigt: Nach Schlüsselbeinbrüchen (784) sind Gehirnerschütterungen (158) die zweithäufigste Verletzung bei Veloprofis seit 2014. Bissegger und Ganna sind also keine Ausnahme. Da stellt sich die Frage: Sind die Fahrer am Kopf genügend geschützt?

Die UCI führte 2003 die Helmpflicht ein. Für Nati-Trainer Michael Schär (38), der 18 Jahre lang im Peloton fuhr und vorletztes Jahr seine Karriere beendete, ist klar: «Eine echte Entwicklung der Helme fand nicht statt.» Ja, sie seien leichter und luftdurchlässiger als früher, so Schär. «Aber wenn ich daran denke, wie wir in anderen Bereichen des Radsports Fortschritte gemacht haben, muss ich sagen: Beim Thema Helm hinken wir hinterher. Das ist alarmierend.»

Das sieht Thorsten Hammer ähnlich. Der Deutsche ist einer der renommiertesten Notfallmediziner bei Sportverletzungen und war von 2008 bis 2018 Rennarzt der Tour de Suisse. «Michael Schär hat völlig recht. Die Teams investieren monetär und personell so viel in die Ausnutzung aller Möglichkeiten – sei es bei der Technik, beim Material, bei der Ernährung, bei der Leistungsfähigkeit der Athleten oder in ihrer Positionierung auf dem Rad. Aber bei der Sicherheit wäre viel mehr wünschenswert und auch möglich», so Hammer.

American Football als Vorbild

Doch was könnte man am Helm verbessern? Schär nennt das Beispiel American Football. «Da hat man in den letzten fünf Jahren die Anzahl Gehirnerschütterungen um 25 Prozent reduziert. Nur dank neuen Helmen. Diese werden mittels 3D-Technik auf jede Kopfform genau angepasst und enthalten Chips, um herauszufinden, wie heftig welche Schläge sind.»

Auch der Kopf-Airbag wäre für Schär und Hammer eine Option, die man genau anschauen müsste. Hierbei tragen Velofahrer eine Halskrause, die sich innert 80 Millisekunden aufbläht und um den Kopf stülpt. Federführend ist dabei das schwedische Unternehmen Hövding.

Tests mit Dummies und Stuntmen haben ergeben, dass zum Beispiel bei einem Salto über den Lenker das System sehr gut funktioniert. Das System hat aber auch Schwächen – zum Beispiel, wenn ein Velofahrer direkt in die offene Türe eines SUV donnert. In diesem Fall wäre der Helm besser.

Für Schär und Hammer ist klar: Der Kopf-Airbag ist mehr als nur eine Überlegung wert. Wenn er sich eines Tages gar mit dem 3D-Technik-Helm kombinieren liesse, sowieso. Fakt ist: Es braucht beim Kopfschutz weitere Verbesserungen – nicht irgendwann, sondern so schnell wie möglich.

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