Darum gehts
- Robin Gemperle gewinnt Ultracycling-Rennen von Kanada nach Mexiko
- Auf der Stecke musste er Waldbränden und Bären ausweichen
- Er legte mit dem Fahrrad über 4'300 Kilometer in 11 Tagen und 19 Stunden zurück
Als Blick Robin Gemperle bei ihm zu Hause trifft, kommt er mitten in der Altstadt von Aarau mit dem Lastenvelo angefahren. Erst am Tag zuvor ist er aus New Mexico (USA) in die Schweiz zurückgekehrt. «Wir haben nach meiner Ankunft noch ein wenig gefeiert», sagt Robin, als er auf die leeren Flaschen im Velo angesprochen wird.
Härter als die Tour de France?
Gemperle hat Grund genug zum Feiern. Er hat die Tour Divide, ein Ultra-Bikepacking-Rennen, in überlegener Manier gewonnen. Niemand konnte ihm auf der über 4’300 Kilometer langen Strecke entlang der atlantisch-pazifischen Wasserscheide das Wasser reichen. In 11 Tagen und 19 Stunden fuhr er von Banff (Kanada) an die mexikanische Grenze nach Antelope Wells (New Mexico, USA). Trotzdem ist Gemperle schon wieder topfit. «Heute Nachmittag mache ich noch eine Runde auf dem Mountainbike», sagt er ganz locker.
Zum Vergleich: Die Fahrer der Tour de France absolvieren in der diesjährigen Ausgabe 3’320 Kilometer, verteilt auf 21 Etappen. Der ehemalige Teamkollege von Nino Schurter legte seine Ultra-Distanz in nur 12 Etappen zurück, dazu kamen noch circa 50’000 Höhenmeter. Ziemlich genau so viele wie an der populärsten Landesrundfahrt.
Gemperle ist sich bewusst, dass dieser Vergleich zwangsläufig gemacht wird. Trotzdem sagt er: «Eigentlich kann man den Vergleich nicht machen. An der ‹Tour› mitzufahren, ist Krieg.» Der grösste Unterschied für Robin: «An der Tour de France versuchen die Fahrer, so schnell wie möglich zu fahren. Ich hingegen versuche, so weit wie möglich zu kommen.»
Die logische Folge, wenn man jeden Tag weiter als die Konkurrenz fährt: Gemperle gewinnt Rennen um Rennen in der Ultracycling-Szene und bleibt unangetastet.
Der Pfefferspray gegen die Bären war immer griffbereit
Bei der Tour Divide absolviert er mit seinem persönlich modifizierten Mountainbike im Schnitt 360 Kilometer pro Tag. Das ist vergleichbar mit der Distanz quer durch die Schweiz, von Genf nach St. Gallen. Nicht vergleichbar mit der Schweiz sind jedoch die Naturgegebenheiten in der nordamerikanischen Pampa. «Im Bundesstaat Montana durchqueren wir während der Tour die Gegend mit der grössten Bärendichte Amerikas.»
Gemperle hatte glücklicherweise kein Rencontre mit einem Grizzly. Doch solche Angriffe hat es in vergangenen Ausgaben auf der Tour Divide auch schon gegeben. Gemperle: «Erst als ich meinen Bärenspray weglegen wollte, traf ich völlig überraschend auf einen Schwarzbären.» Einsetzen musste er den Spray glücklicherweise nicht. Er fügt aber an: «Einmal wurde ich an einem Rennen von einem Hund gebissen.»
Für den Bären musste Gemperle keinen Umweg machen, doch wegen der tobenden Waldbrände in New Mexico war er gezwungen, einige zusätzliche Kilometer zu fahren. «Kurz hat es mich ein bisschen stinkig gemacht, doch das Tief konnte ich schnell überwinden.»
Klar denken wird zur Herausforderung
Während seines 12-tägigen Abenteuers schlief Gemperle im Schnitt etwa vier Stunden. «Wichtig ist, dass man eine gute Balance findet: Wenn du zu wenig schläfst, nimmt die Leistung drastisch ab», verrät Gemperle. Dies merkt der Tour-Divide-Sieger vor allem bei der Rechenleistung im Kopf: «Da kann es dann auch gerne mal 30 Minuten gehen, um auszurechnen, wie weit 340 plus 240 Kilometer sind.»
Seit der studierte Architekt den Sport profimässig betreibt und nebenbei noch 20 Prozent als Fitnesscoach Trainingspläne schreibt, gönnt er sich für die kurzen Nächte jeweils ein Hotel. Auf der Tour Divide schlief er trotzdem zweimal auf dem Boden: «Einmal bin ich aus Versehen am Hotel vorbeigefahren, und in der letzten Nacht wollte ich nur so kurz wie möglich schlafen, da war das Ende schon so nah.»
Hilfe von aussen darf Gemperle während der Rennen nicht annehmen. In der Bikepacking-Szene gibt es die einfache Regel: «Alles, was alle anderen Teilnehmer in Anspruch nehmen können, darf man auch benutzen.»
Heisst: Wenn Gemperle am Strassenrand eine Flasche Wasser übergeben wird, darf er diese nicht annehmen. So kommt es, dass er sich auf solchen Touren meist von Tankstellen-Food ernährt: «Wenn ich jeweils eine Tankstelle erreichte, füllte ich meine Trikottaschen mit Snickers und Corn Dogs.»
Beim nächsten Rennen wird die Luft dünn
Für sein nächstes Projekt reist Robin im August nach Kirgistan. «Am legendären Silk Road Mountain Race gibt es dann noch weniger zu essen», sagt Gemperle. Und auch die Höhe wird eine grosse Herausforderung. Das Rennen findet im Schnitt auf über 3’000 Metern über dem Meer statt. Oft sind die Fahrer auf über 4'000 Metern.
Gemperle schläft deshalb nun in einem Höhenzelt. Dies erlaubt ihm, die Höhe zu simulieren und seinen Körper zu akklimatisieren. Der Aargauer ist zuversichtlich für das Projekt, das ihn schon seit Beginn seiner Ultra-Karriere verfolgt: «Lange habe ich es mir nicht zugetraut, doch jetzt fühle ich mich bereit.»