«Wollte alles hinschmeissen»
Kastriot Imeri packt über dunkle Zeit in Bern aus

Fussballkünstler, Nationalspieler und Millionentransfer: Für Kastriot Imeri (25) stand die Türe zu einer grossen Karriere weit offen. Dann folgten grosse Rückschläge. In Thun nimmt er einen neuen Anlauf. Vor dem Derby gegen YB (Sonntag, 14 Uhr) lässt er tief blicken.
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Foto: Pius Koller
Thun-Zuzug Kastriot Imeri packt über dunkle Zeit in Bern aus

Darum gehts

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Simon StrimerReporter & Redaktor Sport
Publiziert: 11:30 Uhr
|
Aktualisiert: 12:17 Uhr

Blick: Kastriot Imeri, vor Ihrem Wechsel nach Thun waren Sie schon 60, 70 Mal hier. Das müssen Sie uns erklären, als Genfer.
Kastriot Imeri: Das stimmt, weil ein grosser Teil meiner Verwandtschaft in Thun lebt. Alle meine Onkel und Tanten väterlicherseits. Schon als kleiner Junge war ich oft hier.

Was ist dann passiert, als Ihr Transfer von YB zu Thun fix wurde?
Meinem Grossonkel in Thun stehe ich sehr nahe. Nach der Vertragsunterzeichnung war er der Erste, der mich gesehen hat. Ich ging direkt mit ihm einen Kaffee trinken. Aber er wusste schon alles, weil er mit meinem Vater telefoniert hatte.

Stichwort Familie. Stimmt es, dass Sie damals in Genf noch lange das Zimmer mit Ihrem kleinen Bruder geteilt haben?
Zuerst habe ich das Zimmer im Elternhaus mit meiner grossen Schwester geteilt. Dann hat sie ihren Mann geheiratet und ist ausgezogen. Also teilte ich das Zimmer mit meinem kleinen Bruder.

So schiesst der Thuner Standardspezialist seine Freistösse
1:32
Imeri gibt Profi-Tipps:So schiesst der Thuner Standardspezialist seine Freistösse

War das bis zu Ihrem Wechsel zu YB im Sommer 2022 so?
Ja, bis ich 21 war, habe ich mit meinem kleinen Bruder im gleichen Zimmer geschlafen.

Eine einzigartige Geschichte. Sie waren damals schon jahrelang Profifussballer.
Schon als 17-Jähriger war ich Profi. Da habe ich das Zimmer noch mit meiner Schwester geteilt. Und dann gab es eben den Wechsel zu meinem Bruder. Eine schöne Geschichte, die unseren Familienzusammenhalt zeigt. Ich schaue gerne auf diese Zeit zurück.

Zurück zu Thun. Wie kam es zu diesem Transfer?
Ich habe viel mit Trainer Mauro Lustrinelli gesprochen, den ich von der Zeit in der U21-Nati her sehr gut kenne und schätze. Wir haben mehrmals telefoniert. Er war mein erster Kontakt und spielt eine grosse Rolle bei diesem Transfer. Aber ich danke allen Beteiligten für ihr Vertrauen.

Standardkönig: Kaum in Thun angekommen, ist er schon ein Mann für die Freistösse und Ecken.
Foto: Pius Koller

Thun mischt als Aufsteiger vorne mit. Erkennen Sie als Neuzugang, was dahintersteckt?
Die Spieler hier wissen, dass sie technisch vielleicht nicht auf dem Niveau von Basel, YB, Servette und so weiter sind. Aber hier gibts eine Energie, die ich noch nirgendwo sonst gespürt habe.

Tatsächlich?
Ja. Alle wollen das Gleiche. Ich glaube, dass niemand für etwas kämpfen will, wenn es keinen Grund dafür gibt. Hier gibts einen starken Grund: die Familie, die der Klub ist. Mehr sage ich nicht, weil die anderen Mannschaften dann beginnen, es zu verstehen.

Kastriot Imeri persönlich

Als Sohn kosovarischer Einwanderer wächst Kastriot Imeri (25) in Meyrin auf, einem Vorort von Genf. Seine Eltern arbeiten als Putzkräfte, während Imeri nur eines im Kopf hat: Fussball. Bei Servette debütiert er als 16-Jähriger bei den Profis, steigt 2019 in die Super League auf. Im November 2021 macht er unter Murat Yakin sein erstes und bisher einziges Nati-Spiel. Im Sommer 2022 macht ihn YB mit rund 3,5 Millionen Franken Ablöse zum landesinternen Rekordtransfer. Nach drei enttäuschenden Jahren bei YB wechselte er diesen Sommer leihweise mit Kaufoption zu Thun. Imeri hat eine ältere Schwester und einen jüngeren Bruder, der bei Servette in der U17 kickt.

Als Sohn kosovarischer Einwanderer wächst Kastriot Imeri (25) in Meyrin auf, einem Vorort von Genf. Seine Eltern arbeiten als Putzkräfte, während Imeri nur eines im Kopf hat: Fussball. Bei Servette debütiert er als 16-Jähriger bei den Profis, steigt 2019 in die Super League auf. Im November 2021 macht er unter Murat Yakin sein erstes und bisher einziges Nati-Spiel. Im Sommer 2022 macht ihn YB mit rund 3,5 Millionen Franken Ablöse zum landesinternen Rekordtransfer. Nach drei enttäuschenden Jahren bei YB wechselte er diesen Sommer leihweise mit Kaufoption zu Thun. Imeri hat eine ältere Schwester und einen jüngeren Bruder, der bei Servette in der U17 kickt.

Warum hat es bei YB nicht so funktioniert, wie vorgesehen? Sie waren der Rekordtransfer innerhalb der Schweiz, als Sie 2022 nach Bern wechselten.
In der ersten Saison waren meine Statistiken zwar nicht überragend, aber auch nicht schlecht. In der zweiten hatte ich die grosse Knieverletzung und Operationen. Und die Konkurrenz im Team war enorm. Aber YB hat mir nichts getan, ich habe YB nichts getan, es hat einfach nicht so gut funktioniert. Ich habe sehr viel gelernt in dieser Zeit.

Man konnte vernehmen, dass die Knieverletzung Ihnen damals mental zu schaffen machte.
Ich habe mein Bein nicht wiedererkannt, 60, 70 Prozent meiner Muskeln verloren. Du musst zu Hause bleiben und darfst dich nicht bewegen. Dazu war es noch Winter und um 17 Uhr dunkel. Das war hart, wie auch die Arbeit für die Rückkehr. Aber noch komplizierter war das Mentale, ja. Zum Glück hatte ich meine Familie. Ich kann sagen, dass ich sie sehr oft angerufen und am Telefon manchmal auch geweint habe. Ich habe gesagt, dass ich es satthabe. Nach einer Verletzung reiht sich eine an die nächste. An einem bestimmten Punkt ist man dann so weit, alles hinschmeissen zu wollen.

Drei vergesse Derby-Momente

1. November 2000 – Ein 8:2 für den Aufstieg
Thun gibt nach zwei Führungen her. Jungspund Marc Schneider fliegt vom Platz. Zu viel für den wütenden Thun-Trainer Georges Bregy, der auf die Tribüne verbannt wird. Das Resultat? 8:2 für YB in der Nati B. Danach steigt YB ins Oberhaus auf.

8. Dezember 2013 – Ein Stern verblasst, ein anderer geht auf
YB-Goalielegende Marco Wölfli ist untröstlich, als er auf der Bahre vom Platz getragen wird. Achillessehne kaputt, WM-Träume futsch. Sein Misstritt beim 0:1 in Thun ist sein Ende als fixe Nummer 1 bei den Stadtbernern. Gleichzeitig geht Stern von Nachfolger Yvon Mvogo auf, damals 19.

3. Dezember 2017 – Angstgegner in der Meistersaison
Nach einem 4:0 in Bern gewinnt Thun auch das zweite Duell klar: 3:1. Marc Schneider ist mittlerweile Trainer und coacht YB mit mutigem Pressing aus. Erstaunlich: Es läuft jene Saison, in der YB erstmals nach 32 Jahren wieder Meister wird und Goalie Wölfli als Meisterheld einen zweiten Frühling erlebt.

1. November 2000 – Ein 8:2 für den Aufstieg
Thun gibt nach zwei Führungen her. Jungspund Marc Schneider fliegt vom Platz. Zu viel für den wütenden Thun-Trainer Georges Bregy, der auf die Tribüne verbannt wird. Das Resultat? 8:2 für YB in der Nati B. Danach steigt YB ins Oberhaus auf.

8. Dezember 2013 – Ein Stern verblasst, ein anderer geht auf
YB-Goalielegende Marco Wölfli ist untröstlich, als er auf der Bahre vom Platz getragen wird. Achillessehne kaputt, WM-Träume futsch. Sein Misstritt beim 0:1 in Thun ist sein Ende als fixe Nummer 1 bei den Stadtbernern. Gleichzeitig geht Stern von Nachfolger Yvon Mvogo auf, damals 19.

3. Dezember 2017 – Angstgegner in der Meistersaison
Nach einem 4:0 in Bern gewinnt Thun auch das zweite Duell klar: 3:1. Marc Schneider ist mittlerweile Trainer und coacht YB mit mutigem Pressing aus. Erstaunlich: Es läuft jene Saison, in der YB erstmals nach 32 Jahren wieder Meister wird und Goalie Wölfli als Meisterheld einen zweiten Frühling erlebt.

Waren Sie wirklich nahe dran, alles hinzuschmeissen?
Ich hatte genug vom Fussball. Und ich glaube, dass viele Fussballer irgendwann in ihrer Karriere Ähnliches durchmachen. Tatsächlich aufhören? Das würde ich trotzdem nicht tun. Es bleibt meine Leidenschaft, meine Arbeit. Aber es gab Momente, in denen ich aufgeben wollte. Genau in solchen Momenten habe ich mental einen Schub bekommen. Und eben, zum Glück war meine Familie da.

Sind die Eltern oft von Genf nach Bern gefahren, um bei Ihnen zu sein?
Ja. Sie haben Enormes geleistet. Oft ging es mir nicht gut. Und ich bin einer, der meine negativen Emotionen versteckt. Wenn ich zufrieden bin, sieht man es. Wenn nicht, spürt man es, aber sieht es nicht. Aber weil mich meine Eltern aufgezogen haben, haben sie jedes Mal erkannt, wenn es mir schlecht ging.

Und dann?
Sie zögerten nicht, nach der Arbeit ins Auto zu steigen, um bei mir zu sein – um dann in der Nacht wieder von Bern nach Hause zu fahren. Im Wissen, dass mein Vater jeden Morgen um 6 Uhr aufsteht, um zur Arbeit zu gehen. Er kam um 2 Uhr, 3 Uhr, 4 Uhr morgens nach Hause. Ich bin jeden Tag dankbar für sie.

Erinnerungen an früher kommen auf, als Blick Imeri ein Bild von 2018 aus Servette-Zeiten zeigt. Das Bild ist weiter unten ersichtlich.
Foto: Pius Koller

Imeri: Wow, das war bei einem meiner ersten Interviews.

Ich zeige Ihnen das Bild, weil Sie damals nach Ihren Karrierezielen gefragt wurden. Anders als die meisten Fussballer nannten Sie keinen Klub, sondern das Ziel, dass Ihre Eltern nicht mehr arbeiten müssen. Wie sieht es aus?
Alle Fussballer, die um den Stellenwert einer Familie wissen, denken so, wie ich. Sie wollen die Familie unterstützen. Selbst wenn die Eltern das Geld ihrer Kinder nicht haben wollen. Ich habe immer noch die gleiche Ambition wie damals. Mein Vater arbeitet zwar noch, denn meine Eltern wollen ihren Lebensunterhalt selber verdienen. Das ist gut, weil es mir zeigt, dass ich eine sehr eng verbundene Familie habe und das Geld zweitrangig ist. Aber ich habe es geschafft, dass meine Mutter nicht mehr arbeiten muss.

Darauf sind Sie stolz, oder?
Ja, sehr. Ich weiss, woher ich komme. Es war nicht einfach. Als 13- bis 14-Jähriger war ich einer der technisch Schwächsten bei Servette.

Wirklich? Das ist heute kaum zu glauben.
Ja, ich brachte bloss den Biss mit. Auf dem Feld war ich ein Pitbull. Ich arbeitete dann individuell sehr viel, um mir die Technik anzueignen und die speziellen Fähigkeiten wie meine Standards.

Kastriot Imeri im Jahr 2018. Das Bild aus seiner Heimat Meyrin bedeutet ihm sehr viel.
Foto: Servette FC

Imeri: Das Bild macht etwas mit mir. Das ist mein Wohnhaus, in dem ich als kleiner Junge aufgewachsen bin. Und direkt dahinter lag die Schule. Immer wenn es regnete oder schneite, ging ich in die Schule. Wenn das Wetter schön war, ging ich aber zum Stadion. Bis 23 Uhr war ich jeweils draussen. Jeden Tag. Sechs, sieben Jahre lang. Oft auch alleine. Mein Vater hat mir nie Trainingshütchen oder so gekauft. Ich habe immer in Mülltonnen nach Flaschen gesucht und diese auf den Boden gestellt, um Slalomläufe zu trainieren. Später habe ich mir als einziger Bub im Quartier die Möglichkeit erspielt, mit den 24-, 25-Jährigen bis spätabends zu kicken. Ich war damals 12, 13. Deshalb sage ich: Ich weiss, woher ich komme.

Oft hört man über Sie, Sie seien ein sensibler Spieler, noch mehr als andere. Einer, der ein stabiles Umfeld im Klub brauche, um Leistung abzurufen. Akzeptieren Sie das – oder wehren Sie sich dagegen?
Ich bin kein Monster ohne Gefühle. Aber zu sagen, dass ich in einem gut behüteten Umfeld sein muss, um auf dem Platz stark zu sein? Das würde ich so nicht bestätigen. Bei Servette habe ich zwei, drei Jahre auf der Bank gesessen und gewartet. Aber nie aufgegeben. Und ich habe in den letzten Jahren viel gelernt. Wenn jemand als 21-Jähriger erstmals ganz alleine wohnt, ist das beim ersten Mal herausfordernd, wenn man bedenkt, dass ich ein sehr familienorientierter Mensch bin. Aber eigentlich ist es cool, dass die Leute so denken, denn es zeigt mir, dass ich mein Innenleben gut verstecke.

Sie haben Geheimnisse?
Ja, wie jeder sie hat. Und vor allem, wie jeder Zauberer sie hat.

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Neue Farben: Seit August ist Kastriot Imeri in Rot unterwegs. Er ist leihweise von YB hier und wohnt weiterhin in Bern.
Foto: Pius Koller
Brack Super League 25/26
Mannschaft
SP
TD
PT
1
6
10
15
2
6
5
13
3
6
4
12
4
6
2
11
5
6
3
10
6
6
-1
10
7
6
0
8
8
6
0
6
9
6
-4
5
10
6
-4
4
11
6
-6
4
12
6
-9
2
Meisterschaftsrunde
Abstiegsrunde
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