«Die Angst sass uns im Nacken»
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Ex-DFB-Coach Löw in ARD-Doku:«Die Angst sass uns im Nacken»

DFB-Stars reden über Terror-Nacht von Paris
«Meine Verlobte hat am Telefon nur noch geweint»

Am Donnerstag, 13. November, jähren sich die Attentate von Paris zum zehnten Mal. In einer Dokumentation sprechen (Ex-)Nationalspieler Deutschlands über die schlimme Terrornacht, die sie im Stadion verbringen mussten.
Publiziert: 00:31 Uhr
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In der neuen ARD-Doku sprechen der frühere Bundestrainer Joachim Löw und andere Protagonisten über die schlimme Terrornacht in Paris.
Foto: freshfocus

Darum gehts

  • Terroranschläge in Paris während Fussballspiel zwischen Deutschland und Frankreich vor 10 Jahren
  • Spieler, Staff und Politiker schildern ihre Erlebnisse der Terrornacht in neuer Doku
  • DFB-Team musste Nacht im Stadion verbringen, Angst war omnipräsent
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Cédric HeebRedaktor Sport

Die Nacht des 13. November 2015 ist eine der dunkelsten Frankreichs. Terroristen verüben an diversen Orten in Paris Attentate, bei denen 130 Menschen ums Leben kommen und mehr als 350 weitere verletzt werden. La Grande Nation ist im Schockzustand. Mittendrin: die deutsche Nationalmannschaft.

Der amtierende Weltmeister absolviert im Stade de France ein Testspiel gegen die Équipe Tricolore. Während der ersten Halbzeit knallt es dreimal laut, keiner weiss, was los ist. «Es war zu laut für einen normalen Böller», sagt Joachim Löw (65) in der neuen ARD-Doku «Terror. Fussball. Paris 2015». Am Donnerstag jährt sich die Tragödie zum zehnten Mal. Spieler, Trainer, Funktionäre, Politiker, Journalisten und Personen diverser Spezialeinheiten schildern ihre Erinnerungen an die Terrornacht – und bieten intime Einblicke.

Es stellt sich heraus: Drei Attentäter sprengten sich vor dem Stadion in die Luft. Die Detonationen lassen die Spieler verwundert zurück, informiert werden sie erst nach dem Spiel. Der französische Präsident François Hollande (71) bekommt in der Halbzeit genauere Infos, hält sie aber zurück, um keine Panik zu verbreiten.

Detonationen verwundert Spieler

«Man macht sich keine Gedanken, dass es eine Bombe sein könnte», schildert André Schürrle (35). Bastian Schweinsteiger (41) schaut sich im Spiel nach Rauch um, ab nichts ist zu sehen: «Es hat sich komisch angefühlt.» Der DFB-Captain will sich nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn die Attentäter ins Stadion gelangt wären – was offenbar auch ihr Ziel war.

«Nach Abpfiff erhielten wir von den DFB-Sicherheitsleuten sofort die Anweisung, in die Kabine zu gehen», erläutert Christoph Kramer (34). Dort wird ihnen gesagt, welch fürchterliche Szenen sich vor dem Stadion und in der ganzen Stadt abspielen. «Die Angst sass uns im Nacken», sagt Löw. Schnell kommt der Gedanke auf, dass die Anschläge mit der Bombendrohung im Teamhotel am Morgen des Spieltags in Verbindung stehen.

«Da war viel Angst»

Es folgen bange Stunden, die das DFB-Team im Bauch des Stade de France verbringen muss. «Irgendwann wurden Matratzen ausgelegt», erzählt Kevin Trapp (35). Niemand darf das Stadion verlassen, die Fans strömen aufs Feld. Die Spieler sorgen sich um ihre Angehörigen, die im Stadion sind – und umgekehrt. «Meine Verlobte hat am Telefon nur noch geweint», meint Trapp. «Keiner wusste, ob wir in Gefahr sind. Da war viel Angst. Da liefen Menschen, nein ... Bestien rum, mit Maschinengewehren, die auf unschuldige Menschen geschossen haben.»

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Und tatsächlich sind sie in Gefahr. Denn Löw erhält einen Anruf von seinem Berater, der von einem ehemaligen Fenerbahce-Spieler eine besorgniserregende Info bekommen hat, die ihm wiederum vom befreundeten türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan (71) mitgeteilt wurde: «Er sagte meinem Berater, dass wir auf keinen Fall ins Hotel gehen dürfen. Denn der Nachrichtendienst hat ganz klare Informationen, dass auch unser Team und unser Hotel das Ziel ist.» Sämtliche Abreisepläne verzögern sich.

Holland-Test wegen Bombendrohung abgesagt

Um etwa 5.30 Uhr ist es so weit: Das Team verlässt das Stadion mit Vans – nicht mit dem offiziellen Teambus. Schweinsteiger: «Man wusste nicht, ob noch irgendwelche Verrückte rumlaufen und etwas vorhaben. Die Fahrt zum Flughafen war still und unheimlich.» Schürrle beschreibt die Ängste der Spieler, dass «aus jeder Strasse gleich jemand rausspringen» könnte.

Mit der Lufthansa wird die Mannschaft zurück nach Deutschland geflogen. In der Heimat angekommen, ist die Erleichterung zunächst gross. Doch schnell kommt die Frage auf: Wird das Testspiel gegen Holland vier Tage später in Hannover stattfinden? «Es gab Spieler, die das Spiel nicht machen wollten», so Löw.

«Wir sind auch keine Maschinen, wir sind auch Menschen mit Gefühlen», meint Ilkay Gündogan (35) damals. Man hält am Spiel fest, als Zeichen gegen den Terrorismus. Bis rund eineinhalb Stunden vor Anpfiff: Eine Bombendrohung veranlasst die Behörden dazu, die Partie doch abzusagen. Der Teambus ist schon auf dem Weg, muss aber wieder umdrehen. Die Spieler erfahren nicht, was dahintersteckt. «Man wusste nicht, ob diesmal wirklich der Bus die Zielscheibe ist», erinnert sich Schürrle an den Moment.

«War scheisse, in Frankreich die EM zu spielen»

Die Spieler gehen zurück zu ihren Klubs – und Trapp muss wieder zurück nach Paris, wo er für PSG spielt. Ihn begleitet ein mehr als mulmiges Gefühl. «Ich habe um 16 Uhr die Rollladen runtergemacht – ich hatte Panik. Ich bin wegen Autos, die vorbeifuhren, zusammengezuckt. Man hat die Angst in der Stadt gespürt.»

Sieben Monate später. Deutschland kehrt für die EM 2016 nach Frankreich zurück – sofort kommen die Erinnerungen an die schlimme Nacht hoch. Schürrle fasst es zusammen: «Es war richtig scheisse, in Frankreich die EM zu spielen. Man hat eigentlich nur darauf gewartet, dass irgendwo ein Stadion in die Luft gesprengt wird. So war mein Gefühl – das war richtig Kacke.»

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