Zwischen Puck- und Glücksspiel
Tomas Mitells Weg vom Pokertisch zu Luganos Trainerbank

Als Spieler war Hockey nur sein Hobby, den Lebensunterhalt verdiente er sich als Pokerprofi. Dann wurde aus Tomas Mitell ein Trainer. Welche Parallelen der Schwede zwischen Puck- und Glücksspiel sieht. Und welches Geständnis er macht, was seine Spielerkarriere betrifft.
Publiziert: 13:01 Uhr
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Aktualisiert: 13:12 Uhr
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Der Schwede Tomas Mitell hat beim HC Lugano einen Vertrag bis 2027 unterschrieben.
Foto: Sven Thomann

Darum gehts

  • Tomas Mitell: Der Trainer-Karriere und Familie zuliebe hörte er mit Pokern auf
  • Nach nur fünf Jahren Erfahrung an der Bande wechselte er in die NHL
  • Der 44-jährige Schwede gewann 2022 den SHL-Titel mit Färjestad
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Wenn Menschen in ihrem Leben nicht den 08/15-Weg gehen, macht sie das interessant. Handelt es sich um einen Hockeyspieler, der -trainer wird – umso mehr. Durchleuchtet man die Vergangenheit von Tomas Mitell, dem neuen Headcoach des HC Lugano, möchte man unbedingt mehr wissen über den Schweden, der die Bianconeri endlich zu Erfolgen führen soll. Ecco.

Er stammt aus Mariestad, einer Kleinstadt 180 Kilometer nordöstlich von Göteborg. Beim dortigen Klub hat er Hockey gespielt als Verteidiger. Erfolge? Kann der 44-Jährige keine grossen vorweisen, obwohl ihm von seinen Trainern durchs Band grosses Potenzial und Talent attestiert wird. Lange tummelt er sich in unteren Ligen. Vier Saisons in der zweithöchsten Liga Hockey Allsvenskan (Västeras, Örebro) sind das höchste der Gefühle, bevor er danach 2014 die Schlittschuhe an den Nagel hängt. Dazu sagt er heute reflektiert und offen: «Ich war viel zu faul als Spieler, hatte nicht den Willen für bedingungslosen Einsatz und habe deshalb nie das Maximum aus meiner Karriere geholt.»

Das bedeutet: Mitell lebt damals nicht vom Eishockey, sondern arbeitet noch, mal in einem Sportgeschäft, mal in einem Lager. Der lukrativste Nebenjob aber ist ein ungewöhnlicher: Mitell ist jahrelang Pokerprofi! Während seiner letzten Jahre als Spieler sowie in den ersten als Assistenztrainer bei Västeras und Mora. Begonnen hat er mit dem Kartenspiel wie viele Hockeyaner, «im Bus auf den Auswärtsfahrten».

«Ich hatte Poker-Talent»

Anfang der 2000er hält der Poker-Boom Einzug. «Da dachte ich, ich versuche mein Glück, und es lief tatsächlich gut. Irgendwie hatte ich das Talent dafür.» Wofür genau? «Ich war gut darin, meine Emotionen zu kontrollieren und unter Druck vernünftige Entscheide zu fällen. Und vor allem, sie nicht zu lange zu hinterfragen, wenn sie mal falsch waren.» Zudem liege es ihm, seine Gegenspieler, deren Körpersprache und Ausstrahlung zu studieren.

Aus dem Pokerspass wird ein -business – das jedoch auch viele Schattenseiten hat. Es ist ein intensiver Lebensstil, «nachts spielt man, tagsüber schläft man». Mitell nimmt an Live-Turnieren rund um den Globus teil, auch dreimal in der US-Spielerstadt Las Vegas, und gewinnt auch. Doch der Poker-Zirkus ist voll von Problemfällen, «es ist ein schmaler Grat, dass man nicht irgendwelchen Süchten verfällt. Es gibt zu viele schlechte Einflüsse». Ein normales Familienleben zu führen, ist schwierig. Deshalb ist für den Schweden, der in der Zwischenzeit Vater von Maja und Lucas (jetzt 14- und 12-jährig) geworden ist, klar, dass er 2017 mit Pokern aufhört, als seine noch junge Trainerkarriere Fahrt aufnimmt. Rasante Fahrt.

Eben erst als Assistenzcoach mit Mora in die SHL aufgestiegen, wird Mitell Cheftrainer von AIK Stockholm in der Hockey Allsvenskan. Dort bleibt er zwei Saisons und wechselt dann – in die NHL. Genau, in die beste Liga der Welt, wohin es jeder mal schaffen will. Dass dies einem Europäer gelingt, der aus der zweithöchsten Liga kommt und nie ein Starspieler gewesen ist, ist eine Rarität. Notabene ist Mitell 2019 erst in seinem fünften Jahr an der Bande.

Skandal beendet NHL-Karriere

Doch bereits in seiner dritten Saison als Assistenztrainer, der ersten bei Mora, hinterlässt er bei seinem Chef einen bleibenden Eindruck: Der Kanadier Jeremy Colliton (40) ist damals der Headcoach, sie bleiben nach Mitells Wechsel zu AIK in Kontakt. Nachdem Colliton bei Chicago zum Cheftrainer befördert worden ist, holt er seinen einstigen Assistenten in sein Team, weil sie sich optimal ergänzen. «Es war eine gute Erfahrung. Gut, aber auch speziell.» Einerseits, weil für ihn alltägliche NHL-Dinge wie Spieler-Trades neu sind wie auch der Umstand, dass solche und andere Klub-Entscheide unbeeinflussbar sind. Andererseits die Ungewissheit für ihn als Trainer, dem eine persönliche Beziehung zu den Spielern wichtig ist, «und man nicht wusste, was am nächsten Tag beschlossen wird».

Sein NHL-Abenteuer findet ein Ende, weil die Blackhawks von einem Skandal eingeholt werden. 2021 tritt Chicagos Ex-Spieler Kyle Beach (35, Ka) an die Öffentlichkeit und spricht über sexuelle Übergriffe, die er 2010 bei den Blackhawks erlitten und die die Führung unter den Teppich gekehrt hat. Nach Untersuchungen werden mitwissende Verantwortliche – unter ihnen General Manager Stan Bowman (52, Ka) – gefeuert.

Als dann auf dem Eis die Resultate ausbleiben, wird auch auf sportlicher Ebene mit Entlassungen aufgeräumt, um einen Neustart zu ermöglichen. Mitell und auch Colliton gehören im November 2021 dazu. «Es kostete die Beteiligten viel Kraft, Energie und Zeit. Es lenkte den Fokus von vielen Dingen ab, auf die wir uns konzentrieren mussten. Dieses Ereignis stand jedoch zu Recht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit», sagt der neue Lugano-Trainer 2022 im «Värmlands Folkblad» zu diesem heiklen Thema.

Parallelen von Poker und Hockey

Lugano verpflichtet ihn nach drei Jahren bei Färjestad, wo er nach wenigen Monaten im Amt 2022 auf Anhieb den SHL-Titel holt und 2024 als Trainer des Jahres ausgezeichnet wird. Mit der Hoffnung, dass er jener Mann ist, mit dem man beim Klub im Südtessin längerfristig planen kann. Unterschrieben hat der 44-Jährige bis 2027. Nach durchzogenem Saisonstart mahnt Mitell zu Geduld, bis die Prozesse greifen – die Geduld haben ihn die Jahre als Pokerprofi gelehrt. Er sieht noch weitere Parallelen. Nebst der Emotionskontrolle und dem Einschätzen der Gegner zählt er den Willen, gewinnen zu wollen, sowie die Analyse der Spieler-Entscheide dazu. Wann er das letzte Mal gepokert hat? Seit seinem Ausstieg vor acht Jahren nie mehr. «Es macht mir nicht mehr gleich viel Freude.» Lieber geht Mitell jetzt all-in im Eishockey.

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