Was Junge über die Rekrutenschule sagen
«Die Schweiz verteidigen? Würde ich machen!»

Die Welt ist unsicher geworden, Europa rüstet auf. Mit welchem Gefühl gehen junge Menschen heute ins Militär? Eine Diskussion über Bedrohungslage, Neutralität und Kriegsbereitschaft.
Publiziert: 28.06.2025 um 10:08 Uhr
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Aktualisiert: 28.06.2025 um 11:06 Uhr
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Jugendliche Gesprächsrunde zur Armee: Pierina Westermann, Jannik Patt (hinten), Cedric Urwyler (vorne links) und Nicolas Eigenmann.
Foto: Lucas Ziegler

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Birthe Homann und Daniel Benz
Beobachter

Wenn am 30. Juni die Sommer-Rekrutenschule beginnt, rücken knapp 12’000 junge Männer und wenige Hundert Frauen erstmals in den Militärdienst ein; diese Zahl ist seit Jahren stabil.

Aber die Vorzeichen haben sich geändert. Weltweit ist die Bedrohungslage angespannt. In Europa herrscht Krieg, die Länder erhöhen ihre Armeebudgets und rüsten auf – und sorgen sich um ihre Verteidigungsfähigkeit. Auch in der Schweiz.

Gespräch mit vier jungen Menschen

Was verändert sich in den Köpfen von Rekrutinnen und Rekruten, wenn kriegerische Auseinandersetzungen plötzlich keine vage Theorie mehr sind, sondern ein mögliches Szenario? Macht ihnen diese Vorstellung Angst? Oder bekommt eine militärische Ausbildung für sie mehr Gewicht?

Artikel aus dem «Beobachter»

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Vier junge Menschen, denen sich diese Fragen aktuell stellen, haben sich darüber mit dem Beobachter ausgetauscht.

Ein RS-Absolvent, drei zukünftige Dienstleistende: Pierina Westermann, Jannik Patt, Nicolas Eigenmann und Cedric Urwyler (von links).
Foto: Lucas Ziegler

Nicolas Eigenmann, der die RS soeben ohne Begeisterung absolviert hat, Pierina Westermann, die ihren Anteil daran leisten will, dass mehr Frauen Militär machen. Jannik Patt, der der Armee kritisch gegenübersteht, und Cedric Urwyler, der sich auf den Dienst als Grenadier freut.

Eine aktuelle Umfrage zeigt: Nur 41 Prozent der Schweizer Bevölkerung über 18 Jahren würden im Kriegsfall für ihr Land kämpfen. Damit belegt die Schweiz Platz 29 von 45 untersuchten Ländern. Würdet ihr kämpfen?
Nicolas:
Als Aufklärer wäre ich an der Front ganz vorn dabei. Wahrscheinlich würden wir zu denjenigen gehören, die zuerst sterben. Daher eher nein.
Pierina: Das löst ganz tiefe menschliche Ängste aus, diese Vorstellung. Es ist ja völlig normal, dass man da als Erstes «Oh nein» sagt.
Cedric: Ich würde trotzdem gehen. Es ist immer noch mein Land, das will ich verteidigen.
Jannik: Wenn ich meinem Land dienen könnte, dann wäre ich dabei. Also wirklich kämpfen nicht, aber unterstützen schon.
Cedric: Wenn es darum ginge, die Schweiz zu verteidigen, wäre ich sicher dabei, um meine Familie und meine Freunde zu beschützen. Einen Angriffskrieg würde ich hingegen nicht unterstützen, das wäre meine Grenze.
Pierina: Da kann ich mich nur anschliessen. Ich mache das Militär freiwillig, und wenn es so weit kommt, dann wäre es halt so. Das ist quasi «part of my decision».
Jannik: Man braucht ja nicht alle, die in den Krieg ziehen. Wenn 41 Prozent bereit sind, reicht das. Ich würde das Land unterstützen, indem ich die Fahrzeuge in Schuss halte.
Cedric: Mein Cousin ist ein vehementer Militärgegner. Er macht Zivildienst. Aber im Ernstfall würde auch er helfen – einfach ohne Waffe. Er würde die Leute im Bunker unterstützen.

Cedric Urwyler will zu den Grenadieren.
Foto: Lucas Ziegler

Nicolas, du warst vor kurzem in der RS. Habt ihr da über die aktuelle Sicherheitslage geredet?
Nicolas:
Ein wenig. Unser Kommandant hat bei den Ansprachen gesagt, dass die Welt immer gefährlicher wird und die Wahrscheinlichkeit grösser sei, dass es einen Ernstfalleinsatz geben könnte.

Soll man sich in der RS ausbilden lassen für alle Fälle? Ihr steht jetzt ja vor dieser Entscheidung.
Cedric:
Wenn man am Rekrutierungstag als tauglich eingestuft wird, dann soll man auch ins Militär. Das ist für mich keine Frage.
Jannik: Das Problem ist doch das Müssen. In Deutschland ist das anders, in der Bundeswehr sind alle richtige Kampfsäue, weil der Dienst freiwillig ist.
Pierina: Aber die Bundeswehr sucht ja händeringend nach Leuten und überlegt sich, wieder ein Pflichtsystem einzuführen. Ich will in die RS und einen Beitrag für mein Land leisten.

Krieg in Europa und im Nahen Osten: Wie nehmt ihr die aktuelle Bedrohungslage wahr?
Jannik:
Ich finde es schwierig, mit Kollegen darüber zu reden. Wir wissen ja nur durch die Medien davon. In meinem Betrieb herrscht eher ein konservatives Klima. Dort sind die meisten für Aufrüstung und eine grundsätzliche Stärkung des Militärs.
Pierina: Bei mir ist es anders, ich bewege mich in einem studentischen Umfeld, da ist die momentane Weltlage ein grosses Thema. Eine Bedrohungslage für die Schweiz sehe ich aber weniger. Es wäre doch blöd, ein Land anzugreifen, in dem das ganze Geld lagert.
Cedric: Ich arbeite auf einer Baustelle, wir sind viele junge Männer. Einige haben gerade die RS gemacht oder einen WK absolviert. Aber die Bedrohungslage ist kein Thema. Die Schweiz liegt mitten in Europa. Ich glaube nicht, dass wir angegriffen werden. Und sonst würde uns die Nato sicher unterstützen. Ausserdem sind wir ja neutral.

Nicolas Eigenmann absolvierte als Aufklärer die Rekrutenschule.
Foto: Lucas Ziegler

Ist denn auf die Neutralität Verlass? Reicht das, um sicher zu sein?
Nicolas:
Ich glaube schon, wir sind immer noch ausreichend neutral. Und solange wir nicht direkt in irgendwelche Kriege eingreifen, sehe ich kein Problem.
Pierina: Trotz der Neutralität ist es nicht falsch, das Militär auf dem neuesten Stand zu halten.

Eine Offiziersgesellschaft fordert 100 Milliarden Franken, vor allem für neue Panzer. Gehen Aufrüstung und Neutralität zusammen?
Cedric:
Es geht ja nicht nur um die Aufrüstung, sondern auch um die Sicherheit der Soldaten. Die neuen Panzer würden extrem viel mehr Schutz bieten.
Jannik: Ich verstehe nicht, wieso wir in der Schweiz mehr Panzer brauchen sollten. Die sind in flachem Gebiet gut, aber doch nicht für die Berge.

Wird also in Dinge investiert, die wir gar nicht brauchen?
Jannik:
Ja, zum Beispiel die ganzen Offroad-Trainings, die man als Motorfahrer in der Schweiz machen muss – um nachher auf der Autobahn von Bern ans WEF zu fahren. Da frage ich mich schon, ob uns das im Ernstfall etwas bringt.
Pierina: Bist du sicher? Bei Kriegen wird ja meistens die Infrastruktur angegriffen.
Cedric: Panzer kaufen ist gut, aber man sollte zuerst bei den Soldaten anfangen. Endlich bekommen die Grenadiere eine neue Ausrüstung. Ein Schritt in die richtige Richtung.
Nicolas: Stimmt. Man braucht gut ausgerüstete Leute, sonst ist es ein Selbstmordkommando. Ich war als Aufklärer in der RS, aber heute werden die Aufgaben von Aufklärern ja eigentlich von Drohnen übernommen. Aber bei uns wurden nur gerade zwei Drohnenpiloten ausgebildet.
Pierina: Echt? Man sieht in der Ukraine, wie moderne Kriegsführung geht. Das Geld im Militär müsste gescheiter eingesetzt werden.
Jannik: Ich habe eine berufliche Verbindung zum Militär. Mein Betrieb wartet unter anderem Militäranhänger für die Motorfahrzeugkontrolle. Dabei sehe ich, dass viel Geld verschwendet wird. Es gibt viel zu viele Fahrzeuge, die gar nicht gebraucht werden und nur draussen herumstehen.

Pierina Westermann will als Panzerfahrerin in die RS.
Foto: Lucas Ziegler

In der Schweiz müssen nur die Männer ins Militär. Soll die Wehrpflicht auf die Frauen ausgeweitet werden, wie das aktuell Dänemark beschlossen hat?
Jannik:
Ich bin dagegen, dass Frauen ins Militär müssen. Ist vielleicht eine altmodische Denkweise, aber Frauen kümmern sich immer noch am meisten um die Kinder. Dann müssen sie sich nicht auch noch fürs Land engagieren.
Cedric: Ich finde es gut, dass neu zumindest der Orientierungstag obligatorisch wird. Meine Schwester hat auch vor, ins Militär zu gehen. Und für sie ist es eine Erleichterung, wenn ihr dort erklärt wird, was sie tun muss, um dabei zu sein. Die RS muss aber nicht obligatorisch werden für Frauen.
Nicolas: Bei mir in der RS gab es keine Frauen. Aber man hat auf dem Waffenplatz schon einige wenige gesehen. Ich finde, sie müssen nicht ins Militär, wenn sie nicht wollen. Während der RS hat es mich aber manchmal schon gestört, wenn ich auf Insta gesehen habe, wie meine Kolleginnen herumreisten, während ich hier im Feld lag.
Pierina: Ich verstehe, dass man als Mann denkt: «Scheisse, das ist mega unfair.» Aber ich finde es auch total unfair, dass Frauen im Durchschnitt immer noch 16 Prozent weniger verdienen als Männer und dass sie immer noch zwei Drittel der unbezahlten Care-Arbeit leisten. Deshalb finde ich, sollte es so bleiben, wie es ist. Mindestens so lange, bis Frauen gleich viel verdienen und die Care-Arbeit ausgeglichen ist.

Jannik Patt wird als Spezialmotorfahrer Dienst leisten.
Foto: Lucas Ziegler

Der Zivildienst wird immer beliebter. Jetzt wird versucht, ihn zahlenmässig zu beschränken. Es gibt auch eine Forderung, dass man wieder eine Gewissensprüfung ablegen soll, wenn man nicht ins Militär will. Findet ihr das okay?
Jannik:
Ich finde den Zivildienst mindestens genauso wertvoll wie das Militär. Als Zivi kann ich wirklich wichtige Sachen machen, etwa als Klassenassistent in Schulen helfen oder alte Leute pflegen. Ich kann mir dort neue Kompetenzen aneignen.
Pierina: Statt den Zivildienst unbeliebter zu machen, müsste man das Militär beliebter machen, attraktiver. Man müsste auch dort viele Kompetenzen mitbekommen.

Nicolas, du warst gerade in der RS. Was hast du gelernt?
Nicolas:
Nicht viel. Vielleicht ein bisschen Disziplin. Und ich habe neue Kollegen getroffen. Es war keine schlechte Zeit.
Jannik: Mich beschäftigt die Vorstellung, wie die anderen in meiner Truppe reagieren werden, wenn sie erfahren, dass ich als Vegetarier und Schwuler nicht der Norm entspreche.
Nicolas: Bei uns in der RS gab es keine Homophobie. Auch kaum Sexismus oder Rassismus. Am ersten Tag sagte uns der Oberleutnant, dass nichts Derartiges toleriert werde.
Jannik: An meiner Rekrutierung gab es viele Anti-Schwulen-Sprüche. Ich habe mich dann entschieden, in diesen zwei Tagen nicht zu erwähnen, dass ich homosexuell bin.
Pierina: Ich erlebe Sexismus auch im normalen Alltag. Und ich frage mich, wie das dann in der RS sein wird. Aber das ist mit ein Grund, weshalb ich als Frau ins Militär gehe. Mein Engagement ist mein Anteil, damit sich von innen heraus etwas ändert.

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