Darum gehts
- Schweiz steht vor Trümmerhaufen nach Trumps Zollankündigung am Nationalfeiertag
- Keller-Sutter hatte zuvor Hoffnung auf Abkommen mit USA geweckt
- Wie konnte es so weit kommen, dass die Schweiz jetzt so schlecht dasteht?
Karin Keller-Sutter (61) schien oben auf der Erfolgswelle zu surfen: Die ganze Welt bibberte im Frühjahr vor den Zollankündigungen von US-Präsident Donald Trump (79). Kanzler, Premierministerinnen und Staatspräsidenten von überall her versuchten, für ihre Länder das Schlimmste abzuwenden. Doch nur wenige schienen bei der US-Regierung so rasch einen Fuss in der Tür zu haben wie die Schweizer Bundespräsidentin.
In den vergangenen Wochen schien alles auf Kurs. In Bern herrschte Zuversicht, das Schlimmste abgewendet zu haben – ein Deal mit den USA war greifbar. Nun aber steht die Schweiz vor einem Trümmerhaufen. Trump ordnet für Importe aus der Schweiz happige Zölle von 39 Prozent an. Die Nachricht kam ausgerechnet am frühen Morgen des 1. August, dem Nationalfeiertag.
Während landesweit die Höhenfeuer entzündet werden, schlägt in Washington die Zollkeule zu. Am Nachmittag hielt Keller-Sutter ihre Bundesfeier-Rede auf dem Rütli – die Symbolik hätte kaum brutaler sein können. Vom «Art of the Deal» zu «Än art kein Deal»!
I. Schock in Trumps Rosengarten, Hoffnung in Genf
Die Schweiz steht schlimmer da als Anfang April. Damals verkündete Trump im Rosengarten des Weissen Hauses: Ein Zollsatz von 31 Prozent – höher als jener für die EU – sollte künftig für Schweizer Produkte gelten. Ein Schock für die Exportnation.
Doch rasch wich die Schockstarre dem Optimismus. Denn: Anfang Mai kam es in Genf zum Handschlag. Dort trafen die Bundespräsidentin und Wirtschaftsminister Guy Parmelin (65) US-Finanzminister Scott Bessent (63). Es war ein Treffen, um das viele Länder die Schweiz beneidet haben.
Möglich war es, weil sich Vertreter von China und den USA in der Stadt an der Rhone zu Verhandlungen trafen. Die Schweiz wähnte sich stolz: Dank Vermittlung und guter Dienste drehte man ein wenig am Weltgeschehen mit. Die ganz Mächtigen waren im Land. Der Schweizer Regierung ermöglichte es ein Treffen auf höchster Stufe.
Ein Hoffnungsschimmer tat sich auf, nachdem Keller-Sutter mit dem US-Finanzminister gesprochen hatte: «Wir sind hoffentlich die Zweiten mit einem Abkommen», sagte sie. «Wir sind beide Seiten entschlossen, dass wir eine schnelle Lösung finden.»
II. Ein Anruf geht um die Welt
Es war nicht der erste Hoffnungsschimmer. Schon im April hatte Keller-Sutter mit Trump telefoniert. Ein diplomatischer Coup, hiess es: ein direkter Draht zum mächtigsten Mann der Welt. Sie habe seine Handynummer zwar nicht, sagte Keller-Sutter – «aber er hat meine». Die FDP-Bundesrätin gab sich hoffnungsvoll. «Ich hatte den Eindruck, dass beide Seiten eine Lösung finden wollen», sagte sie. Noch Wochen später, im Juli, blickte Keller-Sutter auf das Gespräch mit Trump zurück: «Ich fand offensichtlich den Zugang zu ihm.»
Nur kurz, nachdem das Telefonat im April beendet war, senkte Trump die Strafzölle vorübergehend für alle Länder auf 10 Prozent. Keller-Sutter war im internationalen Fokus. Sogar US-Medien mutmassten: Hatte sie, die perfekt Englisch spricht, den Zugang zu Trump gefunden?
III. Trump verstehen – und doch unterschätzen?
Keller-Sutter schien der Idee nicht abgeneigt – und mit ihr weite Teile Bundesberns. Sie habe sich auf Trump vorbereitet, sagte sie bereits im Februar im Westschweizer Fernsehen. Über Weihnachten habe sie Trumps Buch «The Art of the Deal» gelesen. Sie gab sich abgeklärt über die irrlichternde US-Politik. «Das System Trump ist ein System der Ankündigungen, ein System des Schocks», sagte die FDP-Bundesrätin. Trump falle aus dem Rahmen, aber man sei nicht überrascht, wenn man sein Buch kenne. Trump lanciere eine Idee und schaue, wie sie sich entwickle. «Wir Politiker sind das Gegenteil von Trump.»
Gleichzeitig hatte Keller-Sutter im Februar US-Vizepräsident J. D. Vance (40) in Schutz genommen, als er in München eine umstrittene Rede hielt. Beispiellos rechnete er mit Europa ab, warf den Staaten Zensur vor. Das sorgte rund um die Schweiz für Aufsehen und harsche Kritik. Es sei eine «liberale Rede gewesen, in einem sehr schweizerischen Sinn», sagte dagegen Keller-Sutter – und kam bei der Linken in die Kritik. Die Schweiz biedere sich bei den USA an, hiess es.
IV. Die Schweiz ist ratlos
Und jetzt: Alles für nichts? Hat sich die Schweiz massiv verkalkuliert? Was ging schief? Die Fragen stellen sich, seit der US-Präsident 39 Prozent Zoll angekündigt hat. Die Schweiz scheint regelrecht abgewatscht. Antworten, wie das passieren konnte, stehen bisher aus.
Donald Trump ist unberechenbar, seine Politik impulsiv. Das «System des Schocks» wirkt. War die Schweiz zu naiv? Hat sie sich selbst getäuscht?
Besonders die Linke findet bereits scharfe Worte gegenüber dem Bundesrat – und Keller-Sutter. «Die vom bürgerlichen Bundesrat gewählte Anbiederungsstrategie hat Trump gezeigt, dass er machen kann, was er will», sagt etwa SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer (37). «Man hätte ihm nie nachgeben dürfen.»
Und Keller-Sutter selbst? Sie wollte sich den Nationalfeiertag von den Trump-Zöllen nicht verderben lassen. Das sagte sie am Freitagnachmittag auf dem Rütli. «Das heute ist unser Tag, der Tag der Schweiz.» In solchen Fällen müsse man einfach aufstehen, arbeiten und Lösungen finden.
Keller-Sutter äusserte sich im Rahmen einer Fragerunde, ging in ihrer Rede aber kaum mehr auf den Zollhammer ein. Die Schweiz habe immer wieder Stürme erlebt, so die Bundespräsidentin. Sie habe Trump gesagt, dass in der Schweiz am 1. August der Nationalfeiertag sei. Er habe nach dem Gründungsjahr der Schweiz gefragt und sich dann beeindruckt gezeigt.