Darum gehts
- Schweiz und USA scheitern bei Zollverhandlungen
- Trump erhöht die Zölle auf Schweizer Exporte von 31 auf 39 Prozent
- US-Präsident ignoriert Tech-Konzerne im Dienstleistungsbereich bei Handelsdefizit-Berechnung
Wochenlang schien alles auf Kurs: Im Streit um drohende US-Zölle auf Schweizer Produkte telefonierte Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter (61) persönlich mit US-Präsident Donald Trump (79). Verhandler trafen sich zum Arbeitsessen in der US-Botschaft. Der Bundesrat segnete eine Absichtserklärung ab. Auch Wirtschaftsminister Guy Parmelin (65) und Staatssekretärin Helene Budliger Artieda (60) gaben sich zuversichtlich. Keller-Sutter sagte gar zu Blick: «Irgendwie habe ich den Zugang zu Trump gefunden.»
Praktisch Minuten vor Ablauf der Frist veröffentlichte das Weisse Haus eine Liste mit «angepasstem gegenseitigem Zolltarif». 61 Länder und Territorien sind aufgeführt, darunter auch die Schweiz: mit 39 Prozent! Das sind noch 8 Prozent mehr als die angedrohten 31. Die Schweiz steht in Europa mit dem mit Abstand schlechtesten Zolldeal da.
Trump begründete die Erhebung von Zöllen mit einem Handelsdefizit, wie er in einer entsprechenden Verordnung schrieb. Indirekt räumt er Spielraum ein. Trump schrieb zur Liste, dass «gewisse Länder» ein Handels- oder Sicherheitsabkommen mit den USA abgeschlossen hätten oder kurz davor stünden. Ob die Schweiz zu diesen Ländern zählt, war zunächst unklar. Für jene Länder gelten demnach die in der Verordnung festgehaltenen Zölle, bis diese Abkommen abgeschlossen seien, «oder bis ich spätere Anordnungen erlasse, in denen die Bedingungen dieser Abkommen festgehalten werden».
Kalte Dusche
Die neuen Zollsätze treten in sieben Tagen in Kraft. In Bern glaubte man Anfang Juli fest an einen Deal: 10 Prozent Zoll – mehr nicht. Die gemeinsame Erklärung lag vor, nur Trumps Unterschrift fehlte noch. Doch die wird nicht kommen.
Am späten Donnerstagabend, 31. Juli, dann die kalte Dusche: Keller-Sutter gab auf X das Scheitern der Gespräche bekannt. Erst drohten Schweizer Exporten Zölle von bis zu 31 Prozent – ein Tiefschlag für die hiesige Wirtschaft. Warum Trump blockiert? Noch unklar. Laut Keller-Sutter steht für ihn vor allem das Handelsdefizit im Vordergrund. Die Zugeständnisse aus Bern reichten nicht.
Zum Vergleich: Die EU hat mit Trump einen Deal ausgehandelt und einen Tarif von 15 Prozent gewährt bekommen. Die Schweiz hatte sich offenbar verschätzt. In Bundesbern war man überzeugt, Trump milde gestimmt zu haben. Man wähnte sich unter Freunden. Nun zeigt sich: Der Draht nach Washington war zwar direkt – aber nicht stabil.
Trump beruft sich auf das negative Handelsdefizit – zu Recht?
Nein. Die USA erzielten 2024 im Warenhandel mit der Schweiz ein Defizit von 38,5 Milliarden Franken. Heisst: Die Schweiz exportiert in diesem Umfang mehr Güter in die USA, als sie von dort importiert. Fast 60 Prozent der Exporte entfallen auf die Pharmaindustrie, gefolgt von Gold, Schmuck, Uhren und Maschinen.
Trump ignoriert jedoch die ganzen Tech-Konzerne im Dienstleistungsbereich wie Meta oder Alphabet: Berücksichtigt man diese mit, beläuft sich das US-Handelsdefizit bloss noch auf 18 Milliarden Franken.
Was Trump ebenfalls ausklammert: Die völlig unterschiedlichen Marktgrössen der beiden Länder: Neun Millionen Menschen in der Schweiz geben pro Kopf deutlich mehr für US-Produkte aus als die über 340 Millionen US-Amerikaner für Schweizer Produkte.
Was könnte also wirklich der Grund sein?
Ein Problem hat sich in den vergangenen Monaten eigentlich wie von allein gelöst: Trump wirft der Schweiz Währungsmanipulation über unsere Nationalbank (SNB) vor. Schwächt die SNB den Franken, können unsere Firmen günstiger exportieren. Seit Trump mit dem Zollhammer droht, hat sich der Franken zum Dollar noch mal um rund 10 Prozent aufgewertet. Damit dürfte der Vorwurf erstmal vom Tisch sein. Die Schweiz hat zudem vor Jahren ihre Industriezölle abgeschafft und belastet US-Produkte mit Ausnahme der Landwirtschaft kaum mit Zöllen.
Der Grund für die geplatzten Hoffnungen der Schweiz müssen woanders liegen: Ein Deal mit der Schweiz hat für Trump keine hohe Priorität: Nur 1,3 Prozent der US-Importe kommen aus unserem Land. Was beim US-Präsident hingegen ganz oben auf der Liste steht: Er will die hohen Gesundheitskosten massiv senken.
Trump wirft der Schweiz unfaire Handelspraktiken vor – und dürfte damit gerade auch die Pharmaindustrie meinen. Die US-Amerikaner zahlen die weltweit höchsten Medikamentenpreise. Nun hat der Präsident den Chefs der grössten Pharmakonzerne der Welt – darunter die CEOs von Roche und Novartis – per Brief ein Ultimatum gestellt. Runter mit den Preisen, oder die Firmen kriegen seine volle Macht zu spüren.
Zum Vergleich: Die EU hat für ihren Deal mit einem Zollsatz von 15 Prozent viel Geld in Aussicht gestellt: Sie will für zusätzlich 750 Milliarden Euro Energie und für 600 Milliarden Euro Waffen aus den USA zu kaufen. Die Schweiz dürfte Trump ebenfalls grosse Investitionspläne präsentiert haben. Gefruchtet haben sie nicht. Waren am Ende also gar die Pharmapreise das Zünglein an der Waage?
Wie konnte dieser Schlamassel passieren?
Die kurze Antwort lautet wohl: Trump ist und bleibt unberechenbar. Noch vor wenigen Tagen war man in Bundesbern zuversichtlich. Doch jeder Zolldeal muss über Trumps Tisch im Oval Office. Senkt er den Daumen, kann auch sein Finanzminister Scott Bessent (62), den Keller-Sutter und Wirtschaftsminister Parmelin in Genf getroffen haben, nichts mehr ausrichten.
Gibt es für die Schweiz noch einen Funken Hoffnung?
Die neuen Strafzölle sollen am kommenden Donnerstag, 7. August, in Kraft treten. Möglich ist, dass die Amerikaner diese Zeitspanne noch für Verhandlungen nutzen. Entsprechende Andeutungen machte Finanzminister Bessent zumindest im Vorfeld. «Eine Einigung ist noch immer möglich», sagte er.
Und sonst? Die allerletzte Hoffnung für die Schweiz könnten ausgerechnet fremde Richter sein: Für den emeritierten Professor für Europa- und Wirtschaftsvölkerrecht an der Universität Bern, Thomas Cottier (75), ist klar: «Ich bin überzeugt, dass diese Zölle rechtswidrig sind.»
Dies sagte er gegenüber Blick am Donnerstagvormittag – noch bevor klar war, dass es keinen Deal geben wird. Die «exorbitanten Zölle» der US-Regierung würden gegen die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) verstossen, ist sich Cottier sicher.
Die Schweiz könnte zwar eine Klage bei der WTO gegen die USA einreichen, doch was das bringt, ist unklar. «Es würde dann ein Verfahren durchgeführt, mit der Wirkung, dass die WTO die Rechtswidrigkeit der US-Zollpolitik feststellt.» Erst dann wäre es der Schweiz erlaubt, Gegenmassnahmen anzudrohen und allenfalls zu ergreifen. Dies ist jedoch kaum realistisch. Trump hat bei Gegenmassnahmen bis anhin noch härter zurückgeschlagen.
Zudem ist die Schweiz zu klein, um Druck auf die USA auszuüben. Ein Alleingang sei nicht sinnvoll, so der Experte. Dass andere Verbündete mitmachen, scheint ebenfalls abwegig.
Auch in den USA regt sich Kritik. Ein Bundesberufungsgericht zeigte sich am Donnerstag skeptisch, ob Trumps Sonderzölle rechtlich gut abgestützt sind. Geklagt hatten fünf kleine US-Firmen und zwölf demokratisch regierte Bundesstaaten. Ihre Argumentation: Laut US-Verfassung sei der Kongress – und nicht der Präsident – für Zölle zuständig. Ein unteres Gericht hatte ihnen am 28. Mai recht gegeben. Beobachter rechnen damit, dass der Fall – egal, wie er nun ausgeht – vor dem Obersten Gerichtshof landet. Ein Entscheid dürfte aber noch dauern.