«Länder ohne Deal werden bis Mitternacht von uns hören»
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Pressesprecherin von Trump:«Länder ohne Deal werden bis Mitternacht von uns hören»

Bald droht der Zollhammer!
Wo bleibt unser Deal, Frau Bundespräsidentin?

Hat Trump die Schweiz vergessen? Am 1. August treten die Strafzölle der USA in Kraft. Die Schweiz hat bis jetzt keinen Deal. Wie gross ist der Frust bei der Schweizer Wirtschaft, hat der Bundesrat versagt?
Publiziert: 31.07.2025 um 20:57 Uhr
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Aktualisiert: 31.07.2025 um 22:27 Uhr
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Am 1. August läuft Trumps Frist für Einigungen im Zollstreit aus. Die Schweiz und Karin Keller-Sutter haben bisher keinen Deal.
Foto: Thomas Meier

Bei der Exportförderung laufen seit Tagen die Telefone heiss: Schweizer Exporteure wollen wissen, mit welchem Tarif ihre Waren bei der Einfuhr in die USA ab dem 1. August verzollt werden: «Sind es noch die 10 Prozent Grundzoll, steigt dieser auf 31 Prozent – oder wird es irgendein Tarif dazwischen sein?», fasst Alfonso Orlando (48), Direktor Exporthilfe bei Switzerland Global Enterprise, die drängendste Frage zusammen. Die Verunsicherung ist maximal. Auch renommierte Firmen stellen Fragen, die in der Schweiz – und auch in den USA – niemand beantworten kann. 

«Ein Firmenvertreter wollte wissen, ob er die Waren noch am Donnerstag oder erst am Freitag aus dem Zollfreilager in den USA an seinen Kunden liefern soll», erzählt Orlando. «Am Freitag dann halt mit dem Risiko, dass sich der Zolltarif verdreifacht hat.» 

Nachtwache wegen Trump

Auch in Bern hat bis jetzt niemand eine klare Antwort auf die Fragen aus der Wirtschaft. Mit Spannung verfolgen Bundesbeamte die Aktualisierungen auf der Social-Media-Plattform Truth Social. Dort verkündet US-Präsident Donald Trump (79) jeweils, mit welcher Wucht sein Zollhammer einzelne Länder trifft.

Am Donnerstagnachmittag (Ortszeit) kündigte die Sprecherin des Weissen Hauses, Karoline Leavitt, immerhin an, dass Länder, die bis jetzt weder einen Deal noch einen Zollbrief erhalten haben, bis Mitternacht von Trump hören werden.

Allerhöchste Zeit. Denn in diesen Stunden verstreicht erneut eine Frist – bleibt die Schweiz aussen vor? Laut Trumps Verordnung gelten ab dem 1. August Strafzölle von 31 Prozent auf Schweizer Produkte. Die Wirtschaft hatte bis zuletzt gehofft, dass die Schweiz von den Sanktionen verschont bleibt.

Wo bleibt unser Deal? Diese Frage richtet sich vor allem auch an Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter (61). Denn die Hoffnung nährte sich auch aus optimistischen Aussagen der FDP-Bundesrätin. Anfang Juli hatte der Bundesrat noch einer Grundsatzvereinbarung mit den USA zugestimmt. Doch Trump verweigerte seine Unterschrift. 

«Der US-Präsident muss entscheiden»
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Karin Keller-Sutter über Zölle:«Der US-Präsident muss entscheiden»

Die Schweizer Verwaltung bereitete sich akribisch auf eine mögliche Zoll-Entscheidung aus Washington vor. Denn: Am Freitagmorgen, 1. August, um 6.01 Uhr (Schweizer Zeit) ist die Deadline für die Zolltarife.

Weil alles offenblieb, hat das Staatssekretariat für Wirtschaft ein Krisenteam zusammengestellt, das die Nacht von Donnerstag auf Freitag durcharbeitet. Angeführt wird das Team von Staatssekretärin Helene Budliger Artieda (60), wie auch die CH-Media-Zeitungen berichteten. Auch die Bundeskanzlei, das Finanzdepartement sowie das Wirtschaftsdepartement sind involviert.

«Diplomatie stösst an ihre Grenze»

Für den emeritierten Professor für Europa- und Wirtschaftsvölkerrecht an der Universität Bern, Thomas Cottier (75), ist jedoch nach Verstreichen der Deadline klar: «Ich bin davon überzeugt, dass diese Zölle rechtswidrig sind.» Die «exorbitanten Zölle» der US-Regierung würden gegen die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) verstossen, ist er sich sicher. Doch die Trump-Administration foutiere sich in dieser Sache um geltendes Recht, so Cottier. 

«Die Schweizer Diplomatie stösst im Moment an ihre Grenze bei der einseitigen Handelspolitik der USA», sagt Cottier. Man hätte aber damit rechnen müssen, dass die US-Verwaltung nicht bis am 1. August mit allen Staaten Verträge abgeschlossen haben werde. «Ich kann mir vorstellen, dass die Frist doch noch verlängert wird bis im Herbst.» 

Der Bundesrat solle sich wehren

Es sei nun am Bundesrat, sich Respekt gegenüber den US-Behörden zu verschaffen, sagt Cottier. «Der Bundesrat muss klären, wo seine Schmerzgrenze liegt und allfällige Gegenmassnahmen prüfen.» Wenn er in der Regierung sässe, würde er eine Klage bei der WTO gegen die USA einreichen. «Es würde dann ein Verfahren durchgeführt, mit der Wirkung, dass die WTO die Rechtswidrigkeit der US-Zollpolitik feststellt.

Erst dann wäre es einem Land wie der Schweiz erlaubt, geeignete Gegenmassnahmen anzudrohen und allenfalls zu ergreifen», erklärt der Experte. Diese müssten jedoch in Abstimmung mit gleichgesinnten Staaten erfolgen, einschliesslich der EU, damit eine kritische Masse erreicht wird. «Ein Alleingang ist nicht sinnvoll.»

Und wie könnten diese möglichen Gegenmassnahmen aussehen? Die Schweiz könnte etwa die Durchsetzung vom Patent- und Urheberrechten aussetzen oder im Dienstleistungsbereich die Streamingdienste wie Netflix höher besteuern, schlägt Völkerrechtler Cottier vor. «Bisher wollte die Schweiz die Eskalation verhindern, die Frage ist: Wie will die Schweiz den US-Behörden klarmachen, dass sie nicht alles fressen, was einem aufgezwungen wird?»

Bestellungen gehen zurück

In der Wirtschaft will man von Gegenmassnahmen nichts hören – auch wenn die Verunsicherung gross ist und sich eine schmerzliche Erkenntnis breitmacht: «Wir müssen feststellen, dass wir als Land nicht so wichtig sind, dass der US-Präsident mit unserer Regierung Golf spielen will», sagt Stefan Brupbacher (57), Direktor des Branchenverbandes Swissmem. Gleichzeitig lobt er die Politik: «Die Schweizer Regierung hat einen hervorragenden Job gemacht.» Und verbreitet Zweckoptimismus: «Wir gehen nicht davon aus, dass es bei den 31 Prozent bleibt – aber Sicherheit gibt es keine.» 

Will heissen, die Schweiz bekommt wohl doch noch einen vorteilhafteren Deal – offen ist einzig wann. Denn mit fast 200 Ländern gleichzeitig zu dealen, überfordert sogar Donald Trump. 

Bleibt zu hoffen, dass sich die Lage rasch klärt, denn die aktuelle Situation ist eine starke Belastung für die Wirtschaft. «Wichtige Bestellungen bei Schweizer Firmen werden storniert oder verschoben», sagt Jan Atteslander (61), Leiter Aussenwirtschaft bei Economiesuisse. «Wer kann, der wartet.» Denn in erster Linie müssen die amerikanischen Importeure die Zölle bezahlen. Das sind zusätzliche Kosten, die das Budget arg strapazieren und Marge auffressen. Da werden Investitionen aufs nächste Jahr verschoben. Mit noch offenen Folgen für die Schweizer und die globale Wirtschaft.

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