Es droht der grosse Zollhammer
So labil ist die Lage der Schweizer Wirtschaft

Die Weltwirtschaft kämpft mit Verwerfungen. Diese lassen in der Schweiz vorerst keine schwere Rezession erwarten. Nur: Massiv höhere Zölle könnten das ändern.
Publiziert: 30.07.2025 um 16:06 Uhr
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Aktualisiert: 31.07.2025 um 16:20 Uhr
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Im Krisenmodus: Die Industriebranche leidet schon länger.
Foto: Keystone

Darum gehts

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Peter Rohner und Markus Diem Meier
Handelszeitung

Angesichts der Anzahl an Negativberichten aus der Weltwirtschaft und Trumps Zollkrieg würde eine einbrechende Konjunktur auch in der Schweiz nicht überraschen. Doch die Schweizer Wirtschaft schlägt sich bisher wacker im schwieriger gewordenen Umfeld. So blieb die Schweiz von einer Rezession oder Stagflation verschont – anders als Deutschland.

Auch die schon bisher deutlich angestiegenen Zölle der USA haben in den BIP-Zahlen noch keinen sichtbaren Schaden angerichtet. Im Gegenteil: Um den Einfuhrzöllen zuvorzukommen, haben US-Firmen im ersten Quartal, also noch vor dem «Liberation Day» im April, besonders viele deutsche Autos und Schweizer Pharmaprodukte gekauft.

Die Folge davon war ein massiver Anstieg der Exporte in die USA. Allein die Schweizer Pharmaexporte in die USA sprangen im ersten Quartal um 4,5 Milliarden Franken nach oben und machten damit fast ein Drittel aller Güterausfuhren aus. Dieser Schub im Güterhandel hat der Schweiz zusammen mit dem robust wachsenden Dienstleistungssektor ein überdurchschnittliches Wachstum beschert. Real, also um die Teuerung bereinigt, stieg das Bruttoinlandprodukt (BIP) im ersten Quartal um 0,8 Prozent, gegenüber dem Vorjahresquartal waren es 2,1 Prozent.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

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Ein Grund zum Feiern ist das aber nicht. Denn jetzt zeigen sich die negativen Folgen der jüngst starken Exportentwicklung. Die Lager der US-Importeure sind voll, die Firmen haben sich mit Rohstoffen und Vorprodukten eingedeckt. Die Schweizer Exporte sind von der Spitze im März von knapp 28 Milliarden auf 21 Milliarden Franken pro Monat eingebrochen. Wie zuvor der steile Anstieg geht auch dieser scharfe Rückgang in erster Linie auf das Konto der chemisch-pharmazeutischen Produkte. Im Mai sind zusätzlich auch die Uhrenexporte eingeknickt.

Schweiz wartet noch auf Zoll-Nachricht aus Washington

Dazu kommt eine allgemeine Verunsicherung aufgrund der unübersichtlichen Situation bei den Zöllen. Mit welchen Sätzen droht Trump bloss? Was gilt ab wann? Die Unsicherheit hat sich auch auf die Stimmung der Konsumenten niedergeschlagen. Der Konsum hat immerhin den grössten Anteil an der Endnachfrage. Der Konjunkturstimmungsindikator des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zeigte im April einen ähnlich starken Einbruch wie nach dem Franken-Schock im Jahr 2015.

Auch auf das BIP-Wachstum in den Winterquartalen folgt nun die Wende. Dass es im zweiten Quartal negativ ist, ist unter Ökonomen längst Konsens. Konkret werden wir es erst im September wissen, aber auch laufende Erhebungen wie die vom Seco erhobene wöchentliche Wirtschaftsaktivität zeigen den Einbruch bereits. Die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) geht für das zweite Quartal von einem BIP-Rückgang um 0,4 Prozent aus, gefolgt von einer Rückkehr zu leichtem Wachstum im zweiten Halbjahr.

Die grösste Bedrohung von aussen: Sollte Donald Trump seine Zollandrohungen wahr machen, würde das die Schweizer Wirtschaft hart treffen.
Foto: AFP via Getty Images

Das heisst, eine Minirezession ist nicht mehr auszuschliessen. «Je nachdem, wie sich der Umkehreffekt auf die beiden Quartale verteilt, könnte es auch zu einer technischen Rezession kommen», sagt KOF-Ökonom Alexander Rathke. Von einer technischen Rezession sprechen Ökonomen, wenn das BIP zwei Quartale in Folge schrumpft, egal wie stark. Eine solche Rezession ist aber nicht das Gleiche wie ein breiter wirtschaftlicher Einbruch mit vielen Firmenpleiten und Massenentlassungen.

Auf das ganze Jahr gerechnet dürfte das Schweizer BIP leicht zunehmen. Die Prognosen der Banken und Forschungsinstitute liegen zwischen 1,1 und 1,4 Prozent Wirtschaftswachstum. Jüngste Daten etwa zur Konsumentenstimmung zeigen zudem seit dem Tiefpunkt im April eine Erholung.

Das Problem ist die chronische Schwäche

Kein Konjunkturabsturz ist aber nicht dasselbe wie eine solide Wirtschaftsentwicklung. Selbst mit den positiven bisherigen und erwarteten künftigen Wachstumsraten schöpft die Schweizer Wirtschaft ihr Potenzial nicht aus. «Wir befinden uns nun schon länger in einer schwachen Wachstumsphase», sagt Rathke von der KOF dazu. Seit dem Ende des Post-Corona-Booms werde wenig investiert. Darunter leide vor allem die Industrie. Das zeigt sich auch im Einkaufsmanagerindex für die Industrie – dem wichtigsten Stimmungsbarometer dieses Bereichs. Bereits seit drei Jahren zeigt er Werte unterhalb der Wachstumsgrenze. Das spiegelt sich in der Wertschöpfung. «Die Industrie bleibt das Sorgenkind», bestätigt Fredy Hasenmaile, Chefökonom von Raiffeisen.

Dass es der Schweizer Wirtschaft nicht noch schlechter geht, liegt an der robusten Binnennachfrage und dem stabilisierenden Dienstleistungssektor. Die niedrigen Zinsen sind zudem eine Stütze für die Bauwirtschaft. Seit die Schweizerische Nationalbank ihre Leitzinsen – unter anderem auch wegen der Konjunktursorgen – auf null gesenkt hat, gilt das erst recht.

In der aktuellen Gemengelage spricht aber wenig dafür, dass sich an der Investitionsflaute bald etwas ändert. Die Verunsicherung wegen der Zölle ist gross, neue Projekte schieben Unternehmen daher auf die lange Bank. Man habe gehofft, dass mit dem Ablaufen der Verhandlungsfrist im Juli mehr Klarheit über die Höhe der Zölle herrschen würde, sagt KOF-Ökonom Rathke. Aber jetzt verzögert sich das wieder.

Angst vor Negativzinsen: Wegen der tiefen Inflation und der Frankenstärke hat die Nationalbank unter Martin Schlegel ihren Leitzins bereits auf null gesenkt.
Foto: Keystone

Die Schweizer Exportwirtschaft kann sich vorerst kaum Hoffnung auf eine deutliche Belebung der Nachfrage in ihren Absatzmärkten machen. Die USA haben nicht nur höhere Zölle, sie haben mit dem Dollar auch noch eine deutlich abgeschwächte Währung, die den Schweizer Unternehmen das Leben schwer macht. Das verteuert ihre Produkte für Amerikaner und senkt den Wert ihrer Einkünfte in Dollar, was ihren Gewinn schmälert. Zudem hat sich das Wachstum der US-Wirtschaft ebenfalls abgeschwächt. Auch China kämpft mit Problemen: Dazu zählt die weiter schwelende Immobilienkrise, die Konsumschwäche und ein Kapitalabfluss. Die Massnahmen von Chinas Regierung dagegen helfen wenig und liefern keine Impulse für die Weltwirtschaft und damit die Schweizer Exportindustrie.

Keine Stütze aus China: Die Wirtschaftsmacht im Osten leidet unter anderem noch immer an der Immobilienkrise, die durch Überinvestitionen ausgelöst wurde.
Foto: imago/VCG

Hoffen auf Deutschland

Bessere Signale kommen aus Deutschland. Ausgerechnet dessen Wachstumskrise, welche die Schweizer Industrie in den letzten drei Jahren nach unten gezogen hat, weckt Hoffnungen. Seit das Land wieder eine handlungsfähige Regierung hat, die mit einer Investitions- und Schuldenoffensive gestartet ist, hat sich die Stimmung bei den Unternehmen etwas aufgehellt. Der bekannte deutsche IFO-Geschäftsklimaindex ist seit dem Tief im Dezember sechsmal in Folge gestiegen. «Die deutsche Wirtschaft schöpft langsam Zuversicht», heisst es im Bericht des IFO-Instituts.

Hoffen auf Deutschlands Ausgabenschub: Die Pläne der neuen Regierung unter Friedrich Merz würden auch die Schweizer Wirtschaft stützen.
Foto: imago/Mike Schmidt

Die Stimmung allein macht allerdings noch keinen Aufschwung. Entsprechend vorsichtig sind die Konjunkturauguren: «Deutschlands Konjunktur hat womöglich die Talsohle erreicht», sagt Rathke von der KOF. Bis das Fiskalprogramm umgesetzt wird und es Wirkung zeigt, dauert es noch einige Zeit. Frühestens gegen Ende Jahr könne man aus dieser Richtung mit einem Impuls für die Wirtschaft rechnen, so Rathke. Schweizer KMU bekommen von der angeblichen Stimmungswende in Deutschland ohnehin kaum etwas mit. Laut einer Sonderumfrage der Raiffeisen berichtet immer noch die Hälfte aller exportorientierten Betriebe von einer sinkenden Nachfrage aus Deutschland. Nur ein Viertel erwartet für das zweite Halbjahr eine Erholung.

Auch wenn für die Schweizer Wirtschaft zurzeit keine Krise ansteht, bleibt die Lage herausfordernd, und es bleibt zu hoffen, dass weitere negative Entwicklungen in der Weltwirtschaft wie ein eskalierender Zollkrieg die labile Lage nicht doch noch entgleisen lassen.

Normalisierung am Arbeitsmarkt

In der Konjunkturforschung spielt die Arbeitslosenquote meist eine untergeordnete Rolle. Sie ist ein nachlaufender Indikator, das heisst, sie ist Ergebnis der vergangenen Konjunkturentwicklung. Für Prognosen interessieren Indikatoren, die vor allem Hinweise auf die künftige Entwicklung liefern.

Dennoch fördert ein Blick auf die Schweizer Arbeitsmarktdaten Interessantes zutage. So betrug die saisonal bereinigte Arbeitslosenquote gemäss Seco im Juni 2,9 Prozent. Das ist im historischen Vergleich immer noch niedrig. Aber die steigende Tendenz bestätigt, dass die Schweizer Konjunktur seit dem Post-Corona-Boom an Fahrt verloren hat.

Am deutlichsten sind die Bremsspuren in der Industrie. Dort ist auch die Zahl der Anträge auf Kurzarbeitsentschädigung am höchsten. Die vierteljährliche Beschäftigungsstatistik des Bundesamts für Statistik zeigt zudem, dass im ersten Quartal im verarbeitenden Gewerbe die Zahl der Stellen umgerechnet in Vollzeitäquivalente im Vergleich zum Vorjahr abgenommen hat, zum ersten Mal seit 2021.

Nur dank der anhaltenden Dynamik im Tertiärsektor wächst die Beschäftigung schweizweit weiter. Aber die Zuwachsraten von 3 Prozent und mehr während des Post-Corona-Booms sind definitiv passé.

Der Anstieg der Arbeitslosenquote und der Rückgang des Beschäftigungswachstums stellen eine Normalisierung des Arbeitsmarkts dar. Er gleicht nun wieder dem Zustand vor Corona. Der Post-Corona-Boom war demnach ein konjunkturelles Phänomen und weniger Ausdruck eines strukturellen Wandels am Arbeitsmarkt.

In der Konjunkturforschung spielt die Arbeitslosenquote meist eine untergeordnete Rolle. Sie ist ein nachlaufender Indikator, das heisst, sie ist Ergebnis der vergangenen Konjunkturentwicklung. Für Prognosen interessieren Indikatoren, die vor allem Hinweise auf die künftige Entwicklung liefern.

Dennoch fördert ein Blick auf die Schweizer Arbeitsmarktdaten Interessantes zutage. So betrug die saisonal bereinigte Arbeitslosenquote gemäss Seco im Juni 2,9 Prozent. Das ist im historischen Vergleich immer noch niedrig. Aber die steigende Tendenz bestätigt, dass die Schweizer Konjunktur seit dem Post-Corona-Boom an Fahrt verloren hat.

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