Darum gehts
- Billige LED-Beleuchtung aus China birgt Sicherheitsrisiken. Schweizer Behörden sind machtlos
- 2,6 Milliarden Franken gaben Schweizer im letzten Jahr online im Ausland aus
- Der Bund will jetzt Temu und Co. stärker regulieren und dafür EU-Regelungen übernehmen
Stille Nacht, besinnliche Optik: Im Advent putzt sich die Schweiz heraus, mit Abertausenden Lichtern, am Weihnachtsbaum, im Garten, am Balkongeländer. Kerzen haben weitgehend ausgedient, der Standard heute heisst LED. Die energiesparenden Leuchten sind schliesslich zuverlässiger und sicherer als echte Flammen. Wirklich?
Die elektronische Beleuchtung mag romantisch wirken, doch auch von Lichterketten gehen Gefahren aus. Das gilt besonders, seit chinesische Händler wie Temu das Land mit ihren Billigpaketen fluten.
2,6 Milliarden Franken gaben Schweizerinnen und Schweizer im letzten Jahr online für Importware aus, fast eine Milliarde entfiel auf Temu und die Ultra-Fast-Fashion-Marke Shein. Und nie brummt das Geschäft wie zur Weihnachtszeit: Rund eine halbe Million Menschen bestellen in der Schweiz etwas über die Temu-App – jede Woche!
Der Billigmarktplatz ist zum Massenphänomen geworden – aber auch zum Sicherheitsrisiko.
Spiel mit dem Feuer
Das Geschäftsmodell der chinesischen Onlinemarktplätze: Hauptsache, spottbillig! Eine 30 Meter lange LED-Girlande für den Baum im Garten zum Beispiel kostet fünf Franken, portofrei per Luftfracht.
Severo Nicoli, Leiter Marktüberwachung beim Eidgenössischen Starkstrominspektorat Esti, warnt vor den Billiglämpchen aus Fernost: Die wenigsten erfüllten die Schweizer Standards, seien weder geprüft noch zertifiziert: «Wir vermuten bei nicht geprüfter Weihnachtsbeleuchtung ein Sicherheitsrisiko.» Wer möglichst billig kauft, spielt mit dem Feuer.
Zwar sehen LED-Lichterketten von Temu ähnlich aus wie die Produkte von Schweizer Anbietern. Ihr Innenleben unterscheidet sich aber erheblich von dem der Qualitätsware.
Billiges Aluminium statt Kupfer
Um die Kosten tief zu halten, wird der Metallanteil reduziert. Statt Kupfer kommt günstiges Aluminium mit deutlich schlechterer Leitfähigkeit zum Einsatz. Kabel brechen, Kontakte werden heiss – ist brennbares Material im Spiel, kann es brenzlig werden.
Doch nicht nur in billiger Weihnachtsbeleuchtung lauert Gefahr. Chinesische Onlinemarktplätze wie Temu oder Shein stehen wiederholt in der Kritik, minderwertige Produkte zu verkaufen. Immer wieder zeigen Laboranalysen, dass Billigplattformen gefährliche oder nicht gesetzeskonforme Waren vertreiben, von Spielzeug bis Kosmetik.
Erst Ende November deckte ein Testkauf des Westschweizer Fernsehens RTS schwere Mängel bei Plüschtieren auf: Für Kinder unter drei Jahren bestand Erstickungsgefahr! Fünf der sechs lebensgefährlichen Kuscheltiere wurden laut RTS über die chinesischen Websites Shein, Temu und Aliexpress bestellt.
Und die Schweizer Behörden? Sind machtlos.
Es fehlt die gesetzliche Grundlage
Ausländische Onlineshops und -plattformen wie Temu unterstehen nicht der hiesigen Gesetzgebung. Sie beliefern ihre Kundschaft direkt aus dem Ausland und unterstehen nicht derselben Kontrolle wie die inländische Konkurrenz. Noch nicht. Jetzt aber will die Schweiz die Regulierung von Temu und Co. deutlich verschärfen.
Die Regelungen im Digitalbereich sollen jenen der Europäischen Union angeglichen werden, wie das Seco auf Anfrage bestätigt. Eine Teilrevision des Produktsicherheitsgesetzes und des Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse stünden an. Damit sollen laut Seco wesentliche Elemente aus den europäischen Bestimmungen übernommen werden, die Sicherheit und Marktüberwachung regeln.
Im Unterschied zur Schweiz hat die EU bereits 2023 auf den Markteintritt von Temu reagiert und neue Digitalgesetze verabschiedet. Onlinemarktplätze müssen seitdem offenlegen, wie ihre Algorithmen funktionieren, illegale Produkte rasch aus ihrem Angebot löschen und Werbung für Minderjährige strenger filtern.
Zudem werden die grossen Plattformen verpflichtet, Verantwortung als Händler zu übernehmen, wozu auch eine Haftungspflicht gehört. Dies soll die gängige Praxis der Webplattformen unterbinden, sich lediglich als Vermittler zwischen Kunden und Hunderttausenden Anbietern darzustellen.
Wer sich nicht an die Vorschriften hält, riskiert Milliardenbussen. Dass es die EU dabei ernst meint, hat sie mit der Eröffnung diverser Verfahren bereits bewiesen.
Hat der Bund absichtlich gebremst?
Nun will also auch die Eidgenossenschaft einen Schritt weiter gehen. Schweizer Händler und Konsumentenschützer warten darauf seit langem. Seit zwei Jahren fordern sie den Bundesrat beharrlich dazu auf, ausländische Anbieter endlich denselben gesetzlichen Vorschriften zu unterstellen wie hiesige Produzenten und Händler.
Im Parlament wurde die Zurückhaltung des Bundesrats von links bis rechts als Versuch interpretiert, Chinas Führung nicht unnötig zu verärgern: Die Schweiz strebt ein neues Freihandelsabkommen mit der Volksrepublik an.
Details zum Inhalt der geplanten Gesetzesänderungen und zum zeitlichen Fahrplan gibt das Seco nicht preis. Wann genau die Schweiz beginnen wird, effektiv gegen chinesische Billiganbieter im Netz vorzugehen, bleibt daher ungewiss.
Bis dahin zahlen die Konsumentinnen und Konsumenten die Zeche – nicht nur durch mögliche Gefahren der Billigware: Wie Blick berichtete, werden in der Schweiz jährlich bis zu 2000 Verfahren eröffnet, weil Kunden in die Temu-Falle tappen und über die App Produkte bestellen, die in der Schweiz verboten sind – beispielsweise Spielzeugpistolen, die echten Waffen ähneln.
Kürzlich musste ein Aargauer eine Busse von 6500 Franken zahlen, weil er bei Temu zwei pinkfarbene Wasserpistolen geordert hatte. Der Mann hatte sich unwissend der «fahrlässigen widerrechtlichen Einfuhr von Waffen» schuldig gemacht.