Partei-Urgestein Franz Steinegger
«Mir gefällt der schärfere Stil der FDP»

Nach nur vier Jahren räumt FDP-Präsident Thierry Burkart das Feld. Die Partei sei auf gutem Kurs, findet FDP-Urgestein Franz Steinegger. Warum ihm das EU-Paket keine Sorgen bereitet und bei welchem Thema die FDP nun punkten muss.
Publiziert: 23.06.2025 um 19:48 Uhr
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Franz Steinegger präsidierte viele Jahre lang die FDP.
Foto: Philippe Rossier

Darum gehts

  • Franz Steinegger spricht über FDP-Führungswechsel und politische Herausforderungen
  • Steinegger betont Notwendigkeit von EU-Regelung und Zuwanderung für Wirtschaft
  • Ex-FDP-Präsident war 12 Jahre im Amt, Burkart nur 4 Jahre
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Jessica Pfister
Schweizer Illustrierte

Zu Hause in seiner Wohnung in Flüelen UR trifft man Franz Steinegger (82) nicht häufig an. «Unter der Woche gehe ich jeden Tag ins Büro. Das gibt mir eine Struktur», sagt der ehemalige FDP-Präsident, der zusammen mit seiner Frau Ruth Wipfli (68) ein Anwaltsbüro in Altdorf führt. Er praktiziert nicht mehr. «Doch irgendjemand muss ja der Stallwächter sein», sagt er schmunzelnd. Am Wochenende geht er fast immer zu Berg, «um mit den Leuten zu quatschen – oder über die Politik zu schimpfen».

Herr Steinegger, Sie sagten einmal: «Parteipräsident ist ein verschissener Job.» Also können Sie verstehen, dass FDP-Chef Thierry Burkart zurücktritt?
Franz Steinegger: Ja, das verstehe ich immer. Aber ich war überrascht, weil ich das Gefühl hatte, es funktioniere gut. Ich weiss halt nicht, was da alles zusammengekommen ist.

Bedauern Sie seinen Rücktritt?
Ja, denn er hat einen guten Job gemacht und war sehr engagiert.

Artikel aus der «Schweizer Illustrierten»

Dieser Artikel wurde erstmals in der der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.

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Burkart war nur vier Jahre im Amt, seine Vorgängerin Petra Gössi blieb fünf Jahre. Sie waren zwölf Jahre Parteipräsident der FDP. Haben die Politiker heutzutage keinen Durchhaltewillen mehr?
Burkart war mein siebter Nachfolger! Wenn man einen ganzen Lebensentwurf anschaut, sind zwölf Jahre schon die obere Grenze. Das persönliche Umfeld muss ständig Opfer bringen, das ist eine Herausforderung. Hinzu kommt – in diesem Amt bekommt man nicht viel Lob, im Gegenteil.

So viele Wechsel sind aber nicht ideal.
Es gibt zumindest publizistisch Aufmerksamkeit (schmunzelt). Ernsthaft: Natürlich ist Kontinuität besser. Obwohl die Inhalte doch sehr ähnlich bleiben. Vor zwei Jahren war ich in der Jubiläumssendung zu «30 Jahren Arena» mit den alten Schlachtrössern Bodenmann und Blocher. Ein Thema waren die Sozialversicherungen. Ich hatte meine Notizen aus den 80ern dabei und konnte diese ohne Probleme anwenden. Erschreckend!

Was sagt das über unser politisches System aus?
Dass es zu wenig Kompromisse gibt. Und dass das Volk halt auch immer mal wieder Nein sagt.

Unter Thierry Burkart hat sich der Kommunikationsstil der FDP verändert: schärfer, polarisierender. Wie finden Sie das?
Also wenn ich schaue, was mir früher an den Kopf geworfen wurde – ich sei ein Tubel …

… aber die FDP kommunizierte nicht so.
Stimmt, die Partei war zurückhaltender. Vielleicht zu zurückhaltend.

Beim Asylkurs oder bei den AKW hat sich die FDP stark der SVP angenähert. Sollte man sich nicht klarer abgrenzen?
In der Ausländerpolitik muss etwas gehen. Die FDP kann keine vernünftige Migrationspolitik machen, ohne dass sie nicht irgendwann der SVP, die schon acht Initiativen zu dem Thema einreichte, in den Garten tritt. Davor darf man sich nicht scheuen. Danach kommt die Arbeit: in der Sache einen Kompromiss finden, der die Mehrheit trägt. Einmal ist man mit der SVP liiert, das andere Mal mit den Sozialisten. Am schwierigsten ist es, bei der AHV zu navigieren. Die Rechte traut sich nicht, diese anzurühren, und die Linke will sowieso alles gratis.

Ein Punkt, in dem sich die FDP immer von der SVP unterschieden hat, sind die Bilateralen Verträge. Am Freitag hat der Bundesrat die neuen Verträge mit der EU veröffentlicht. Während die FDP ihre Position noch ausdiskutieren will, läuft die SVP bereits mit der Hellebarde auf.
Ach … (seufzt tief). Wir brauchen eine Regelung mit der EU, sie ist unser grösster Wirtschaftspartner.

Haben Sie die Verträge im Detail studiert?
Noch nicht. Die meisten Paragrafen sind nicht so relevant, das sind Regelungen auf Verordnungsstufe.

Macht Ihnen als Jurist die dynamische Rechtsübernahme keine Sorgen?
Wenn die Erfahrungen zeigen, dass das Paket unerträglich ist, muss man auch den Mut haben, auszutreten. Wir sind durch die EU-Verträge nicht mit der EU verheiratet. Der Bundesrat müsste dann schauen, wie wir uns trennen können. Und sonst tut man so blöd, bis sie uns rausschmeissen. Ich bin da relativ gelassen.

Das ist ... Franz Steinegger (82)

Der Urner Anwalt war von 1989 bis 2001 Präsident der FDP Schweiz. In dieser Zeit lehnte die Schweiz den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ab. Nach den Überschwemmungen im Urner Reusstal 1987 diente er als Krisenmanager, was ihm den Übernamen «Katastrophen-Franz» einbrachte. Steinegger ist mit Ruth Wipfli verheiratet und Vater zweier Söhne.

Der Urner Anwalt war von 1989 bis 2001 Präsident der FDP Schweiz. In dieser Zeit lehnte die Schweiz den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ab. Nach den Überschwemmungen im Urner Reusstal 1987 diente er als Krisenmanager, was ihm den Übernamen «Katastrophen-Franz» einbrachte. Steinegger ist mit Ruth Wipfli verheiratet und Vater zweier Söhne.

Die Kritiker des EU-Pakets fürchten mehr Zuwanderung, Dichtestress, höhere Mieten. Können Sie diese Ängste verstehen?
Ja sicher, gerade bei der Wohnungsnot. Unser Sohn Benjamin lebte zwei Jahre in Zürich. Er konnte mit viel Glück unter der Hand eine Wohnung übernehmen und hatte einen anständigen Vermieter – das ist die Ausnahme. Wenn mehr Leute kommen, müssten wir die Bauzonen erweitern und die Ausnutzung erhöhen. Das wollen die Linken und die Grünen natürlich nicht. Ein höherer Mieterschutz schafft keine neuen Wohnungen.

Wie viele Millionen Einwohner verträgt unser Land?
Wir kommen langsam an unsere Grenzen. Das sagte ich aber schon bei sieben Millionen.

Ein Teil des EU-Schweiz-Deals ist eine Schutzklausel bei der Zuwanderung.
Ja, die müsste man dann auch mal ziehen. Klar ist für mich dennoch: Wir brauchen eine gewisse Zuwanderung, sonst sterben wir aus. Vielleicht sollte man in allen Spitälern in Zukunft am Empfang gefragt werden, wie man zur Zuwanderung steht. Die Gegner werden in einen Kanal mit Betreuung nur durch Schweizer geleitet, die Befürworter in den normalen Kanal. Die Gegner hätten kaum einen Arzt oder jemanden, der ihnen das Bett macht.

Ist der EU-Deal ein Fortschritt oder chancenlos?
40:55
Diskussion in voller Länge:Ist der EU-Deal ein Fortschritt oder chancenlos?

Die Frage, wie viele Menschen hier leben sollen, ist nur die eine – nach dem Bergsturz in Blatten läuft nun die Diskussion, wo wir leben sollen. Sie sind ein Bergler …
… und in den Bergen haben wir halt die Gefahr der Schwerkraft, alles will runter. Wenn wir die Geschichte der letzten 300 Jahre anschauen, gabs immer wieder Bergstürze und Überschwemmungen. Ich bin nicht bereit zu sagen, dass wir wegen des Klimawandels die Alpen evakuieren.

Verstehen Sie, dass Blatten trotz der Gefahrenlage wieder aufgebaut wird?
Schauen Sie mal hier in Flüelen (zeigt aus dem Fenster). Wenn wir hier keine Verbauungen am Berg hätten, könnten wir nicht in dieser Wohnung leben. Es ist ein Wildwassergebiet. Dank den Verbauungen ist es sicher. Natürlich kostet Sicherheit, aber wir vermögen das.

In Steineggers Büro in Flüelen stapeln sich die Bücher. «Ich wollte schon länger eine grössere Bibliothek, hatte aber keine Zeit dafür.»
Foto: Kurt Reichenbach

Bergab geht es auch mit Ihrer Partei. Bei den kantonalen Wahlen hat die FDP elf Sitze verloren. Insgesamt ist der Wähleranteil auf 14 Prozent geschrumpft – bei Ihnen war er noch auf 24 Prozent. Was braucht es für die Wende?
Leute, und zwar auf allen Stufen.

Die sind nicht da?
Offenbar zu wenige oder die falschen. Selbstverständlich sind die Bundesräte und der Parteichef die Aushängeschilder, über die berichtet wird. Aber es gibt auch noch die Fraktion. Es braucht Frauen und Männer, die die Positionen weitervertreten und den Parteipräsidenten fachlich und sachlich unterstützen. Burkart wurde aber oft von der eigenen Fraktion angegriffen und im Regen stehen gelassen.

Hatten Sie damals diese Unterstützung?
Teilweise (lacht). Super aufgestellt war damals die SP. Peter Bodenmann konnte einen raushauen, und Moritz Leuenberger oder Elmar Ledergerber gaben ihm Rückendeckung.

Burkart betonte mantramässig, dass die FDP für alle kämpft, die morgens den Wecker stellen. Doch das Image, dass die FDP sich nur für die Banken und Millionäre einsetzt, hält sich hartnäckig.
Das Image muss man überleben. Wir können nicht verleugnen, dass wir Beziehungen zur Wirtschaft pflegen – denn dort müssen wir unser Wissen holen, um gute Wirtschaftspolitik zu machen. Und was bei der Sozialpolitik viele vergessen: Die AHV wurde von Freisinnigen erfunden, bevor SP-Bundesrat Tschudi sie ausbaute. Bei der AHV und der zweiten Säule sehe ich für die FDP eine Chance, sich mehr zu profilieren.

Die FDP setzt auf Eigenverantwortung. Doch in den letzten Jahren hat der Staat stark an Bedeutung gewonnen: Pandemie, CS-Krise, 13. AHV. Ist Liberalismus überhaupt noch zeitgemäss?
Ich glaube, es gibt ein Revival des Liberalismus. Wir können ja nicht einfach so weitermarschieren. Wir brauchen einen starken Staat, der sich aber auf die wichtigsten Angelegenheiten beschränkt. Wenn ich sehe, an welche Detailvorschriften man sich heute etwa beim Bauen halten muss, kann ich nur den Kopf schütteln.

In der Ukraine und im Nahen Osten herrscht Krieg, die USA unter Trump sind unberechenbar. Da schreien doch alle nach mehr Sicherheit – nicht nach mehr Eigenverantwortung?
Bei der Sicherheitspolitik hat sich die FDP stets klar positioniert und vor einem Armeeabbau gewarnt. Im Gegensatz zu den Linken, die die Armee abschaffen wollten. Und die Neutralität, wie die SVP sie propagiert, ist sowieso untragbar. Wir müssen nicht zur Nato, aber eine engere Kooperation etwa im Luftraum ist wichtig. Hier war ja Burkart sehr aktiv.

Das liberale Sprachrohr, die NZZ, sagt: «Der Liberalismus ist eine Zumutung, den die FDP als einzige Partei noch nicht aufgegeben hat.»
Es gibt ja an allen Orten liberale Errungenschaften. Wer nennt sich nicht liberal? Liberal ist eine Haltung – aber als Slogan kann man dies nicht wirksam machen. Wer politische Ideen durchbringen will, muss jemanden anhechten.

Anhechten?
In der Konfrontation werden die Positionen klar. Man kann dann ja wieder nachgeben. Von dem her gefällt mir der schärfere Stil der FDP heute.

Als Topfavorit für die Nachfolge von Thierry Burkart gilt der 31-jährige Andri Silberschmidt, der heutige Vizepräsident.
Er ist ein guter Typ, ich habe ein paarmal mit ihm diskutiert. Ich lanciere hier aber niemanden.

Silberschmidt wurde gerade erst Vater. Verträgt sich das mit dem «verschissenen Job» des Parteipräsidenten?
Ich war auch Vater – meine Frau und ich haben beide gearbeitet. Wir hatten immer jemanden, der zu unserem Sohn und für den Haushalt schaute. Im Bewusstsein darum, dass ein Lohn dafür draufgeht.

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