Darum gehts
- Innerschweizer Kantone wollen ihre Steuern ab 2026 senken
- Steuersenkungen locken Unternehmen an, können aber soziale Ungleichheit verstärken
- OECD-Mindeststeuer: Bund überlässt Grossteil der Einnahmen den Kantonen
Die Innerschweiz kultiviert den Steuerkrieg. Die bereits günstigen Kantone planen auf nächstes Jahr erneut Entlastungen: Die Kantone Zug, Schwyz und Nidwalden senken ihre Steuerfüsse oder -tarife für natürliche Personen. Im Kanton Luzern wird deshalb ebenfalls heiss über weitere Absenkungen diskutiert, um nicht den Anschluss zu verlieren.
Auch im Rest der Schweiz werden immer wieder Rufe laut, den «Mittelstand» zu entlasten. Ob in den Kantonen Graubünden, Bern oder Aargau – bürgerliche Kräfte drücken regelmässig auf tiefe Steuern. Und dies, obwohl einige der Kantone sich das kaum leisten können. Was macht das mit der Schweiz?
OECD-Mindeststeuer lässt das Geld sprudeln
Mit der Übernahme der OECD-Mindeststeuer erhoffen sich alle ein Stück des Kuchens: Die Mehreinnahmen sollen endlich sprudeln. Der Bund entschied sich, den Grossteil der Einnahmen den Kantonen zu überlassen – für die Standortförderung. Besonders in der Steueroase Innerschweiz wird daher fleissig an Absenkungen gearbeitet.
Die Kantone argumentieren dabei oft nach demselben Muster: Auf die kurzfristigen Ausfälle sollen alsbald Mehreinnahmen folgen. Zum einen, weil etwa Familien entlastet werden, die so Beruf und Kinder besser vereinbaren können. Zum anderen, weil so noch mehr Unternehmen ihre Zelte in den Tiefsteueroasen aufschlagen könnten.
«Bei den Tiefsteuerkantonen gilt als Philosophie statt ‹nice to have› eher ‹need to have›», sagt Martin Mosler (34) vom Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP). Die wirtschaftsliberale Abteilung der Universität Luzern verteidigt die Schweizer Steuerpolitik eisern. Denn: «Durch den Steuerwettbewerb bleiben die Kantone fit und nahe an den Bedürfnissen des Stimmvolks», so Mosler.
ETH-Institut warnt vor Ungleichheit
In linken Kreisen sorgt das Vorgehen jedoch auch für Kritik. Die «Nice to have»-Mentalität sorge dafür, dass durch die Entlastungen beim «Mittelstand» und bei den Reichen besonders bei den Sozialleistungen gespart werde. «Diese unterschiedlichen Bündel an Steuern und staatlichen Leistungen werden aber nicht von einem Diktator aufgezwängt, sondern sind vom Stimmvolk so gewünscht», argumentiert Mosler dagegen.
Andere Wirtschaftsinstitute sehen diese Entwicklung jedoch kritischer als das IWP. Der Steuerwettbewerb führe zu einer «Entmischung der Bevölkerung», schreibt etwa die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) in einer Analyse. Die bereits bessergestellten Kantone übernehmen die Reichen, den ärmeren bleibt der Rest. Die Folge: In den Tiefsteuerkantonen steigen die Wohnungspreise, in den Hochsteuerinseln die Sozialleistungen.
Die Profiteure profitieren weiter
Hinzu kommt der internationale Kontext: Der Hilfswerk-Dachverband Alliance Sud warnt immer wieder davor, dass Unternehmen dank der Tiefsteuerpolitik der Schweiz hierzulande «Steuer-Dumping» betreiben dürften. So würden Gewinne hierzulande besteuert, statt im Land, wo sie erwirtschaftet werden. Besonders dem globalen Süden würde so Geld entzogen.
Die OECD-Millionen subventionieren nun ausgerechnet die Kantone, die bereits tiefe Steuern fahren, warnt Alliance Sud. Nötig hätten sie es nicht: Bereits in den vergangenen Jahren landeten stets beachtliche Überschüsse in der Kantonskasse. Das feuert die Ungleichheit nochmals kräftig an.
Andere Kantone ziehen in den Steuerkrieg
Gleichzeitig weckt das Geld auch in anderen Kantonen die Begehrlichkeit, sich dem Steuerwettbewerb anzuschliessen: Im Mai dieses Jahres sprach sich etwa die Aargauer Bevölkerung an der Urne für tiefere Steuern aus. Und auch der Kanton Bern will ab 2026 entlasten – trotz eines grossen Lochs in der Kasse.
Mosler sieht im Vorpreschen ein positives Signal. «Die Reaktion zeigt die disziplinierende Wirkung des Steuerwettbewerbs auf», sagt er. «Der Kanton muss bei den Staatsausgaben priorisieren und die Verwaltung noch effizienter gestalten, damit er im Wettbewerb mit den anderen Kantonen bestehen kann.»
Der «ungesunden Spirale nach unten» würde sowieso durch den Nationalen Finanzausgleich entgegengewirkt werden, so Mosler. Das stellt auch die KOF so fest. Trotzdem bilanziert sie in ihrer Analyse: Wer die Idee eines «schlanken» Staates teilt, sei auf der Seite des Steuerwettbewerbs. Wer aber nach sozialer Gleichheit strebt, stünde ihm eher entgegen.