Darum gehts
Der fleissigste Helfer auf dem Bauernhof von Martin Haab heisst A5. Er ist ein Melkroboter des niederländischen Herstellers Lely. Rund um die Uhr steht er im Einsatz. Er melkt die 68 Kühe bis zu viermal am Tag, vollautomatisch.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
Für Haab, SVP-Nationalrat aus dem Zürcher Säuliamt, ist A5 ein Symbol dafür, wie die Landwirtschaftspolitik funktionieren sollte: nah an den Bedürfnissen der Bauern, flexibel, effizient.
Bäuerlicher Widerstand gegen die EU
Genau das Gegenteil sei die EU-Landwirtschaftspolitik. «Weiter weg vom Leben der Bauern als diese kann man gar nicht sein», sagt er gegenüber dem Beobachter. Die EU-Maschine sei komplett falsch eingestellt.
Wie der Mann aus Mettmenstetten denken viele Bauern in der Schweiz. Brüssel und seine Beamten sind ein Feindbild. Doch das bedeutet nicht automatisch, dass sie gegen die neuen Verträge mit der EU sind.
Landwirt Mathias Gerber beispielsweise ist klar dafür. «Wie man sie aus Bauernsicht ablehnen kann, ist für mich nicht nachvollziehbar.» Er ist Mutterkuhhalter aus dem Berner Jura und Vorstand der Interessengemeinschaft Agrarstandort Schweiz (IGAS). Das ist ein Zusammenschluss verschiedener Organisationen der Land- und Ernährungswirtschaft, der sich für einen öffnungsfreundlichen Kurs der Schweizer Landwirtschaft einsetzt.
Mit den neuen EU-Verträgen werde der Einfluss von Brüssel nicht erhöht, sondern lediglich der Status quo für die Zukunft gesichert, sagt Gerber. «Und dieser Ist-Zustand ist für die Schweizer Bauern ausgesprochen vorteilhaft.»
Zölle, EU-Zutritt und Direktzahlungen bleiben
Tatsächlich wollen der Bundesrat und die EU bei der Landwirtschaft das meiste so belassen, wie es ist. Die Zölle für Fleisch, Milch und Gemüse aus dem Ausland bleiben bestehen. Die Schweizer Bauern behalten Zutritt zum EU-Binnenmarkt, können Futtermittel und Pestizide in der EU einkaufen.
Das System der Direktzahlungen des Bundes wird nicht angetastet. Ebenso wenig der Tierschutz oder die Bestimmungen zur Gentechnik. Allein Bern und nicht Brüssel entscheidet über die Schweizer Landwirtschaftspolitik.
Als einzige wirkliche Neuerung würde die Schweiz Teil des europäischen Lebensmittelsicherheitsraums, der Konsumenten vor Täuschungen bei Lebensmitteln schützen soll.
Diese Vorteile gelten auch für Landwirt Martin Haab. Muss sich der SVP-Nationalrat also für das Vertragspaket entscheiden, wenn er das Beste will für seinen Hof? Obwohl seine Partei dieses vehement ablehnt?
«Die Situation ist komplexer, als sie erscheint», sagt der 63-Jährige. Er sagt von sich, er sei zuerst Bauer, dann Bauernvertreter, dann Nationalrat, dann SVPler. «Ich habe darum auch unserem Parteipräsidenten Marcel Dettling gesagt: ‹Schaut euch das in Ruhe an, verdammt es nicht von vornherein, nur weil EU draufsteht.›»
Und doch kommt er zum Schluss: «Die Risiken mit den neuen Verträgen sind grösser als die angebliche Sicherheit, die sie für die Landwirtschaft versprechen.»
Schreckensszenarien mit Gammelfleisch und Bakterien
Als Beispiel nennt er den europäischen Lebensmittelsicherheitsraum: Die Schweiz sei führend in der Lebensmittelsicherheit. Gammelfleisch-Skandale oder verunreinigte Milch gebe es so gut wie nie. «Warum sollen wir uns da näher an die EU anbinden?»
Haab entwirft ein Szenario, in dem es in Estland zu Erkrankungen aufgrund von Rohmilchbakterien kommt. Dann würden die Regeln für alle im EU-Raum verschärft – zum Nachteil der Schweiz, wo besonders viel Käse aus Rohmilch hergestellt wird.
Landwirtschaft global denken, lokal regeln
Oder der Käsefreihandel. Seit 2007 ist der Handel von Gruyère, Edamer oder Mozzarella zwischen der Schweiz und der EU zollfrei. Die Schweiz verkauft heute mehr Käse ins Ausland als früher. Für die IGAS und das Bundesamt für Landwirtschaft ist es der Beweis dafür, dass auch die Schweizer Landwirtschaft von einer Öffnung profitiert.
«Für die meisten Schweizer Milchbauern aber geht die Rechnung nicht auf», sagt Haab. «Der viele billige Importkäse drückt permanent auf den Milchpreis.»
Siegt letztlich doch der SVPler über den Landwirt? Haab verneint. Er sei EU-kritisch, ja, aber kein Antieuropäer. Als Bauernfunktionär hielt er Vorträge in Portugal, in den Niederlanden und in Skandinavien und war als Experte in Russland. Er spricht Englisch und Spanisch, kennt viele Landwirte aus der EU persönlich.
Die allermeisten seien mindestens so skeptisch gegenüber Brüssel wie ihre Kollegen hierzulande. «Die Nahrungsmittelproduktion ist ein derart komplexes System, dass sie zwar global gedacht, aber möglichst lokal gesteuert und geregelt werden sollte», ist Haab überzeugt.
Bauernverband sucht noch seine Meinung
Der Bauernverband hat sich bisher nicht zu den Verträgen geäussert. Man wolle zuerst den genauen Inhalt kennen, diesen dann «Punkt für Punkt» prüfen und besprechen, heisst es aus der Zentrale. Es wird nicht einfach sein, einen gemeinsamen Nenner zu finden.
Martin Haab, selber im Vorstand, hofft, dass «nicht einseitig nur die im Vertrag festgelegten, eher kleinen Veränderungen in die Rechnung einfliessen». Sondern auch berücksichtigt wird, wie sich die Abhängigkeit von der EU künftig erhöhen könnte.
Druck der SVP löst auch Kritik aus
Mathias Gerber von der IGAS hingegen kritisiert, dass von der SVP Druck auf die Bauern und den Verband ausgeübt werde. «Mit ihrer fundamentalen Opposition gegen die EU und die Personenfreizügigkeit verhindert sie eine sachliche Diskussion darüber, wie sich das Abkommen wirklich auf die Landwirtschaft auswirkt.»
Als Beispiel nennt er den Vorstoss des Freiburger SVP-Nationalrats Nicolas Kolly. Weil die Branchenorganisation Milch sich vorsichtig zustimmend zum Vertragspaket äusserte, fordert er, dass die Milchbauern keine Beiträge an die Organisation mehr zahlen müssen. Denn wenn sie Ja zum Paket sage, vertrete sie die Bauern nicht, Punkt.
Was passiert bei einem Nein zu den EU-Verträgen?
Entscheidend ist aber wohl für viele Landwirte eine Frage, auf die es keine abschliessende Antwort gibt: Was passiert, wenn die Schweiz das Abkommen ablehnt? Mathias Gerber und die IGAS befürchten, dass die Landwirtschaft auf den Status vor den Bilateralen I zurückfällt und ihre Privilegien gegenüber anderen Nicht-EU-Ländern verliert.
DCX STORY: doc81cvkwn99wx1dkay9hxl [Quellen]
SVP-Nationalrat Martin Haab glaubt nicht an dieses Szenario. Die Schweizer Landwirtschaft werde Wege finden, sich mit der EU zu arrangieren, ohne dass dafür eine institutionelle Anbindung notwendig sei. Mit Blick auf seinen Melkroboter A5 sagt er: «Als Bauer bin ich nicht gegen Veränderungen, ich will aber auch in Zukunft selber bestimmen, wie ich auf sie reagiere.»