Darum gehts
- Neun EU-Staaten fordern Überprüfung der Europäischen Menschenrechtskonvention wegen Migrationspolitik
- SVP will von Aufstand profitieren und fordert Schweizer Beteiligung
- Irreguläre Grenzübertritte in die EU sind 2023 um 38 Prozent auf 240'000 gesunken
Genug ist genug. Gleich neun EU-Staaten haben die Nase voll vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die Richter hatten die Länder wegen deren Migrationspolitik mehrfach zurückgepfiffen. In einem offenen Brief fordern nun unter anderem Italien, Dänemark, Belgien und Österreich, dass die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) überprüft wird. Diese sei nicht mehr der aktuellen Flüchtlingssituation angepasst. Von diesem Aufstand will die SVP nun als Trittbrettfahrerin profitieren.
Der Gerichtshof in Strassburg hatte zuletzt Fälle gegen Lettland, Litauen und Polen verhandelt, bei denen es um die angeblich rechtswidrige Behandlung von Migranten ging. Dänemark wurde aufgefordert, seine Regeln zur Familienzusammenführung zu ändern. Auch hatte das Gericht Italien mehrfach wegen seiner Behandlung von Migranten verurteilt.
Urteile in «übergriffiger Manier»
In der gemeinsamen Erklärung heisst es, man frage sich, «ob der Gerichtshof in einigen Fällen den Geltungsbereich der Konvention zu weit ausgedehnt und damit das Gleichgewicht zwischen den zu schützenden Interessen verschoben» habe. Die betreffenden Länder sehen ihren Handlungsspielraum in der Flüchtlingspolitik dadurch zu stark beschnitten. In bestimmten Fällen sei die Fähigkeit der Länder eingeschränkt worden, «politische Entscheidungen in unseren eigenen Demokratien zu treffen».
Die SVP fordert den Bundesrat nun dazu auf, sich mit den neun Vertragsstaaten ebenfalls für Reformen der Konvention einzusetzen. Schliesslich habe der Gerichtshof die Schweiz auf eine Klage der sogenannten Klimaseniorinnen hin «in ähnlich übergriffiger Manier» verurteilt. Das Parlament hatte das Urteil daraufhin in einer Erklärung dezidiert kritisiert. Die Richter hätten ihre Kompetenzen überschritten und sich zu Unrecht in unsere Politik eingemischt.
Schutz der Bevölkerung müsse Vorrang haben
Weiter nennt die SVP das Beispiel eines Bosniers, der wegen des Transports von Kokain des Landes verwiesen worden war. Die Richter in Strassburg rügten den Entscheid. Die Schweiz habe damit dessen Recht auf Achtung des Familienlebens verletzt.
Das ist wiederum der SVP ein Dorn im Auge: «Der Schutz der Bevölkerung und das Sicherheitsbedürfnis der Mehrheit müssten Vorrang haben vor individuellen Rechten straffälliger Ausländer.» Der Gerichtshof habe die Grenzen der zulässigen Weiterentwicklung des Rechts längst überschritten.
Als Mitgliedstaat des Europarats habe die Schweiz eine Verantwortung, sich aktiv an dieser Debatte zu beteiligen, findet die SVP. Menschenrechte sowie nationale Sicherheit und Souveränität seien gleichermassen zu wahren.
Laut EU-Grenzschutzagentur Frontex ist die Zahl festgestellter irregulärer Grenzübertritte in die EU letztes Jahr um 38 Prozent auf knapp 240'000 Fälle zurückgegangen. 2023 hatten die irregulären Einreisen den höchsten Stand seit fast zehn Jahren erreicht. Trotz sinkender Zahlen forderten die EU-Staats- und Regierungschefs von der EU-Kommission bei ihrem Gipfel im Oktober 2024 dringend neue Abschieberegeln.