Berlin zieht Asyl-Schraube an
Deutschland verschärft Grenzkontrollen – Schweiz (fast) machtlos

Deutschland will seine Grenzen schärfer kontrollieren. Warum das für die Schweiz zum Problem werden kann.
Publiziert: 11:52 Uhr
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Aktualisiert: 12:05 Uhr
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Ein deutscher Bundespolizist steht an der Grenze zwischen Kreuzlingen in der Schweiz und Konstanz in Deutschland.
Foto: Gian Ehrenzeller/Keystone

Darum gehts

  • Deutschland will Asylsuchende an Grenzen abweisen, Schweiz protestiert dagegen
  • Abweisungen an Grenzen haben Dominoeffekt auf andere Länder wie die Schweiz
  • Zwölf Länder haben temporär Grenzkontrollen im Schengenraum wieder eingeführt
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Tina Berg
Beobachter

Direkt nach seinem Amtsantritt kündigte der neue deutsche Innenminister Alexander Dobrindt (54) vergangene Woche mehr Polizeikontrollen an der deutschen Grenze an. Man wolle Asylsuchende zurückweisen. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), respektive Bundesrat Beat Jans (60, SP), protestierte auf X heftig gegen diese nicht abgesprochene Verschärfung.

Obwohl die Schengen-Binnengrenzen abgeschafft sind, kontrollieren viele Staaten seit längerem wieder, wer über ihre Landesgrenzen reist. Auf der Website der EU-Kommission sind momentan zwölf Länder aufgeführt, die temporär erneut Grenzkontrollen eingeführt haben. Deutschland gehört dazu. Argument: der hohe Migrationsdruck.

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Wieso also die Aufregung über die Ankündigung von letzter Woche? Sarah Progin-Theuerkauf, Professorin für Europarecht und europäisches Migrationsrecht an der Universität Freiburg, sagt auf Anfrage des Beobachters: «Neu ist: Auch Asylsuchende sollen an den Grenzen abgewiesen werden – nicht mehr nur Migrantinnen und Migranten ohne gültige Einreisepapiere für den Schengenraum.»

Verstoss gegen Grenzkodex

Asylsuchende abzuweisen, ist gemäss dem Schengener Grenzkodex aber nicht erlaubt. Der Zugang zu einem Asylverfahren muss immer gewährleistet sein. Und gemäss der Dublin-Verordnung wird im Falle eines Asylgesuchs nach der Einreise geprüft, welches Land für das Asylverfahren zuständig ist. Das Einreiseland kann die asylsuchende Person dann dorthin schicken. «Man kann sich nicht einfach für unzuständig erklären, wie es Deutschland jetzt machen will», sagt Progin-Theuerkauf.

Das Problem löst sich nämlich nicht in Luft auf. Wenn ein Staat keinen anderen zuständigen Staat ermitteln kann, ist er selbst zuständig. So sind die Regeln der Dublin-Verordnung. Auch die Schweiz ist beim Schengen- und Dublin-Abkommen dabei und muss diese Regeln einhalten. Expertin Progin-Theuerkauf bringt auf den Punkt, wieso die Verschärfungen an der deutschen Grenze deshalb für die Schweiz ein Problem werden: «Abweisungen an Grenzen haben einen Dominoeffekt, denn irgendwo bleiben die Asylsuchenden hängen.»

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Muss die Schweiz das in Kauf nehmen? Das EJPD kündigt auf X zwar an, Massnahmen zu prüfen, sagt aber nicht, welche. Rechtsprofessorin Progin-Theuerkauf sagt, die EU-Kommission könne ein Vertragsverletzungsverfahren durchführen. Aber das dauere Jahre und ende höchstens mit einer Busse. Man könne also tatsächlich nicht viel machen.

Ausser das Thema im Gemischten Ausschuss, dem zuständigen Gremium mit Vertretern der EU, ansprechen und aus dem Abkommen aussteigen. Aber an einer unreglementierten Migration und dem damit einhergehenden Chaos habe niemand wirklich ein Interesse.

Nicht das einzige Problem mit Dublin

Die deutsche Grenzsicherung ist nicht das einzige Problem mit dem Dublin-Abkommen, mit dem sich die Schweiz momentan herumschlägt. Italien nimmt schon seit mehreren Jahren keine Flüchtlinge aus der Schweiz und anderen Staaten zurück. Auch wenn es eigentlich das zuständige Land wäre.

Die aktuelle Situation mit Deutschland sei eine Episode mehr in der verschärften Asyldebatte in Europa, sagt Sarah Progin-Theuerkauf. «Niemand ist mit dem Dublin-System zufrieden. Alle sind bemüht, die Verantwortung für Asylsuchende an andere abzuschieben. Es gibt keinen europaweiten Verteilschlüssel und quasi keine Solidarität.»

Daran werde sich auch in Zukunft nichts ändern, weil der Asyl- und Migrationspakt, der nächstes Jahr in Kraft tritt, keine echten Lösungen bringe und es in vielen Staaten einen Rechtsruck gegeben habe.

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