Häuser einrichten im Kopf
Gedankenspiele – was, wenn ich hier wohnen würde?

Seit ich denken kann, richte ich in meinem Kopf Häuser ein. Stadtwohnungen, Schlösser, Landsitze und Strandhütten. Wo immer ich bin, stelle ich mir vor, zu bleiben.
Publiziert: 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 11:46 Uhr
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Seit ihrer Kindheit mag es Milena Moser, Häuser, die ihr auffallen, in ihrem Kopf für sich einzurichten.
Foto: Getty Images

Darum gehts

  • Autorin träumt von Häusern und Wohnungen, spielt Gedankenspiele mit Immobilien
  • Fantasien über neue Wohnorte als Zeitvertreib und Vorbereitung auf Veränderungen
  • Ein paar Mal im Leben wagte die Autorin tatsächlich einen Umzug
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Milena MoserSchriftstellerin

Es war in Monterey, einer kleinen Stadt an der kalifornischen Küste, südlich von San Francisco. Wir spazierten am Strand entlang, an den turmbesetzten, viktorianischen Villen und klotzigen Beton- und Glaskästen vorbei. 

«Willst du nicht schauen?», fragte Victor. Auf der anderen Strassenseite stand ein altes, baufälliges Haus zum Verkauf. Ich hatte es nicht einmal bemerkt. 

Dabei ist das mein liebster Zeitvertreib, mein automatisches Gedankenspiel: Was, wenn ich hier wohnen würde? Seit ich ein Kind bin, denke ich mir das aus. Bei Nachbarskindern zu Hause oder in den Ferien. Wenn ich aus dem Zugfenster in ein erleuchtetes Wohnzimmer sehen konnte. Ich studiere Immobilienanzeigen, besuche Besichtigungen, klicke mir Wunschlisten auf entsprechenden Apps zusammen. In meinem Kopf verschiebe ich Wände und vergrössere Fenster. Ich stelle Schreibtische auf und Bücherregale. Denke mir eine Pergola dazu, eine Glyzinie, einen langen Tisch im Schatten.

Die Realität spielt dabei keine Rolle. Das nötige Geld liegt auf der Monopoly-Spielbank bereit, mein Leben verschiebt sich in meinem Kopf willig mit, zehnmal im Jahr, wenn es die Fantasie so will. Und manchmal auch nur für einen Moment.

Victor spielt dieses Spiel mit, allerdings auf einer anderen Ebene: im Traum. Oft erzählt er morgens von einem sonnendurchfluteten Atelier in Südfrankreich, mit weiss getünchten Wänden, wie die berühmte Kapelle von Matisse. Oder von einem riesigen, antiken Chalet in den Schweizer Bergen, mit kunstvollen Intarsienschnitzereien und ungefähr zwölf Schlafzimmern, in denen wir alle unsere Freunde unterbringen konnten. Seine Träume sind für ihn so real wie meine Gedankenspiele für mich. Und ebenso unbescheiden.

Zwei oder dreimal in meinem Leben habe ich einen solchen Sprung tatsächlich gewagt. Jedes Mal, ohne lange zu überlegen. Und das konnte ich nur, weil ich es in Gedanken so oft durchgespielt hatte. Weil ich diesen Sprung in ein anderes Leben geübt habe, wie eine Sängerin als Kind mit der Haarbürste als Mikrofon vor dem Badezimmerspiegel ihre Auftritte übte. Ich mag im Leben nicht so weit springen wie in meinem Kopf, aber immerhin springe ich. 

Doch jetzt plötzlich können mich die Auslagen der Immobilienbüros nicht mehr reizen, ich nehme sie nicht einmal mehr zur Kenntnis. Ich gehe an leer stehenden Scheunen und verfallenen Häusern vorbei, ohne sie in meinem Kopf neu aufzubauen. An einem gelb gestrichenen Holzhaus mit den zwei Türmen, ohne Victor daran zu erinnern, dass ich «immer schon» in einem Turmzimmer wohnen wollte wie eine Prinzessin. Was hat das zu bedeuten? Bin ich endlich angekommen in meinem Leben, sind all meine Wohnträume erfüllt? Oder kann ich mir einfach keine grossen Sprünge mehr vorstellen?

Auf dem Rückweg in die Stadt besuchen wir Freunde, die weit abgelegen in den pinienbewachsenen Hügeln leben. Das Haus haben sie vor vielen Jahren und Stück für Stück selbst gebaut, und so sieht es auch aus: wie Klötze, die ein Kind mehr zufällig aneinandergereiht und aufeinandergestellt hat. Wir bewegen uns von einem verwunschenen Gartensitzplatz zum nächsten, dem Schatten folgend. Der Blick wechselt über die sanften Hügel, ein bewaldetes Tobel, und da, ganz weit draussen, silbern glitzernd der Ozean.

Ich strecke die Beine weit von mir und seufze. Mein Blick fällt auf eine leer stehende Scheune, etwas weiter unten am Hang. «Das wär doch ein gutes Atelier», sage ich zu Victor. «Mit einer Terrasse vielleicht ...»

«Und einem Feigenbaum.»

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