Darum gehts
- Toleranz in San Francisco: Milena Moser hat die Ehe für alle als selbstverständlich erlebt
- Kinder zeigen natürlichen Umgang mit verschiedenen Familienkonstellationen und Identitäten
- Pride Parade in Gefahr: Sponsoren in San Francisco ziehen sich aus Angst zurück
Vor vielen Jahren verkündete ein befreundetes männliches Paar in unserer Küche, sie hätten am Wochenende geheiratet. Das war an sich wenig überraschend, sie lebten seit Jahrzehnten zusammen und hatten schon einmal standesamtlich geheiratet, nur um ihre Verbindung ein paar Monate später wieder annulliert zu sehen.
Wir brachen in Jubel aus, wir liessen Champagnerkorken knallen, da unterbrach uns plötzlich mein jüngerer Sohn. «Wie, ihr habt geheiratet?» Er baute sich vor dem Paar auf und stemmte die Hände in die Seiten: «Ihr? Habt geheiratet?? Warum wusste ich das nicht?»
Dann rannte er in sein Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Wir wechselten alle verwirrte Blicke. Damals lebten wir schon mehrere Jahre in San Francisco, beide Kinder hatten im Alltag, in der Schule, auf dem Spielplatz alle möglichen Veranlagungen und Identitäten, alle denkbaren Familienzusammensetzungen kennengelernt und nie auch nur mit der Wimper gezuckt. Denn Kinder haben ein Gespür für das Wichtige. Für die Essenz.
So nervte es meinen älteren Sohn, dass es so schwierig sei, mit seinem Kumpel abzumachen, der jedes Wochenende bei einem anderen Elternteil verbrachte, einem komplizierten Geflecht, das sich aus mehreren Trennungen, Neuverbindungen und Familienzuwachs auf allen Seiten ergeben hatte. Dass alle beteiligten Erwachsenen in diesem Geflecht Frauen waren, berührte meinen Sohn nicht. Er reagierte auf das ihm selbst nur zu gut bekannte Problem, am Wochenende in der «anderen» Wohnung den Controller für die Playstation nicht dabei zu haben.
Ich liebte es, zu sehen, wie natürlich und selbstverständlich die Kinder mit diesen Umständen umgingen. Was sie wichtig und erwähnenswert fanden und was nicht. Ich lernte von ihnen.
Die legendäre Toleranz, die damals in San Francisco herrschte, war eine ihrer Hauptattraktivitäten für mich, noch vor der Golden Gate Bridge und dem allumschlingenden, dichten, weissen Sommernebel. Seit ihrer Gründung war die Stadt ein sicherer Hafen für Menschen, die gesellschaftliche Normen sprengten oder auch einfach nonchalant abschüttelten.
Die Teilnahme oder zumindest der Besuch der Pride Parade Ende Juni war denn auch keinesfalls abhängig von der eigenen Orientierung oder Zugehörigkeit. Es war immer ein Volksfest, ein Ereignis, auf das sich die ganze Stadt freute.
Doch jetzt ist die Community unter Beschuss. Einzelpersonen in ihrem Alltag sind genauso real bedroht wie Einrichtungen und Organisationen. Selbst die altehrwürdige Pride Parade ist in Gefahr. Sponsoren haben sich aus Angst vor Repressionen zurückgezogen. Und «wenn dieses Jahr die Leute wegbleiben, gibt es uns nächstes Jahr nicht mehr», sagte Geschäftsführerin Susanne Ford. Sie erinnert sich, wie sie als Jugendliche in den 70er-Jahren den Umzug am Fernsehen verfolgt und gespürt hat: Es gibt einen sicheren Ort für mich. Gibt es den noch?
Mein Sohn kam damals nach kurzer Zeit aus seinem Zimmer zurück: Seine Empörung hatte sich an der Tatsache entzündet, dass er für einen solch' feierlichen Anlass nicht entsprechend gekleidet war. So hatte er schnell den billig glänzenden, schwarzen Polyesteranzug übergezogen, den wir für Schulveranstaltungen gekauft hatten, komplett mit einknöpfbarer Hemdbrust und Gummizugkrawatte.
So baute er sich wieder vor dem frisch getrauten Paar auf, breitete beide Arme aus und schrie: «Ich gratuliere!!» Es blieb kein Auge trocken. Denn Liebe ist Liebe. Wer das vergessen hat, muss nur die Kinder fragen.