Hier bauen Frauen ihre innere Stärke auf
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«Athena 21»:Hier bauen Frauen ihre innere Stärke auf

Opening Event von Athena 21
«Wenn man Frauen stärkt, stärkt man die ganze Gesellschaft»

Die neu gegründete Stiftung «Athena 21» hat die Stärkung von Frauen zum Ziel – sowohl körperlich als auch mental. Kürzlich fand der Eröffnungsanlass statt. Unsere Autorin war vor Ort und nahm am Programm teil.
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Am Anlass waren Instruktoren der International Security Academy (ISA) vor Ort und leiteten die Frauen in Selbstverteidigung und Gruppenübungen an.
Foto: Philippe Rossier

Darum gehts

  • Athena 21 bietet ganzheitliche Trainings für Frauen an
  • Teilnehmerinnen lernen körperliche und mentale Stärke durch praktische Übungen
  • Gründerin Tamara Raich absolvierte härtestes Bodyguard-Training der Welt
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Caroline KälinRedaktorin Gesellschaft

Zwei Hände legen sich um meinen Hals. Ich weiss, dass es kein Ernstfall ist, doch mein Körper reagiert. Ein kurzer Stich von Anspannung, dann versuche ich, mich an die Schritte zu erinnern, die uns die Instruktoren der International Security Academy (ISA) zuvor gezeigt haben. Meine linke Hand packt das Handgelenk des Mannes vor mir, die Finger meiner rechten bohren in die Grube unterhalb seines Kehlkopfes. Präzise, so korrekt wie möglich. Ich will jede Bewegung richtig machen. Der Instruktor ist gross, stark, routiniert. Sein Griff fühlt sich ernster an als jener der anderen Frauen. Ich stelle mir vor, es wäre tatsächlich ein Überfall, und frage mich, ob ich dann auch so reagieren und mich befreien könnte. Dieser Gedanke begleitet mich durch den Tag.

Der Weg zur inneren Stärke

Ich bin an diesem Freitag am Opening Event von Athena 21. Die neu gegründete Stiftung bietet ein neuartiges und ganzheitliches Inner-Strength-Programm für Frauen an, das mentale Resilienz, Leadership-Entwicklung, Selbstschutz- und Sicherheitstraining kombiniert. Ab Juni bietet Athena 21 im Tessin einwöchige Trainings an, in denen körperliche und mentale Stärke umfassend aufgebaut werden. Der Opening Event bietet nur einen kleinen Einblick. Tamara Raich (54), die Gründerin, ist den ganzen Tag vor Ort. Sie ist zierlich, aber taff. Sie strahlt aus, was ich hier heute auch ansatzweise lernen soll: Stärke. Physische und psychische, vor allem aber mentale. Raich hat in Israel, bis heute als einzige Frau der Welt, das härteste Bodyguard-Training der Welt absolviert und früher die erste Ehefrau des saudischen Kronprinzen beschützt. Heute will sie ihre Erfahrung weitergeben. «Wenn man Frauen stärkt, stärkt man die ganze Gesellschaft», sagt sie.

Als junge Studentin bin ich, gerade nach späten Treffen mit Freunden oder Partys, immer wieder allein im Dunkeln unterwegs. Meistens trage ich dabei Kopfhörer und beschalle meine Ohren mit lauter Musik. Ohne Musik wäre mir schlicht zu langweilig. Ich weiss aber auch, dass ich so für einen Angreifer leichte Beute wäre. Man könnte mich problemlos verfolgen, ohne dass ich es merke. Einen Angriff von hinten würde ich mit grosser Sicherheit nicht kommen sehen. Und selbst wenn: Wie sollte ich reagieren? Ich habe mir immer wieder überlegt, einen Selbstverteidigungskurs zu belegen, habe es aber nie gemacht. Dieser Anlass von Athena 21 ist die Gelegenheit.

Zwischen Technik und Teamgeist

Als ich den Bewegungsablauf beende, meint der Instruktor, ich solle es gleich noch einmal machen – dieses Mal mit mehr Druck. Beim ersten Mal hatte ich mich zurückgehalten, weil ich ihm nicht wirklich wehtun wollte. Es nun fester zu machen, fühlte sich aber erstaunlich gut an. Er wirkt zufrieden und geht weiter zu einer anderen Gruppe. Ich trainiere mit zwei Frauen weiter. Immer wieder lachen wir, wenn sich eine nicht an den Ablauf erinnert oder eine Bewegung falsch ausführt. Ich spüre, wie sich eine Verbundenheit einstellt.

Am Nachmittag zählt genau dieser Teamgeist. Zwei Gruppen treten gegeneinander an: Eine Frau aus jedem Team liegt auf einer Trage, die anderen heben sie, sprinten ans Ende der Trainingsfläche, holen eine Flagge und rennen zurück. Mein Team ist schneller. Die andere Gruppe muss zur Strafe nochmals laufen. Einige aus meiner Gruppe bieten sofort an, Positionen zu übernehmen, wenn jemand nicht mehr kann. Ich gebe zu: Allein wäre ich nie auf die Idee gekommen, freiwillig noch einmal loszurennen. Diese Solidarität hat mich berührt.

Nicht nur von den anderen Frauen, sondern auch von mir selbst beeindruckt, war ich bei der letzten Übung des Tages. Wir bilden einen Kreis, alle halten Schlagpolster. Eine Frau nach der anderen tritt in die Mitte und hat eine Minute Zeit, all ihre Kraft in Schläge und Tritte zu legen. Die Gruppe feuert jede Einzelne an. Ich bin als Letzte dran und spüre kurz Zweifel: Habe ich genug Kraft? Wirke ich dabei lächerlich? Doch der Instruktor ruft «Los!», und ich beginne, zu schlagen und zu treten. Die Minute ist lang und brutal anstrengend, aber die Energie der Gruppe trägt mich durch. Als ich aus dem Kreis trete, bin ich überrascht, wie stolz ich auf mich bin.

Was bleibt

Das Programm neigt sich dem Ende zu. In der abschliessenden Feedbackrunde erzählt eine Frau, dass sie vor Jahren überfallen worden war. Sie habe mehrfach versucht, ähnliche Kurse zu besuchen, sei aber jeweils früh ausgestiegen. «Heute habe ich das erste Mal alles mitgemacht», sagt sie. Der Tag scheint also wirklich etwas in uns bewegt zu haben. Das sieht auch Tamara Raich so, als sie noch einige Worte an die Gruppe richtet: «Ich bin beeindruckt von eurem Mut», sagt sie. Viele seien gekommen, ohne genau zu wissen, was der Tag bringt. «Ihr habt euch allem gestellt – und ihr wirkt jetzt anders als am Morgen.»

Ich bin nach diesem einen Tag bei Athena 21 keine Kampfmaschine. Aber das blosse Wissen, dass ich einem Angreifer theoretisch zumindest einen ordentlichen Schrecken einjagen könnte, ist gut. Es steckt mehr in mir, als ich erwartet hatte. Und ich habe gesehen, welche Kräfte sich entfalten, wenn sich Frauen zusammenschliessen.

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