Darum gehts
- Die Schweizer Gastronomie erlebt einen tiefgreifenden Strukturwandel, sagt Experte Marbot
- Viele Wirte scheitern an fehlender Führung und unklaren Betriebskonzepten
- In den nächsten 10 Jahren gehen 30 Prozent der Gastro-Mitarbeiter in Pension
Die Schweizer Gastronomie steckt in der Krise. Woche für Woche sorgen spektakuläre Beizenschliessungen für Schlagzeilen. Und werfen viele Fragen auf. Für den Gastroexperten Daniel Marbot (58) ist klar: «Was wir aktuell erleben, ist kein einzelnes Krisenjahr, sondern ein tiefgreifender Strukturwandel, der jetzt sichtbar wird», sagt der Inhaber der Firma Gemasy aus Eschenbach SG, im Gespräch mit Blick.
Marbot berät seit fast 30 Jahren Gastronomiebetriebe und Investoren in der ganzen Schweiz und Deutschland, von der Quartierbeiz bis zu Lokalen der Spitzengastronomie. Der Experte weiss deshalb nur zu gut: «Viele Restaurants scheitern nicht an der Küche, sondern an fehlender Klarheit in Führung, Zahlen und Konzept.» Sie würden nicht spektakulär Geld verlieren. «Sie verlieren es leise. Jeden Tag. An vielen kleinen Stellen.» Wirtinnen und Wirte würden nämlich immer wieder die gleichen Fehler machen – und letztlich scheitern.
Für Blick analysiert Daniel Marbot die grössten Böcke der Schweizer Beizer. Und skizziert Lösungsansätze.
Viele Gastronomen merken erst am Monatsende, wir kritisch die Lage ist. Und dass sie mit ihrem Tun auf keinen grünen Zweig kommen. Doch dann ist es zu spät. Wer die Kosten für Waren und Personal nicht täglich im Blick hat und nicht weiss, was ihm von einem verkauften Gericht übrigbleibt, der kann nicht eingreifen, wenns nicht läuft – und verliert im laufenden Betrieb Geld. Tag für Tag.
Viele Restaurants wollen allen gefallen und verzetteln sich dabei. Die Folgen sind gravierend. Die Speisekarten sind zu dick, die Lagerkosten zu hoch. Das zu breite Angebot führt zu viel Abfall und zu grossem Stress in Küche und Service. Wer alles anbietet, der wird austauschbar und verliert über kurz oder lang auch Geld. Weniger ist deshalb meist mehr. Nur wer sich fokussiert, hebt sich von der Masse ab.
Die Speisekarte ist längst kein simples Informationsblatt mehr, sondern ein zentrales Verkaufsinstrument. Entsprechend schwerwiegend ist es, wenn die Karte lieblos gestaltet ist. Die Reihenfolge der Gerichte auf der Speisekarte, ihre Beschreibung und natürlich der Preis entscheiden darüber, was bestellt wird. Viele Beizer sind sich dessen nicht bewusst. Sie verschenken jeden Tag Umsatz und merken dies oft erst, wenn es zu spät ist.
In Schweizer Küchen wird zu viel weggeschmissen. Das ist gefährlich, denn Lebensmittel sind in der Gastronomie bares Geld. Verluste entstehen auf verschiedenen Ebenen: beim Einkauf, bei der Lagerung, bei der Portionierung und bei den Retouren. Kurz: Was nach dem Service im Abfall landet, fehlt direkt und unwiderruflich auf dem Konto.
Gute Leute sind rar in der Gastronomie. In der Küche und im Service. In Sachen Fachkräftemangel stehen wir erst am Anfang. Denn: In den nächsten zehn Jahren werden 30 Prozent der heutigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter pensioniert. Die Folge: Betriebe, die heute als Arbeitgeber nicht sichtbar sind, die nicht fair und modern auftreten, werden morgen kein stabiles Team mehr haben. Und verschwinden.
Viele Wirtinnen und Wirte definieren sich zu sehr über den Preis. Und machen damit einen entscheidenden Fehler. Denn: Kunden sind preissensibel. Fans aber nicht. Fans kommen wieder, verzeihen Fehler und bringen neue Gäste mit. Wer nur über den Preis verkauft, der verliert immer gegen den Nächsten, der einen Franken günstiger ist. Nur Gastronomen mit Fans überleben langfristig. Und nur Lokale, die ihre Gäste verwöhnen, werden noch richtig Geld verdienen.
Schweizer Wirte sind mit Herz bei der Sache und führen ihr Team entsprechend. Dabei vergessen sie aber: Motivation allein ersetzt keine Führung. In der Mitarbeiterführung braucht ein Chef ein grosses Herz und einen klaren Kopf. Denn Mitarbeitende brauchen Orientierung, Prioritäten und nachvollziehbare Entscheidungen. Ohne Struktur entsteht Unsicherheit im Team. Und die kostet Qualität, Geld und ganz viel Energie.
Beizer dürfen die Zahlen nicht aus den Augen lassen. Und sich nicht schämen, Geld zu verdienen. Denn Profit ist kein Schimpfwort. Nur wirtschaftlich gesunde Betriebe können faire Löhne bezahlen, investieren, Junge ausbilden und so langfristig bestehen. Wer kein Geld verdient, der verschleisst Menschen und verliert an Substanz. Und schaufelt sich und seinem Betrieb letztlich ein Grab.
Viele Betriebe wissen nicht klar, für wen sie da sind und womit sie ihr Geld verdienen. Entscheidungen werden aus dem Bauch heraus getroffen. Sie basieren nicht auf klaren Annahmen und Fakten. Die Folgen sind verheerend: Ohne sauberes Betriebskonzept entstehen falsche Erwartungen, falsche Investitionen – und am Ende wirtschaftliche Schieflagen.
Viele Betriebe arbeiten heute noch immer ohne digitale Unterstützung, ohne Programme, die alle Bereiche abdecken und miteinander verbinden. Das ist fatal, denn so fehlen wichtige Vergleichsmöglichkeiten und Auswertungen. Ohne diese sind aber schnelle Korrekturen im Tagesgeschäft kaum möglich. Digitalisierung ist längst kein Luxus mehr, sondern eine zentrale Voraussetzung, um einen Betrieb vernünftig zu führen.