Ehrgeiz, Neid, Rachlust und Hass
Das grosse WEF-Trauerspiel hinter dem Rücktritt von Klaus Schwab

Anonyme Angreifer schiessen auf den Gründer Klaus Schwab und erpressen das WEF. Doch die zwei starken Männer im Stiftungsrat stellen sich gegen ihn. Die Anatomie einer Tragöde mit Shakespeare’scher Dimension.
Publiziert: 31.05.2025 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 31.05.2025 um 13:29 Uhr
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Das Monument Schwab wurde gestürzt.
Foto: kornel.ch

Darum gehts

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Dirk Schütz
Bilanz

Eigentlich sollte es nur eine Frage in diesem Drama geben, das sich zu einer Tragödie globaler Dimension ausgeweitet hat: Wer ist Rebecca?

Am Mittwoch, 16. April, zwei Tage vor Karfreitag, erreichte 23 Mitglieder des WEF-Stiftungsrats um 5.05 Uhr morgens ein E-Mail-Schreiben, das ausgedruckt neun Seiten lang war. Betreff: «Governance failures and abuses of power at the WEF». Der Absender: Rebecca.a.staedler@gmail.com. Es war eine weitere Mail, die die Stiftungsratsmitglieder in den letzten Monaten von einer gewissen Rebecca erhalten hatten. Die Anschuldigung war stets die gleiche: Die Kultur in der 1000-Mitarbeiter-Organisation sei verrottet – und verantwortlich sei der Gründer Klaus Schwab.

Artikel aus der «Bilanz»

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Bilanz» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du unter bilanz.ch.

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Bilanz» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du unter bilanz.ch.

Doch dieses Schreiben war besonders heftig. «Wir, eine Gruppe von aktuellen und ehemaligen Angestellten des World Economic Forum, schreiben Ihnen ein weiteres Mal aus einem tiefen Gefühl der Verantwortung und Bedrängnis.» Nicht nur zielte die Beschuldigungsschrift direkt auf den Gründer und bezog erstmals auch seine Frau Hilde mit ein. Sie enthielt auch ein Ultimatum: Sollten die Absender nicht eine «klare Verantwortung von Klaus Schwab, inklusive seines Rücktritts bis Mittwoch, 23. April» sehen, würde das Schreiben an die Öffentlichkeit gehen. Ein Fall von Erpressung. Hinter Schwab und der gesamten Organisation lag eine zehrende Untersuchung von acht Monaten, ausgelöst durch einen Artikel im «Wall Street Journal» vom Juni 2024, in dem ein grosser Teil der Anschuldigungen der Rebecca-Gruppe erstmals ausgebreitet wurde. Die Untersuchung hatte das Forum von allen Rechtsverstössen freigesprochen und den Gründer vollumfänglich entlastet. Jetzt attackierte der anonyme Feind ein weiteres Mal – mit der ultimativen Rücktrittsforderung.

Auszüge aus Dokumenten: Nicht geldgetrieben: Schwab verzichtete freiwillig auf fünf Millionen Franken, die ihm 1999 zugesprochen wurden. Erpressung: Die anonymen Angreifer setzten dem WEF ein Ultimatum für Schwabs Rücktritt.
Foto: Eigene Recherchen

Für den 87-Jährigen war klar: Es brauchte eine Anzeige gegen den Angreifer, sonst würde Rebecca, im Hebräischen als «die Fesselnde» konnotiert, die Organisation weiter lähmen. Die staatlichen Behörden hatten stärkere Ermittlungsinstrumente als die WEF-mandatierten Firmen. Mit dem Stiftungsratsmitglied Thomas Buberl, Chef des französischen Versicherungsriesen Axa und als Leiter des Audit- und Risk-Komitees bereits für die letzte Untersuchung verantwortlich, hatte er vor dem Erhalt des Schreibens telefoniert. Für Samstag hatten sich die beiden zu einem weiteren Telefonat verabredet.

40 Prozent irrelevant

Doch dazu kam es nicht. Buberl entschied nach Rücksprache mit seinen drei Komitee-Mitstreitern, eine unabhängige Untersuchung einzuleiten. Angesichts der «Breite, Spezifität, und Beweislage» gebe es keine Alternative, als mit «dem höchsten Mass an Unabhängigkeit, Transparenz und Dringlichkeit» vorzugehen, schrieb er am Donnerstag um 13.56 Uhr an den gesamten Stiftungsrat, inklusive Schwab und des CEO Borge Brende – gerade 33 Stunden nach Eingang des anonymen Schreibens. Das Mandat hatte er bereits vergeben: Es ging an die Zürcher Kanzlei Homburger, die schon die erste Untersuchung zusammen mit der US-Kanzlei Covington geleitet hatte. Schwab und der Stiftungsrat wurden nicht befragt, sondern von der neuen Untersuchung lediglich in Kenntnis gesetzt.

Harte Linie gegen Klaus Schwab: Børge Brende, Peter Brabeck, Thomas Buberl (unten, v.l.).
Foto: kornel.ch

Schwab war wütend: Wer war hier der Feind? Er, der das Forum vor 55 Jahren mit eigenem Kapital und grossem Risiko gegründet und eine weltweit einmalige Organisation geschmiedet hatte, die finanziell blendend dastand? Oder anonyme Heckenschützen, die ihre Rufmordkampagne gegen ihn fortsetzten, obwohl sich die Vorwürfe schon beim ersten Mal als haltlos erwiesen hatten?

55 Jahre Forum: Das Ehepaar Klaus und Hilde Schwab schmiedete eine weltweit einmalige Organisation.
Foto: keystone-sda.ch

Zudem war die Sachlage kaum so eindeutig, wie Buberl sie darstellte. Das Schreiben war zwar formvollendet in gediegenem Business-Englisch abgefasst. Doch bei genauerem Hinsehen verblasste der Glanz. Elf Anschuldigungen wies es aus, ein grosser Teil betraf die bekannten Vorwürfe wegen angeblicher Versäumnisse bei der Bekämpfung von Belästigung und Diskriminierung. Doch davon war Schwab bereits freigesprochen. Gegen 40 Prozent des Inhalts waren für die Untersuchung irrelevant.

Vom Rest hätte schon der erste Punkt Buberl und seine Komitee-Mitstreiter stutzig machen können: Schwab habe den «Global Competitiveness Report» des WEF manipuliert, um gewissen Ländern Vorteile zu verschaffen. So habe er etwa in einem spezifischen Jahr den Report nach der Beschwerde eines Landes ausfallen lassen. Den Report hatte Schwab 1979 lanciert, natürlich gab es immer wieder Methodik-Anpassungen, doch bis 2019 war er kein einziges Mal ausgefallen. Erst mit Covid wurde er eingestellt, weil die Pandemie die Parameter verzerrte.

Die Sache mit dem Knopf

Auch die anderen Anschuldigungen hätten sich mit wenig Aufwand entkräften lassen: Seine eigenen Bücher hat Schwab vollumfänglich über das Forum abgerechnet, der Ausbau der Tech-Plattform Metaverse war vom Stiftungsrat abgesegnet, die 2018 vom WEF erworbene Villa Mundi auf dem WEF-Gelände war nicht etwa Hilde Schwabs Privatreich, sondern verfügte über ein denkmalgeschütztes Appartment, das als Wohnung für Schwabs Nachfolger gedacht war und vom Ehepaar Schwab nie privat benutzt wurde. Geradezu abstrus war der Vorwurf, Schwab habe den WEF-Stab instrumentalisiert, um den Nobelpreis zu erhalten. Wenn er denn stimmen würde und der Plan geklappt hätte, wäre es verdienstvoll gewesen – der Preis wäre eine Zierde für die Organisation gewesen. Selbst eine Anekdote, die seit Jahrzehnten im WEF kursierte, fand in das bizarre Sammelsurium Eingang: Als dem Gründer in den Siebzigerjahren (!) bei einer Konferenzeröffnung in Paris der Knopf des Jacketts – nicht wie behauptet der Hose – abgerissen war, hatte er eine Mitarbeiterin gebeten, ihn wieder anzunähen, allerdings nicht in seinem Hotelzimmer. Die langjährige Angestellte erzählte die Geschichte stets durchaus fröhlich.

So blieben vor allem die finanziellen Anschuldigungen: Das WEF habe «Hunderte von Tausenden von Dollar» über die Jahre für Hilde Schwabs Krankenversicherung bezahlt; und sie habe im «letzten Jahrzehnt mehrere Millionen Dollar» Flugkosten auf Rechnung des WEF angehäuft.

Die Villa Mundi in Cologny.
Foto: Keystone

Dass Schwab auf Krankenkassenansprüche verzichtet hatte und seine Frau nie formal angestellt war, sondern 55 Jahre ihr 50-Prozent-Pensum dem Forum gratis zur Verfügung stellte, hätte sich im HR-System finden lassen. In ihrer Funktion als Chefin der Social-Entrepreneurship-Stiftung begleitete sie ihren Mann zuweilen auf Auslandsreisen, doch Flugkosten in dieser Höhe waren absurd. Vor allem: Schwab hatte seine sorgfältige Assistentin instruiert, alle Privatausgaben genau aufzulisten und mit einer halbjährigen Abrechnung zu melden. Sie gingen in die Revision – und die unterstand formal dem Mann, der so unerbittlich die Untersuchung forderte: Audit-und Risikokomitee-Chef Buberl.

Schwab war sogar penibler als viele Firmenchefs: Wenn er etwa im Februar nach einer Konferenz in Dubai auf die Seychellen flog, wurde das als Privatflug gebucht, obwohl er auch auf der Insel fast nur arbeitete – er war bekennender Workaholic. Auch die Massagen, nach langen Sitzungstagen in New York oder Singapur im Spa und nicht etwa im Hotelzimmer, wurden sauber privat abgebucht.

Auf 5 Millionen verzichtet

Kommt hinzu: Dass Schwab nicht geldgetrieben war, bestätigen alle Weggefährten. Nachdem er 1998 nach der Pensionierung als Professor in Genf die volle Leitung des Forums übernahm, einigte er sich mit dem Stiftungsrat auf eine Bezahlung, die sich gemäss seines Verständnisses als Public-Service-Vertreter an dem Salär des Nationalbank-Chefs orientierte: 980'000 Franken pro Jahr. Für seine Aufbauleistung sprach ihm das Gremium um den damaligen Nestlé-Lenker Helmut Maucher eine Einmalzahlung von fünf Millionen Franken zu. Er nahm sie nie in Anspruch. Als ihm die Universität Tel Aviv 2004 den angesehenen Dan-David-Preis verlieh, steckte er das Preisgeld von einer Million Dollar in den Aufbau der «Young Global Leaders» – die meisten Preisträger behielten das Geld. Die Anschuldigungen wirkten da bestenfalls kleinlich. «Ich würde für Klaus Schwab die Hand ins Feuer legen», betonte dann auch der Ex-Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, bis 2014 Vizepräsident des Stiftungsrats, in der SRF-Sendung «Gredig direkt».

Klaus Schwab beim WEF 2025.
Foto: keystone-sda.ch

Zerrüttetes Verhältnis

In einem funktionierendem Board hätten die starken Männer Schwab, Buberl und Vizepräsident Peter Brabeck ein gemeinsames Vorgehen erarbeitet und die Erpressung vielleicht sogar öffentlich gemacht. Doch dazu kam es nicht: Der 52-jährige Buberl, mit viel Ehrgeiz aus der deutschen Provinzstadt Wuppertal an die Axa-Spitze aufgestiegen, lancierte in Windeseile die Untersuchung, und die Konsequenzen mussten ihm bewusst sein. Immer wieder waren in den letzten Monaten Interna aus dem Stiftungsrat an das «Wall Street Journal» gelangt, da war es unvermeidlich, dass auch diese Untersuchung umgehend dort landen würde – mit verheerenden Auswirkungen nicht nur auf Schwabs Reputation, sondern auf das gesamte WEF.

Denn es ging um ganz Grosses. Schwab war Antreiber, Ideenmaschine, Netzwerker und Aushängeschild – mit einem Einfluss, der oft gar nicht bekannt wurde. Dass etwa die Handelsgespräche zwischen dem US-Finanzminister Scott Bessent und dem chinesischen Vizepremier He Lifeng Anfang Mai in Genf stattfanden, hatte Schwab eingefädelt. Er holte über einen Mittelsmann Trump via Videobotschaft drei Tage nach dessen Amtseinführung nach Davos. In der zunehmend fragmentierten Welt wäre das WEF für eine Vermittlerrolle prädestiniert wie keine andere Institution. Der Westen fliegt auseinander. Doch das WEF sprengt sich in die Luft.

Gewiss: In Zeiten überbordender Compliance hätten sowohl Brabeck als auch Buberl bei einer Untersuchung als befangen gegolten, wenn sie sich vorher mit Schwab ausgetauscht hätten, und die Accenture-Chefin Julie Sweet, schon bei der ersten Untersuchung eine Stütze Buberls und dafür mit einem Sitz im Komitee belohnt, drängte auf strengste Regelumsetzung. Aber natürlich hätten sich die erfahrenen Konzernlenker Brabeck und Buberl über die Anwaltsbedenken hinwegsetzen können; angesichts des immensen Reputationsrisikos für Schwab und die gesamte Organisation gilt auch immer das Gebot der Verhältnismässigkeit.

Sie forderte eine harte Linie: Accenture-Chefin Julie Sweet.
Foto: DUKAS

Opfer einer Hasskampagne

Zudem: Schwab erstattete selbst Anzeige gegen die Rebecca-Gruppe – das hätte Beleg genug sein müssen, dass er nichts zu verbergen hatte. «Mir scheint, der Stiftungsrat hat sich für ein sehr konfrontatives Vorgehen entschieden», betonte dann auch die Anwaltslegende Peter Nobel nach Schwabs Rücktritt in der «Schweiz am Wochenende«, bevor ihn der WEF-Gründer engagierte. «Es wäre zu empfehlen gewesen, mit Klaus Schwab vorab ein Gespräch zu führen.» Doch diesen naheliegenden Schritt wählten Buberl und Brabeck nicht, und das hatte einen speziellen Grund: Ihr Verhältnis zu Schwab war zerrüttet.

Es ist ein Drama Shakespeare’scher Dimension voller Ehrgeiz, Neid, Rachlust –und Hass. Denn das macht den Fall Schwab so speziell: «Committed to improving the state of the world», lautet das Motto, das der grosse Weltverbesserer um den Planeten trug. Doch am Ende wurde er Opfer einer Hasskampagne von globaler Dimension. «Es gibt sehr viele wütende Menschen, die seinen Ruf zerstören wollen», sagt ein Ex-WEF-Geschäftsleitungsmitglied.

Im Jahr 2019 verliess die Amerikanerin Cheryl Martin das WEF. Schwab hatte die Chemikerin und einstige Topmitarbeiterin des US-Energieministeriums 2016 als Chefin des Centre for Global Industries geholt. Doch er war unzufrieden mit der Leistung. Mitarbeiter bemerkten, dass Martin oft abends weinend im Büro sass. Hier zeigte sich die harte Seite Schwabs, die er nach aussen wie so viele erfolgreiche Firmenlenker charmant überdeckte: Er war sehr fordernd, zuweilen auch sprunghaft, und führt sein Team mit harter Hand. Wenn etwa ein Meeting auf 15 Minuten anberaumt war, stellte er sich nach Ablauf der Zeit schon mal an die Tür als Zeichen des Aufbruchs – Wertschätzung war dünn gesät. Er war ein Getriebener für das Forum, das rechneten ihm seine Mitarbeiter an. Aber viele litten. In seiner langen Amtszeit hatten sich zahlreiche Frustrationen aufgebaut.

Die amerikanische Chemikerin Cheryl Martin verliess das WEF im Groll – und kritisierte es später scharf.
Foto: zVg

Martin verliess das WEF im Groll – und seit ihrem Austritt, das fiel vielen Mitarbeitern auf, erhielten Abgänger systematisch LinkedIn-Anfragen vom «Wall Street Journal» mit der Bitte, vertraulich über die Arbeitsbedingungen beim WEF zu sprechen. Besonders das New Yorker Büro, auf mehr als 100 Mitarbeitende angeschwollen, war eine ergiebige Quelle – der Stab war jünger und weniger loyal, die Fluktuation höher, und der hehre moralische Anspruch des Forums erhöhte im neuen MeToo-Zeitalter die Fallhöhe.

Dazu schürte auch die permanente Nachfolgedebatte Unmut. Was nur im engsten Kreis des Stiftungsrats bekannt war: Schwab hatte seinen Rücktritt zum 50. WEF im Jahr 2020 geplant. Und auserwählt war eine Frau, die ihn im Stiftungsrat bereits eng begleitete: Christine Lagarde, damals noch Chefin des IWF in Washington. Die Französin sagte zu, sogar das Apartment für sie war bereits in Planung: die Wohnräume der Villa Mundi.

Risiko von Lecks

Doch dann spedierte der französische Präsident Lagarde im Juli 2019 an die Spitze der Europäischen Zentralbank. Die einmalige Amtszeit betrug acht Jahre. Schwab ventilierte mit Lagarde einen früheren Ausstieg, etwa nach fünf Jahren. Doch verbindlich konnte das nicht sein. Er steckte in einem Dilemma: Er hatte seine Nachfolgerin gefunden, konnte die Lösung aber nicht kommunizieren, auch in seinem überdimensionierten Stiftungsrat nicht. Das Risiko von Lecks war zu gross. Derweil stieg der institutionelle Druck: Das WEF war 2015 zur internationalen Organisation erklärt worden, Schwab hatte mit dem Norweger Børge Brende einen CEO installiert. Jetzt sollte auch der Stiftungsrat, bislang mehr Schmuck-Gremium als Kontrollinstanz, professionalisiert werden, inklusive Nachfolgelösung. Ein Mitglied drängte besonders nach vorn: Thomas Buberl.

Christine Lagarde sollte zum 50. WEF im Jahr 2020 die Nachfolge von Schwab antreten. Doch dann berief sie der französische Präsident Emmanuel Macron auf den Chefposten der Europäischen Zentralbank.
Foto: Imago

Kurz nach seinem Antritt 2020 trat er in das Audit- und Risk-Committee ein, bereits im zweiten Jahr stiess er in die Steuerungszentrale vor: das sechsköpfige Governing Board, dem neben Schwab und Brabeck auch Roche-Vizepräsident André Hoffmann angehörte. Für die einen war er ein frischer scharfer Besen, der die rückständige Corporate Governance erneuerte. Für die anderen ein Ehrgeizling mit überzogenem Drang zur Macht. Die Anspannung stieg, die jährlichen Strategietreffen Ende August in Genf waren kein Schaulaufen mehr für Schwab.

Kehrseite Feindseligkeit

Doch noch hatte er die volle Macht. Jedes Stiftungsratsmitglied war von ihm ausgewählt, und alle wussten: Das Prestigemandat hängt an der Funktion – wer seinen Job verlor, musste gehen. Von Ackermann über Ex-EU-Präsident José Manuel Barroso bis zu Weltbank-Chef Jim Yong Kim: Sie alle wurden nach Amtsverlust nicht mehr eingeladen. Schwab kappte meist auch den persönlichen Draht. Nur eine Ausnahme machte er – und dieser Mann stiess ihn vom Sockel: Nestlé-Grande Brabeck.

Es waren übergrosse Egos, die hart landeten, und viele kultivierten einen Groll gegen Schwab. Auch unter der Nachwuchsgeneration der Young Global Leaders staute sich Zorn auf. Buberl gehörte in jungen Jahren ebenfalls dazu, wurde dann aber aus Platzgründen nicht mehr eingeladen, wie fast alle der heute mehr als 1400 Alumni. Einer von ihnen war der Engländer Mark Turrell, der über seine Initiative «UnDavos» das WEF so heftig attackierte, dass er vom Alumni-Verteiler gestrichen wurde. Schwab säte unter den globalen Alphatieren institutionell bedingt so viel Feindseligkeit wie niemand sonst. Das war die Kehrseite seines Welterfolgs.

Mit Corona kam eine neue Dimension hinzu. Die Pandemie war für das WEF der grösste Stresstest seit der Gründung. Schwab kämpfte besessen um sein Lebenswerk: Er liess direkt neben seinem Büro im Erdgeschoss des Glasbaus ein TV-Studio einrichten und stand täglich in Verbindung mit Staatschefs, Spezialisten und Sponsoren. Obwohl 2021 der Event ausfiel und 2022 nur ein Rumpf-Davos im Mai stattfand, blieben die grossen Sponsoren, vor allem die US-Konzerne, an Bord. Der konsequent unruhige Schwab ordnete den gefühlten Zeitenbruch auf seine Art ein: Er veröffentlichte das Buch «The Great Reset» – und zog sich Internethass in neuer Dimension zu. Er wurde zum klandestinen Herrn der Finsternis, der die Weltherrschaft anstrebe. Groteske Videos und Social-Media-Posts kursierten: Schwab wolle allen Bürgern Mikrochips einpflanzen oder plane eine Massenausrottung der Menschheit. Das WEF musste Kommunikationsmitarbeiter abstellen, die sich um die Dementi gezielt verbreiteter Falschmeldungen kümmerten. Die Absender liessen sich nicht komplett nachverfolgen, aber die Spuren führten immer in die gleiche Richtung: Russland.

Schlussakt begann mit dem WEF 2023

Nach dem Angriff Putins auf die Ukraine stieg der Druck – bis zu physischer Bedrohung. Schwab hatte in Davos alle Verbindungen zu Russland gekappt. Für die Globalisierungshasser in Moskau wurde er damit noch mehr zum Feindbild. «Putin nennt den globalen Terroristen Schwab ein legitimes militärisches Ziel», heisst es auf einer Webseite namens «The People’s Voice» vom Dezember 2023. Reuters dementierte die Meldung zwar, doch das Vorgehen entsprach dem Lehrbuch russischer Troll-Fabriken. Kurz nach einem Interview, in dem sich Schwab über seine lange Beziehung zu Putin geäussert hatte, wurde er in New York gesichtet. «You can kill him now», hiess es in anonymen Aufrufen. Schwab zog die Äusserungen zurück. Die Security wurde erhöht. Der Oligarch Konstantin Malofejew begrüsste dann auch laut «Spiegel» offen seinen Abgang – er sei «ein Hauptideologe des Globalismus».

Fake News aus Russland: Angebliche Todesdrohungen des russischen Präsidenten.
Foto: ZVG

Der Schlussakt der Tragödie begann mit dem WEF 2023. Noch hatte das «Wall Street Journal» nichts publiziert, doch jetzt schossen zwei andere Publikationen scharf: Das US-Portal «Politico» thematisierte in einer Analyse «die Frustration über das Fehlen eines Nachfolgeplans bei Mitarbeitern und Sponsoren». Und der Londoner «Guardian» berichtete über eine anonyme Gruppe von «aktuellen und ehemaligen Mitarbeitern», die sich über Schwabs fehlende Nachfolgeplanung und angebliches Machtgebaren beschwerten – Rebecca zeigte zum ersten Mal ihr Gesicht. Der Druck im Genfer Glasbau stieg.

Bombeneinschlag

Im Herbst 2023 erhielten nicht nur ehemalige, sondern aktuelle Mitarbeiter Anfragen vom «Wall Street Journal». In der Medienabteilung führte man das auf den Chefredaktorenwechsel zurück: Die boulevardaffinere Engländerin Emma Tucker, zuvor bei der «Sunday Times», hatte den Chefposten übernommen. Im Frühjahr 2024 ging beim Forum erstmals eine offizielle Liste mit Anfragen zu dem Thema ein. Der Artikel hing wie ein unausweichlicher Bombeneinschlag über dem WEF. Nur der Zeitpunkt der Abwurfs war unklar.

Er kam am 29. Juni mit dem Titel «Behind Davos, Claims of a Toxic Workplace». Cheryl Martin, die sechs Jahre zuvor das Forum verlassen hatte, trat als Kronzeugin für die angeblich vergiftete Arbeitskultur auf. Dazu äusserten sich mehrere Frauen anonym über Vorfälle, die sie als Belästigung empfunden hatten, teilweise zurück bis in die Achtzigerjahre. Manche Klagen waren berechtigt: Nicht immer waren die internen Instanzen mit der gebotenen Härte vorgegangen. Doch das waren kaum mehr als Einzelfälle – 3500 Personen hatten das WEF seit der Gründung verlassen, allein mehr als 600 seit 2020. Dafür, dass die Abgänger fünf Jahre systematisch kontaktiert worden waren, war der Artikel erstaunlich dünn, das mussten auch Brabeck und Buberl wissen: Wer eine derartige Recherche bei Weltkonzernen wie Nestlé oder Axa unternähme, fände genauso viele grenzwertige Fälle – mindestens. Doch das WEF war eine globale Institution mit hehrem moralischem Anspruch und nervösen Sponsoren, gerade aus den USA, und die Vorwürfe kamen vom Leibblatt der dortigen Wirtschaftsszene. Eine Nicht-Reaktion war nicht denkbar.

Protestnote

Jetzt geschah etwas Interessantes: Das Duo Brabeck/Buberl nutzte den Vorfall für eine graduelle Entmachtung des Gründers. Es wurde ein vierköpfiges Spezialkomitee eingesetzt. Formal war Schwab noch Chairman, aber de facto übernahmen Brabeck und Buberl die Macht, beflügelt von dem Fakt, das Schwab wenige Wochen vorher den Exekutive-Chairman-Posten niedergelegt hatte und die Stiftungsratsarbeit neu auf vier Komitees verteilt werden sollte. Diese konnten sie besetzen.

Der Untersuchungsbericht wurde im Stiftungsrat nicht verteilt, aus Angst vor Leaks, auch Schwab bekam ihn nie zu sehen. Aber der Freispruch war vollumfänglich, worüber Brende die Sponsoren Mitte März informierte. Allerdings fiel den Mitarbeitern auf, wie wenig er sich vor den Gründer stellte. Dass die Mechanismen im HR-Bereich nicht immer sauber gegriffen hatten, lag primär in seinem Verantwortungsbereich. Dennoch beauftragten ihn die Stiftungsräte mit einer Reorganisation: Der Amerikaner Jeremy Jurgens, als Verantwortlicher für die Verträge mit den grossen US-Multis kommerziell der wichtigste Mann, wurde zur Seite geschoben, genauso wie die langjährige Schwab-Vertraute Saadia Zahidi. Schwab erfuhr per E-Mail von diesen Plänen und schrieb Brabeck eine Protestnote: Es drohe eine Schwächung des Forums. Der Vizepräsident wies ihn schroff zurück. «Abgekanzelt» sei er worden, sollte er im vertrauten Kreis sagen. Es war der definitive Bruch. Offenbar forderte Buberl Schwab Ende März sogar zum sofortigen Rücktritt auf –wäre nicht ein Zwischenpräsident Brabeck eine gute Lösung? Schwab, zusehends zermürbt, kam so weit entgegen, dass er Anfang April intern erstmals das Datum seines bereits geplanten Abschieds nannte: 2027 – das Ende von Lagardes Amtszeit.

Doch das Führungsduo wurde gebremst: Die Stiftungsaufsicht hatte Einwände gegen den Umbau des Stiftungsrats – zwölf Vorbehalte meldete sie an. Besonders gravierend: CEO Brende sollte in das neue Governance-Komitee eintreten – ein Anfängerfehler. Das war das Thema, das Schwab mit Buberl am Ostersamstag besprechen wollte. Doch dann kam am Mittwoch die Rebecca-E-Mail – und Buberl leitete sofort die Untersuchung ein.

Sein Mantel war noch im Büro

Es folgte Nahkampf. Schwab schrieb Buberl am Freitag einen anklagenden Brief, in dem er ihn aufforderte, innerhalb 24 Stunden die Untersuchung zurückzuziehen. Als Begründung könne er sich auf die von ihm eingereichte Strafanzeige gegen Rebecca berufen. Diese Anzeige stellte das «Wall Street Journal» als eine Drohung gegen den Stiftungsrat dar, was schlicht nicht stimmte. Buberl leitete den Brief, obwohl nur an ihn bestimmt, an den Stiftungsrat weiter und kündigte seinen Rücktritt für Montag an, falls die Lage nicht in seinem Sinn geklärt werde. Am Samstagmorgen berief Brabeck eine ausserordentliche Sitzung des Stiftungsrats ein – sollte sie nicht bis Montag stattfinden, würde auch er zurücktreten. Schwab wollte die Sitzung auf Freitag verschieben. Dem Rebecca-Ultimatum von Mittwoch wollte er sich nicht beugen.

Am Samstagabend gab er auf. Mit Buberl hatte er in diesen Schicksalstagen keinen mündlichen Kontakt, aber ein anderes Mitglied des Risikoausschusses und ein weiterer nahestehender Stiftungsrat meldeten sich und redeten besänftigend auf ihn ein. Er habe seinen Rückzug doch schon angekündigt, um Schaden von seinem Lebenswerk abzuwenden, solle er ihn vorziehen. Schwab informierte Brabeck per Brief über seinen sofortigen Rücktritt. An der Sitzung vom Sonntagabend nahm er schon nicht mehr teil, die Stiftungsräte segneten formal die Untersuchung ab. Schwab hatte seine Sichtweise nie vorgebracht. Am nächsten Tag wurde es heftig: Brabeck informierte ihn per WhatsApp, dass er aufgrund der laufenden Untersuchung sein Büro nicht betreten und keine Ressourcen des Forums nutzen dürfe. Sein Mantel hing noch im Büro.

Respektloses Vorgehen

Das ewige Alphatier Brabeck ist mit 80 Jahren als WEF-Chairman zurück auf der ganz grossen Bühne. Sollte Lagarde der Imageschaden zu gross sein, hätte Buberl eine Option auf den Präsidentensessel – direkt auf den überlebensgrossen Schwab hätte er nicht folgen können, aber auf Brabeck schon, als nicht-exekutiver Chairman könnte er sogar seinen wohl dotierten Axa-Chefposten behalten. Und Brende tritt endlich aus dem Schatten des Übervaters.

Jetzt hängt alles an der Untersuchung. Die Wahl von Philipp Hildebrand in den Stiftungsrat hatte noch Schwab nach Rücksprache mit dem Bundesrat eingefädelt. Der Ex-Nationalbank-Chef soll den Kontakt zu Bern halten. Zusammen mit Roche-Vize Hoffmann bildet er Schwabs Kontakt zum Stiftungsrat. Sollte die Untersuchung keine Verstösse finden, wäre eine ehrenhafte Verabschiedung beim nächsten Davoser Meeting denkbar. Doch selbst wenn sich einige der kleinlichen Anschuldigungen bestätigen sollten: Angesichts der Lebensleistung Schwabs rechtfertigen sie niemals ein derart respektloses Vorgehen.

Und Rebecca? Obwohl Schwab vor dem Ultimatum zurücktrat, landeten die Anschuldigungen im «Wall Street Journal». Ihre Mission hat sie erfüllt: das Monument Schwab gestürzt, der Ruf des WEF beschädigt, die Zukunft ungewiss. Jetzt muss der Genfer Staatsanwalt Olivier Jornot, Empfänger von Schwabs Strafanzeige, ihre Identität klären. Dass allein verbitterte WEF-Mitarbeiter hinter dem Komplott stehen, scheint angesichts der Professionalität der Kampagne unwahrscheinlich. Wer sonst? Rachsüchtige Kreise aus der Vergangenheit? Konferenz-Konkurrenten? Oder gar Mächte aus Moskau? Die Geschichte ist noch nicht zu Ende erzählt.

Das war Schwabs letzte Eröffnungsrede am WEF 2025
1:22
Schwabs letzte Eröffnungsrede:«Die Welt steht vor kritischen Herausforderungen»
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