Darum gehts
Es soll wieder Ruhe einkehren, die Arbeit geht weiter. Der neue Stiftungsratspräsident des World Economic Forum (WEF), Ex-Nestlé-Chef Peter Brabeck-Letmathe, versuchte bei einem Townhall-Meeting am WEF-Sitz in Cologny am Dienstag, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu beruhigen. Die Aussenbüros waren per Video zugeschaltet.
Vor gut einer Woche erfolgte der brutale Abgang von WEF-Gründer Klaus Schwab, und der Schock sitzt noch immer tief. Immerhin: Die Mitgliedsfirmen, die das WEF mit ihren Beiträgen primär finanzieren, bleiben an Bord. «Bisher ist kein WEF-Mitgliedsunternehmen ausgetreten», sagt WEF-Geschäftsführer Alois Zwinggi der Handelszeitung.
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Am Ostermontag hatte das WEF in einer knapp gehaltenen Erklärung mitgeteilt, dass Gründer Klaus Schwab nach 55 Jahren den Vorsitz des Stiftungsrates niederlege und auch aus dem Spitzengremium zurücktrete. Eine Begründung? Fehlanzeige.
Schwab soll Mittel missbraucht haben
Erst einen Tag später erfährt die Welt, welchen Hintergrund Schwabs plötzlicher Rückzug hat, den das WEF noch mit «Leadership Transition» maximal unspektakulär zu beschreiben versuchte: Das «Wall Street Journal» zitiert aus einem anonymen Mail, das am 16. April an alle Mitglieder des Stiftungsrates ging und dem Wirtschaftsblatt zugespielt wurde. Darin werden happige Vorwürfe gegen Schwab erhoben.
Kurz gefasst soll er Mittel des WEF für persönliche Zwecke missbraucht haben – unter anderem für private Massagen. Zudem sollen tiefergestellte Mitarbeitende für Schwab Bargeld im Umfang von Tausenden Dollar von WEF-Konten abgehoben haben. Schwabs Frau Hilde wird vorgeworfen, sie habe die WEF-eigene Villa Mundi für private Zwecke genutzt. Und sogar das WEF-Länderranking zur Wettbewerbsfähigkeit sei von Schwab manipuliert worden, legte kurz danach die «Financial Times» nach.
Gesicherte Fakten gibt es bisher keine. Schwab selbst weist alle Vorwürfe entschieden von sich und geht mit einer Strafanzeige gegen unbekannt in die Gegenoffensive. Die Entfremdung des Stiftungsrates vom Übervater habe aber eine längere Vorgeschichte, heisst es von Personen mit Kenntnissen der Vorgänge.
Diese Vorgeschichte hilft, zu verstehen, weshalb es am Osterwochenende zur Eskalation gekommen ist. Seither heisst es: Klaus Schwab gegen das WEF. Der Gründer steht im Konflikt mit seiner eigenen Schöpfung. Die Nerven liegen blank.
Die Untersuchung des Ex-US-Finanzministers
Im vergangenen Juni war es schon einmal das «Wall Street Journal», das dem WEF ein Fehlverhalten im Umgang mit Teilen seiner Belegschaft vorwarf. Damals ging es um Diskriminierung, Sexismus und sogar Rassismus. Auch damals beauftragte der Stiftungsrat Anwaltskanzleien zur Klärung der Vorwürfe. In den USA die US-Kanzlei Covington & Burling und dort konkret den einstigen Justizminister unter Barack Obama, Eric Holder. In der Schweiz wurde die Kanzlei Homburger mandatiert.
Der resultierende Bericht zur angeblich «toxischen Arbeitskultur» wurde nie publik, bekannt wurde einzig, dass Klaus Schwab persönlich kein entsprechendes Fehlverhalten nachgewiesen werden konnte. Eine Klage der einstigen WEF-Mitarbeiterin Topaz Smith wegen persönlicher Diskriminierung in den USA wurde per Vergleich erledigt.
Die «NZZ am Sonntag» schreibt allerdings, die Untersuchung von Holder habe sehr wohl Probleme bei der Führung und im Management gefunden. Konkret soll sich ein WEF-Manager gegenüber Mitarbeiterinnen unangemessen verhalten haben. Dieser Manager war gemäss dem Bericht Oliver Schwab unterstellt, dem Sohn des WEF-Gründers.
Schwab junior habe aber den fehlbaren Manager lediglich mündlich verwarnt. In der Folge habe dieser über viele Monate hin weitere Frauen belästigt, bis er dann auf erheblichen internen Druck doch entlassen wurde.
Wie die Medienstelle des WEF nun bestätigt, wird auch Oliver Schwab das WEF offiziell Ende dieses Monats verlassen. Ob der Abgang eine Folge der Untersuchungsergebnisse ist, sagt das WEF nicht – der zeitliche Ablauf lässt das immerhin hochwahrscheinlich erscheinen. Den Abgang von Oliver Schwab hat ebenfalls das «Wall Street Journal» bereits Ende März publik gemacht und im gleichen Text von weiteren Umbrüchen im Topmanagement des WEF berichtet, wie auch von Massnahmen, um die Arbeitskultur zu verbessern.
Den Rückzug erst im 89. Altersjahr geplant
Klaus Schwab selbst hat bereits im letzten Jahr die Funktion als ausführender Präsident («Executive Chairman») abgegeben, an der Funktion als Präsident des Stiftungsrates wollte er aber noch bis 2027 festhalten und erst dann – in seinem 89. Altersjahr – zurücktreten. Das kündigte er Anfang April an. Wie es aus dem Umfeld des Stiftungsrates heisst, sorgte dies für einige Frustration. «Er fand immer einen Grund, zu bleiben», heisst es.
Gleich nachdem der Stiftungsrat das E-Mail des anonymen Absenders mit den Vorwürfen am 16. April erhalten hatte, entschloss sich Axa-Chef Thomas Buberl, der das Auditkomitee des Gremiums leitet, die Vorwürfe erneut von unabhängiger Seite untersuchen zu lassen.
Das hat zum tiefen Zerwürfnis zwischen Schwab und dem Stiftungsrat geführt. Klaus Schwab will dem Vernehmen nach absolut nichts von einer externen Untersuchung wissen. Quellen der Handelszeitung bestätigen Berichte, dass er dabei sogar Mitgliedern des Auditausschusses mit rechtlichen Konsequenzen gedroht habe.
Wie tief das Zerwürfnis seither ist, zeigt sich an den Unterschieden, wie Schwab und das WEF die Ereignisse darstellen. So erklärte Schwab in seiner Stellungnahme, er habe keine Chance gehabt, sich vor dem Stiftungsrat zu erklären, bevor das Auditkomitee eine externe Untersuchung in Auftrag gab und darüber das Gesamtgremium informierte.
Nach Angaben der WEF-Medienstelle hingegen sei Schwab sehr wohl zur Stiftungsratssitzung am 20. April eingeladen worden. Doch er habe nicht an der Sitzung teilgenommen. Deshalb hat der verbleibende Stiftungsrat ohne Schwab einstimmig den Einsatz einer externen Untersuchung beschlossen.
Schwab sieht sich als Opfer einer Kampagne
Laut Schwab hat ihm einen Tag vor der Sitzung, also am 19. April, ein Stiftungsratsmitglied den Rücktritt nahegelegt, um Schaden vom WEF abzuwenden. Denn die Absender des anonymen Mails hatten Schwabs Rücktritt bis zum 23. April verlangt, andernfalls würden die Vorwürfe öffentlich – was dann trotz Schwabs Demission tatsächlich geschah.
Schwab ist frustriert darüber, dass die Untersuchung in Auftrag gegeben wurde, bevor er sich erklären konnte. Doch die WEF-Führung hatte gemäss Fachjuristen gar keine andere Wahl, als die Untersuchung in die Wege zu leiten. Andernfalls hätten sich die Stiftungsratsmitglieder selbst angreifbar und haftbar gemacht.
Unklar ist, wer hinter den Vorwürfen steckt und ob die Autoren des fraglichen Mails womöglich in Verbindung mit jenen WEF-Kritikern stehen, die sich bereits vor einem Jahr mit Diskriminierungsvorwürfen an das «Wall Street Journal» gewandt haben. In beiden Fällen soll es sich nach deren eigenen Angaben um aktuelle und ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des WEF handeln. Für Schwab selbst ist klar, dass er Opfer einer Kampagne ist, die mit dem ersten Bericht im «Wall Street Journal» im Juni vergangenen Jahres ihren Anfang nahm.
Leben in den Dienst des WEF gestellt
Selbst Schwabs Kritiker im Umfeld des WEF räumen ein, dass die neuen Vorwürfe gegen den WEF-Gründer und seine Gattin vergleichsweise «Peanuts» sind. Selbst wenn man alle Vorwürfe zum Nennwert nimmt, ist eine Bereicherungsabsicht nicht zu erkennen. Bei Licht besehen geht es darum, ob alle Auslagen korrekt verbucht wurden. Und ob jede Veranstaltung, die Hilde Schwab in der WEF-eigenen Villa organisierte, einen eindeutigen Bezug zum WEF hatte.
Bei einer Person wie Klaus Schwab, die sein ganzes Leben in den Dienst des WEF gestellt hat, dürfte es schwer sein, immer 100-prozentig trennscharf zwischen beruflich und privat zu unterscheiden – und noch steht der Beweis aus, dass ihm hierbei tatsächlich Fehler unterlaufen sind. Schwab selbst weist alle Vorwürfe von sich. Und rechnet im Gegenzug vor, wie viel Geld er persönlich in verschiedene Stiftungen gesteckt hat, die für die soziale Akzeptanz des Forums entscheidend seien.
Unter anderem gab das Ehepaar Schwab 1 Million Franken in die Stiftung der Young Global Leaders, die hoffnungsvolle Nachwuchskräfte zu einem Netzwerk im Rahmen des WEF zusammenführt. Umgekehrt schulde ihm das WEF sogar Geld: So stehe ihm aus einer Vereinbarung aus dem Jahr 1999 ein Sonderbonus von 5 Millionen Franken zu als Ausgleich für seine tiefe Bezahlung in der Aufbauzeit seit dem Jahr 1971. Diesen Bonus hat Schwab aber nie verlangt. Berücksichtigt man dazu noch, dass sein Gehalt nicht an die Inflation angeglichen wurde, stünden ihm 8 Millionen Franken zu, rechnet Schwab vor.
Sicher ist vor allem eines: Die Affäre kennt nur Verlierer. Schwabs Ruf ist ramponiert. Und auch das Ansehen des WEF hat Schaden genommen. Damit steht die Frage im Raum, wie es nun weitergeht. Und möglicherweise auch, ob das WEF dauerhaft in Davos bleibt.
Die Führung des Stiftungsrates hat vorübergehend der mittlerweile achtzigjährige Ex-Nestlé-Chef Peter Brabeck-Letmathe übernommen. Wer danach kommt, soll eine Findungskommission eruieren. Als Topkandidatin gilt die derzeitige EZB-Präsidentin und WEF-Stiftungsrätin Christine Lagarde. Die frühere Topanwältin diente Frankreich während der Finanzkrise als Finanzministerin und ist international exzellent verdrahtet. Ihre Amtszeit bei der EZB läuft 2027 aus und kann nicht verlängert werden.
Fragezeichen zum Verbleib in Davos
Und wie geht es mit dem WEF selbst weiter? Bleibt es in Davos? Schwab stellt sich als Garant dafür dar, dass die Veranstaltung in der Schweiz bleibt. So habe er Gespräche mit verschiedenen Bundesräten geführt – mit dem Ziel, dass die Eidgenossenschaft eine Person in den Stiftungsrat entsendet, um die Verbundenheit des WEF mit der Schweiz zu untermauern.
«Wie es diesbezüglich weitergeht, weiss ich nicht», sagte Schwab den Zeitungen von CH Media. Laut Bundeskanzlei hat sich der Bundesrat bisher nicht offiziell mit der Frage beschäftigt.
Beim WEF will man offiziell von einem Abschied von Davos nichts wissen. «Der Stiftungsrat mag international breit besetzt sein. Dennoch gibt es ein langfristiges Bekenntnis zum Standort Davos. Hier wird mehr Unsicherheit verbreitet, als nötig ist», sagt Geschäftsführer Alois Zwinggi zur Handelszeitung. Die Gespräche mit dem Bundesrat darüber, ob die Regierung einen Stiftungsrat entsenden kann, «werden unter der neuen Führung weitergehen», versichert er.
Aus WEF-Kreisen verlautet, dass selbst Klaus Schwab bereits «Plan B»-Szenarien mit alternativen Standorten wie zum Beispiel dem Bürgenstock bei Luzern habe prüfen lassen. Auch Singapur stand zur Diskussion. Am Ende sei die Wahl immer auf Davos gefallen, wo die Abläufe eingespielt sind.
Vertreter von Unternehmen sind in der Standortfrage eindeutig: Würde das WEF nach Singapur oder New York verlegt werden, wäre dies der Anfang vom Ende. Denn just die Enge in Davos schaffe diese einmalige Atmosphäre, welche die Chance auf viele zufällige Begegnungen biete und vor allem den Forumsteilnehmenden bei ihrem durchgetakteten Programm kurze Wege zu ihren nächsten Meetings garantiere. Nun wird sich zeigen müssen, ob das World Economic Forum seine Strahlkraft ohne seinen Gründer bewahren kann.