Darum gehts
Er hätte Ehrenmitglied werden können – verabschiedet mit Medaille, Pomp und würdigem Applaus. Stattdessen läuft eine Untersuchung gegen WEF-Gründer Klaus Schwab. Sein Image ist beschädigt, und auch sein Lebenswerk leidet unter den Negativschlagzeilen. Die zentrale Frage: Warum trat Schwab nicht früher zurück? Mit 87 Jahren spielen andere Golf, entspannen auf ihrem Weingut oder besuchen den Zoo mit den Enkelkindern. Schwab nicht. Er streitet nur noch.
Der Grand Old Man des WEF ist nicht der einzige Patron, der seinen Rücktritt so lange hinauszögerte, bis es zum Desaster kam. Nur vier Tage nach seiner Wiederwahl als Fifa-Präsident trat der damals 79-jährige Sepp Blatter zurück – umgeben von verhafteten Fifa-Funktionären und begleitet von Anklagen. Erst diesen März, neun Jahre später, wurde Blatter in zweiter Instanz freigesprochen.
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Auch US-Präsident Joe Biden hielt trotz offensichtlicher Altersschwäche hartnäckig an seiner Kandidatur fest, bis der Druck zu gross wurde. Die Wahl gewann schliesslich Donald Trump, der mit 78 Jahren ebenfalls nicht an Rücktritt denkt. Was treibt diese Patrons an? Warum klammert der alte weisse Mann so lange, bis es zu spät ist?
Umstrittene Altersgrenze
Thomas Zenner, seit 25 Jahren Experte für Unternehmensnachfolge und Inhaber der Stanser Firma Family Office 360 Grad, erklärt: «Diese Führungspersönlichkeiten wurden jahrzehntelang hofiert – von den wichtigsten Menschen der Welt. Sie gehörten zur High Society und nahmen an den bedeutendsten globalen Veranstaltungen teil. Das loszulassen, ist enorm schwierig. Sie fürchten, in die Bedeutungslosigkeit abzudriften.»
Besonders Klaus Schwab baute über Jahrzehnte ein einzigartiges Beziehungsnetzwerk auf. Wenn andere sich stritten, blieb das WEF oft die letzte Bastion zivilisierter Gespräche – sein Vermächtnis. «Doch er verpasste vor zehn Jahren den idealen Zeitpunkt für seinen Rücktritt», sagt Zenner. WEF-Insider berichten der Handelszeitung, dass Schwab regelmässig seinen Rückzug ankündigte, aber stets einen Grund fand, zu bleiben.
Vielerorts heisst es deshalb, dass Firmen Altersgrenzen einführen sollen. Doch Altersforscher sehen darin eine Altersdiskriminierung. Es solle nicht die Frage im Vordergrund stehen, welches Alter oder Geschlecht eine Person hat, sondern, ob sie den Job kann. Kritischer sieht das Thomas Zenner. Er anerkennt den Punkt der Diskriminierung, betont aber, dass jedes Arbeitsleben ein Ende haben sollte: «Alt sein bedeutet nicht, dass man nichts mehr kann. Sondern, dass man zurücktreten darf.» Ausserdem mache man Platz für die nächste Generation, die zumeist gerne auf die Erfahrung und Beratung der Vorangegangenen zurückgreift.
Doch gerade die Gründer, die eine Firma aufgebaut haben, scheuen sich vor der Übergabe. HSG-Dozent und Nachfolgeexperte Frank Halter rät ihnen, sich folgende Frage zu stellen: «Bin ich das Unternehmen, oder habe ich ein Unternehmen?» Gilt Ersteres, sei die Führungsnachfolge nicht gelöst. Zenner ergänzt: «Patrons haben ihre Firmen aufgebaut und zum Erfolg geführt. Sie halten sich für unersetzlich und sind überzeugt: Das kann niemand besser als ich.»
Die «Übung Probesterben»
Selbst Investorenlegende Warren Buffett hat mit 94 Jahren seine Endlichkeit akzeptiert und Greg Abel als Nachfolger vorgestellt. Besser spät als nie. Zenner berichtet von anderen Unternehmern, bei denen diese Einsicht ausbleibt: «Ein achtzigjähriger Patron zeigte mir einmal einen Stapel Papiere und erklärte, das seien seine Projekte für die nächsten zwanzig Jahre. Sterben ist für solche Menschen keine Option.»
Genau deshalb plädiert Nachfolgeexperte Halter für die «Übung Probesterben»: «Irgendwann erwischt es jeden. Führungskräfte müssen sich fragen: Was passiert, wenn ich morgen nicht mehr da bin?» Nur so garantiere man die Kontinuität eines Unternehmens. Bei hartnäckigen Verweigerern appelliert er an die Verantwortung für die Mitarbeitenden und deren Familien.
Bei Familienunternehmen sind solche Überlegungen besonders wichtig. Die Zürcher Gastronomiegruppe Bindella mit einem Umsatz von 235 Millionen Franken ist ein Beispiel für eine gelungene, wenn auch nicht reibungslose Nachfolge.
Sohn Rudi Bindella erinnert sich etwa an unterschiedliche Auffassungen seines Vaters während der Realisierung des Restaurantprojekts «Più» an der Europaallee. «In einer Nacht schraubte ich Wandelemente, die mein Vater in Auftrag gegeben hatte, eigenhändig wieder ab», erzählt Rudi junior. «Seither wechseln wir uns bei Neubauprojekten ab.» Er hat 2018 die operative Leitung der Bindella-Unternehmungen übernommen.
Anders läuft es bei der Tabakfirma Villiger: Heinrich Villiger (94) ist noch immer CEO, eine Nachfolge ist nicht in Sicht. Einen neuen CEO lehnt er ab und vertraut auf sein Team. Kurzzeitig stand sein Enkel Lucien als Nachfolger im Raum – ein klassisches «Prince-Charles-Phänomen», bei dem die Grosseltern so lange im Amt bleiben, dass die Nachfolge eine Generation überspringt. Was bei Villiger trotz seines hohen Alters spürbar bleibt, ist die Begeisterung für sein Geschäft. Frank Halter betont: «Wer Freude an seiner Funktion hat, soll das ausleben dürfen. Wer würde den Rolling Stones vorschreiben, nicht mehr auftreten zu dürfen?»
Energie für den Abstieg
In der Arbeitswelt ist Klaus Schwab zwar kein Rockstar. Doch seine Fähigkeit zum Netzwerken und der Aufbau des WEF sind einmalige Errungenschaften – die er auch weiter hätte wahrnehmen können. Nur nicht in der Funktion als WEF-Präsident, sondern als WEF-Gründer.
Ad interim hat nun Peter Brabeck die Leitung des Stiftungsrates übernommen – der Ex-Nestlé-Chef ist aber selbst bereits achtzig Jahre alt. In seinem Buch «Aufstiege» vergleicht er eine Karriere mit dem Bergsteigen: Die meisten Unfälle passieren erst beim Abstieg. Er warnt davor, sich im Höhenrausch zu verlieren, und empfiehlt, beim Karriereaufstieg nie alle Kräfte zu verbrauchen, sondern Reserven für den Abstieg zu bewahren.
Aktuell lässt Brabeck offen, ob er die Interimsposition während dreier Monate oder dreier Jahre innehaben wird. Bleibt zu hoffen, dass der Achtzigjährige seinen eigenen Rat beherzigt.