CEO-Affäre, Aktie im Sinkflug, immer wieder Lebensmittelskandale
Schweizer Lebensmittelmulti Nestlé in der Mega-Krise – das sind die Gründe

Die Liebes-Affäre des geschassten Nestlé-CEO Laurent Freixe war nur ein weiteres Kapitel im Absturz des Schweizer Lebensmittelmultis. Woran es in Vevey VD hapert, warum der Aktienkurs eingebrochen ist und mit welcher Strategie es wieder aufwärtsgehen könnte.
Publiziert: 16.10.2025 um 09:44 Uhr
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Aktualisiert: 16.10.2025 um 10:42 Uhr
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Aus und vorbei: Laurent Freixe ist seit September weg.
Foto: keystone-sda.ch

Darum gehts

  • Nestlé-CEO Laurent Freixe entlassen. Philipp Navratil übernimmt mit sofortiger Wirkung
  • Drei CEOs in einem Jahr zeigen Unruhe im Unternehmen
  • Nestlé-Aktie verlor seit Pandemie-Höhepunkt über 40 Prozent an Wert
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Nicola ImfeldTeamlead Wirtschaft-Desk

Nestlé hats im September gleich doppelt durchgeschüttelt: Der damalige CEO Laurent Freixe (63) ist nach nur einem Jahr an der Spitze des Konzerns mit sofortiger Wirkung entlassen worden. Eine interne Untersuchung am Hauptsitz in Vevey VD deckte eine «nicht offengelegte romantische Beziehung mit einer direkt unterstellten Mitarbeiterin» auf – ein Verstoss gegen den Code of Conduct bei Nestlé. Der bisherige Nespresso-Chef Philipp Navratil (48) übernahm per sofort – und kündigte heute Mittwoch bereits einen Mega-Jobabbau und einen neuen Sparplan an.

Mitte September folgte der nächste Knall: Nestlé-Verwaltungsratspräsident Paul Bulcke (71) trat früher als geplant zurück. Der Druck auf den belgisch-schweizerischen Doppelbürger wurde nach dem zweiten Abgang eines Nestlé-CEOs innert eines Jahres offenbar zu gross. Seit 1. Oktober leitet deshalb der Spanier Pablo Isla (58) den Vorsitz des Verwaltungsrats.

Was sind die Hauptgründe für die immer wiederkehrenden Nestlé-Krisen?

1

Unruhe: Immer wieder neue Chefs

Drei Chefs seit August 2024 – das kann nicht gesund sein. Damals musste Mark Schneider (59) abtreten – nach Jahren sinkender Aktienkurse und ohne die erhoffte Erneuerung des Konzerns. Schneider hatte sich vorgenommen, Nestlé gesünder, grüner und moderner zu machen – pflanzenbasierte Produkte, Klimaziele, ein «veganes» Kitkat. Doch intern wuchs der Widerstand – und extern sank angesichts des schwachen Aktienkurses die Geduld. «Zwei Jahre zuvor galt er noch als bester Manager der Branche, doch plötzlich schien er alles falsch zu machen», schrieb Bruno Monteyne vom US-Analysehaus Bernstein.

Schneiders Nachfolger Laurent Freixe strich grosse Teile der Nachhaltigkeitsstrategie seines Vorgängers zusammen und fokussierte sich aufs Kerngeschäft. Der grosse Erfolg blieb in seinen zwölf Monaten noch aus. Ein abschliessendes Fazit ist beim Franzosen aber auch nicht möglich, weil er aufgrund seiner Affäre am Arbeitsplatz seit Anfang September bereits wieder weg ist. Das sieht auch Vontobel-Analyst Jean-Philippe Bertschy so: «Für endgültige Urteile zur Strategie, die im November vorgestellt worden ist, ist es noch zu früh», sagte er im September zu Blick. Die Umsetzung in der zweiten Jahreshälfte werde entscheidend sein.

Dafür verantwortlich ist nun der dritte Chef: Philipp Navratil (48), zwar bereits seit 24 Jahren beim Schweizer Lebensmittelmulti, allerdings erst seit einem Jahr Nespresso-Chef und seit diesem Jahr in Nestlés Konzernleitung. «Seine oberste Priorität wird darin bestehen, wieder Kontakt zu allen Interessengruppen aufzunehmen und das Vertrauen der Investoren zurückzugewinnen», so Bertschy. «Die grössere Herausforderung besteht darin, nachhaltiges Wachstum wiederherzustellen und gleichzeitig die strategische Umstrukturierung erfolgreich umzusetzen.»

2

Börse: Aktienkurs seit Jahren auf Talfahrt

Nestlé galt lange als sicherer Hafen in unsicheren Zeiten – ein Titel, den man kauft, wenn es an der Börse drunter und drüber geht. Doch das Papier des Waadtländer Weltkonzerns ist das schon längst nicht mehr. Seit dem Höhepunkt in der Pandemie (127 Franken) hat die Aktie über 40 Prozent an Wert verloren. Zwischenzeitlich kostete die Nestlé-Aktie Ende September noch 71 Franken – das war ein Neunjahrestief.

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Pikant: Während Konkurrenten wie Danone oder Unilever 2024 an der Börse teils zweistellig zulegten, verlor Nestlé zweistellig! Der Absatz stagnierte nach der Pandemie. «Dann kam der Krieg in der Ukraine, der zu einem starken Anstieg der Rohstoffkosten führte», so Bertschy. Viele Konsumenten wichen auf günstigere Eigenmarken aus. Nestlé drehte in der Folge an der Preisschraube – und überdrehte. Die Marktanteile bröckelten dahin. Die Markterwartungen wurden regelmässig nicht erreicht. Analysten senkten ihre Prognosen. Ein Teufelskreis.

Die aktuelle Strategie: voller Fokus auf Top-Marken wie Nescafé, Kitkat, Maggi, Purina oder Nespresso! Sie sollen gezielt gestärkt und weiterentwickelt werden. Die im November vorgestellte Strategie von Nestlé bleibt unverändert. «Der Fokus liegt nun ganz auf der Umsetzung. Dennoch könnte Philipp Navratil in den kommenden Monaten seine eigene Handschrift einbringen», sagte Bertschy im September. Das hat Navratil mit dem Stellenabbau und dem neuen Sparplan nun gemacht.

3

Skandale: Pizza, Mineralwasser, Ukraine

Der grösste Nestlé-Skandal der letzten Jahre spielt in Frankreich: Anfang 2023 deckten investigative Journalisten und die Verbraucherorganisation Foodwatch einen Betrug bei Mineralwasser auf. Nestlé Waters hatte – zusammen mit einem lokalen Abfüller – über Jahre natürliches Mineralwasser, unter anderem der Marken Perrier, Vittel und Contrex, mit verbotenen Methoden gefiltert. Um Verunreinigungen durch Keime oder Pestizide zu beseitigen, wurden Filtermethoden eingesetzt, die gegen EU-Recht verstossen sollen. Ein Urteil steht noch aus – und könnte Nestlé viel Geld kosten.

Im Frühjahr 2022 erschütterte ein schwerer Lebensmittelskandal das Vertrauen in Nestlé. Tiefkühlpizzen der Nestlé-Marke Buitoni waren mit gefährlichen E.-coli-Bakterien kontaminiert. Dutzende Personen erkrankten, und zwei Kinder starben. Nestlé hat 2023 den betroffenen Betrieb im nordfranzösiscen Caudry geschlossen.

Auch nach Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine geriet Nestlé in die Kritik. Die Waadtländer haben – anders als viele westliche Konzerne – ihr Russland-Geschäft nicht vollständig eingestellt. Zwar fuhr Nestlé das Sortiment drastisch zurück, verkaufte aber weiterhin Grundnahrungsmittel wie Babynahrung und Cerealien. Das sorgte für Empörung. Hochrangige Politiker wie Ukraine-Präsident Wolodimir Selenski (47) warfen Nestlé öffentlich vor, Russlands Krieg mitzufinanzieren.

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