CEO-Affäre, Aktie im Sinkflug, immer wieder Lebensmittelskandale
Schweizer Lebensmittelmulti Nestlé in der Mega-Krise – das sind die Gründe

Die Liebes-Affäre des geschassten Nestlé-CEO Laurent Freixe ist nur ein weiteres Kapitel im Absturz des Schweizer Lebensmittelmultis. Woran es in Vevey VD hapert, warum der Aktienkurs regelrecht eingebrochen ist und mit welcher Strategie es wieder aufwärtsgehen könnte.
Publiziert: 02.09.2025 um 13:27 Uhr
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Aktualisiert: 02.09.2025 um 15:17 Uhr
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Aus und vorbei: Laurent Freixe ist per sofort weg.
Foto: keystone-sda.ch

Darum gehts

  • Nestlé-CEO Laurent Freixe entlassen. Philipp Navratil übernimmt mit sofortiger Wirkung
  • Drei CEOs in einem Jahr zeigen Unruhe im Unternehmen
  • Nestlé-Aktie verlor seit Pandemie-Höhepunkt über 40 Prozent an Wert
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Nicola ImfeldTeamlead Wirtschaft-Desk

Nestlé hats am Montagabend kräftig durchgeschüttelt: CEO Laurent Freixe (63) ist nach nur einem Jahr an der Spitze des Konzerns mit sofortiger Wirkung entlassen worden. Eine interne Untersuchung am Hauptsitz in Vevey VD deckte eine «nicht offengelegte romantische Beziehung mit einer direkt unterstellten Mitarbeiterin» auf – ein Verstoss gegen den Code of Conduct bei Nestlé. Der Nachfolger steht bereits fest: Der bisherige Nespresso-Chef Philipp Navratil (48) übernimmt per sofort. 

Es ist nur das nächste Kapitel in der Krise beim grössten Lebensmittelkonzern der Welt. Blick zeigt die drei Hauptgründe für den Nestlé-Absturz und schätzt diese mit Vontobel-Analyst Jean-Philippe Bertschy ein:

1

Unruhe: Immer wieder neue Chefs

Drei Chefs seit August 2024 – das kann nicht gesund sein. Damals musste Mark Schneider (59) abtreten – nach Jahren sinkender Aktienkurse und ohne die erhoffte Erneuerung des Konzerns. Schneider hatte sich vorgenommen, Nestlé gesünder, grüner und moderner zu machen – pflanzenbasierte Produkte, Klimaziele, ein «veganes» Kitkat. Doch intern wuchs der Widerstand – und extern sank angesichts des schwachen Aktienkurses die Geduld. «Zwei Jahre zuvor galt er noch als bester Manager der Branche, doch plötzlich schien er alles falsch zu machen», schrieb Bruno Monteyne vom US-Analysehaus Bernstein. 

Schneiders Nachfolger Laurent Freixe strich grosse Teile der Nachhaltigkeitsstrategie seines Vorgängers zusammen und fokussierte sich aufs Kerngeschäft. Der grosse Erfolg blieb in seinen zwölf Monaten noch aus. Ein abschliessendes Fazit ist beim Franzosen aber auch nicht möglich, weil er aufgrund seiner Affäre am Arbeitsplatz seit Montagabend bereits wieder weg ist. Das sieht auch Vontobel-Analyst Jean-Philippe Bertschy so: «Für endgültige Urteile zur Strategie, die im November vorgestellt worden ist, ist es noch zu früh», sagt er zu Blick. Die Umsetzung in der zweiten Jahreshälfte werde entscheidend sein.

Dafür verantwortlich wird nun der dritte Chef: Philipp Navratil (48), zwar bereits seit 24 Jahren beim Schweizer Lebensmittelmulti, allerdings erst seit einem Jahr Nespresso-Chef und seit diesem Jahr in Nestlés Konzernleitung. «Seine oberste Priorität wird darin bestehen, wieder Kontakt zu allen Interessengruppen aufzunehmen und das Vertrauen der Investoren zurückzugewinnen», sagt Bertschy. «Die grössere Herausforderung besteht darin, nachhaltiges Wachstum wiederherzustellen und gleichzeitig die strategische Umstrukturierung erfolgreich umzusetzen.»

Während es auf dem CEO-Posten stetig Veränderungen gab, hielt sich Nestlé-Urgestein und VR-Präsident Paul Bulcke (70) wacker. Sein Abgang per April 2026 steht aber fest. Nachfolger wird mit Pablo Isla (61) immerhin ein Manager, der bereits seit 2018 im Nestlé-Verwaltungsrat sitzt. Die Hauptaufgabe des Spaniers dürfte es sein, dass bei Nestlé Ruhe einkehrt. 

2

Börse: Aktienkurs seit Jahren auf Talfahrt

Nestlé galt lange als sicherer Hafen in unsicheren Zeiten – ein Titel, den man kauft, wenn es an der Börse drunter und drüber geht. Doch das Papier des Waadtländer Weltkonzerns ist das schon längst nicht mehr. Seit dem Höhepunkt in der Pandemie (127 Franken) hat die Aktie über 40 Prozent an Wert verloren. Am Dienstagmittag kostete die Nestlé-Aktie noch 74.50 Franken – das ist fast ein Neunjahrestief. 

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Pikant: Während Konkurrenten wie Danone oder Unilever 2024 an der Börse teils zweistellig zulegten, verlor Nestlé zweistellig! Der Absatz stagnierte nach der Pandemie. «Dann kam der Krieg in der Ukraine, der zu einem starken Anstieg der Rohstoffkosten führte», sagt Bertschy. Viele Konsumenten wichen auf günstigere Eigenmarken aus. Nestlé drehte in der Folge an der Preisschraube – und überdrehte. Die Marktanteile bröckelten dahin. Die Markterwartungen wurden regelmässig nicht erreicht. Analysten senkten ihre Prognosen. Ein Teufelskreis. 

Die aktuelle Strategie unter Freixe: voller Fokus auf Top-Marken wie Nescafé, Kitkat, Maggi, Purina oder Nespresso! Sie sollen gezielt gestärkt und weiterentwickelt werden. Die im November vorgestellte Strategie von Nestlé bleibt unverändert. «Der Fokus liegt nun ganz auf der Umsetzung. Dennoch könnte Philipp Navratil in den kommenden Monaten seine eigene Handschrift einbringen», sagt Bertschy. Er ist grundsätzlich positiv gestimmt: «Wenn das Management seine Versprechen einhält, sehen wir eindeutig Aufwärtspotenzial für die Aktie.»

3

Skandale: Pizza, Mineralwasser, Ukraine

Der grösste Nestlé-Skandal der letzten Jahre spielt in Frankreich: Anfang 2023 deckten investigative Journalisten und die Verbraucherorganisation Foodwatch einen Betrug bei Mineralwasser auf. Nestlé Waters hatte – zusammen mit einem lokalen Abfüller – über Jahre natürliches Mineralwasser, unter anderem der Marken Perrier, Vittel und Contrex, mit verbotenen Methoden gefiltert. Um Verunreinigungen durch Keime oder Pestizide zu beseitigen, wurden Filtermethoden eingesetzt, die gegen EU-Recht verstossen sollen. Ein Urteil steht noch aus – und könnte Nestlé viel Geld kosten.

Im Frühjahr 2022 erschütterte ein schwerer Lebensmittelskandal das Vertrauen in Nestlé. Tiefkühlpizzen der Nestlé-Marke Buitoni waren mit gefährlichen E.-coli-Bakterien kontaminiert. Dutzende Personen erkrankten, und zwei Kinder starben. Nestlé hat 2023 den betroffenen Betrieb im nordfranzösiscen Caudry geschlossen.

Auch nach Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine geriet Nestlé in die Kritik. Die Waadtländer haben – anders als viele westliche Konzerne – ihr Russland-Geschäft nicht vollständig eingestellt. Zwar fuhr Nestlé das Sortiment drastisch zurück, verkaufte aber weiterhin Grundnahrungsmittel wie Babynahrung und Cerealien. Das sorgte für Empörung. Hochrangige Politiker wie Ukraine-Präsident Wolodimir Selenski (47) warfen Nestlé öffentlich vor, Russlands Krieg mitzufinanzieren.

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