Mehr Speed, weniger Stürze!
Abfahrts-König mit überraschender These zur Sicherheitsdebatte

Dominik Paris sorgt eine Woche vor dem Weltcup-Auftakt mit einigen kernigen Aussagen für Furore.
Publiziert: 00:02 Uhr
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Dominik Paris gehört zu den erfolgreichsten und wildesten Abfahrern in der Weltcup-Geschichte.
Foto: Sven Thomann

Die Ski-Begeisterung in der Südtiroler Gemeinde Ulten nimmt tierische Formen an. Der spritzigste Stier in diesem Bergdorf trägt den Namen «Domme». Das ist der Spitzname vom Berühmtesten der 2913 Ultner – die Rede ist natürlich von Abfahrts-König Dominik Paris. Es gibt kaum ein Tier, welches so gut zum 36-Jährigen passt wie dieser Muni.

Mit seiner Bullenkraft in den Beinen und der furchtlosen Fahrweise hat er acht Siege auf den beiden brutalsten Abfahrten der Welt realisiert. Fünfmal hat der Nordica-Pilot auf der Stelvio in Bormio triumphiert, dreimal war der 100-Kilo Brocken der Schnellste auf der Kitzbüheler Streif. Zudem hat «Domme» auf beiden Strecken je einmal im Super-G triumphiert.

Der grosse Querdenker

Ähnlich direkt wie seine Rennlinien ist die Sprache von Paris. Was sein Gegenüber hören möchte, interessiert ihn wenig. Der Super-G-Weltmeister von 2019 spricht kompromisslos das aus, was er auch wirklich denkt. In einer Zeit, in der im Ski-Zirkus immer mehr Leute über eine Reduktion des Tempos nachdenken, hält Paris mit bemerkenswerten Worten dagegen: «Die Verantwortlichen bei der FIS haben immer noch nicht verstanden, dass in den Speed-Disziplinen das Geradeausfahren das Ungefährlichste ist. In den meisten Fällen sind es die Kurven, welche den Abfahrern zum Verhängnis werden.»

Der Mann mit 24 Weltcupsiegen untermauert seine These mit der Highspeed-Passage am Lauberhorn. «Obwohl im Haneggschuss bereits Geschwindigkeiten über der 160 km/h-Marke gemessen wurden, habe ich in diesem Streckenabschnitt noch nie einen Sturz gesehen. In der Einfahrtkurve zum Haneggschuss hingegen schon…»

«Ich habe nie gedacht, dass an dieser Stelle etwas so Schreckliches passiert»

Im September musste Paris im Trainingscamp in La Parva miterleben, wie sein zehn Jahre jüngerer Landsmann Matteo Franzoso nach einem Sturz durch ein B-Netz donnerte und zwei Tage später verstarb. Seither wird La Parva genau wie andere Speed-Trainingsstrecken von zahlreichen Insidern als zu gefährlich bezeichnet. Wie denkt der erfolgreichste Speed-Spezialist von Italiens Ski-Geschichte darüber?

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«Das Drama um Matteo ist auch mir sehr nahegegangen. Trotzdem kann ich nicht nachvollziehen, dass diese Piste plötzlich viel zu gefährlich sein soll. Fakt ist: Auf dieser Piste in La Parva wird seit ungefähr 40 Jahren Abfahrt trainiert und bis in diesem Herbst ist hier nie etwas Schlimmes passiert. Und ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass an der Stelle, wo Matteo gestürzt ist, etwas derart Schreckliches geschehen könnte.»

Paris erinnert daran, «dass bereits Menschen zu Hause beim Treppensteigen tödlich verunglückt sind. Und es kommt immer wieder vor, dass Bauarbeiter nach einem Sturz vom Gerüst sterben. Aber deshalb wird nicht die ganze Baubranche infrage gestellt.»

«Diese Stürze darf man nicht miteinander vergleichen»

Gleichzeitig ärgert sich der zweifache Familienvater über die Tatsache, «dass im Skisport alle Stürze in denselben Topf geworfen werden. In Wahrheit kann man beispielsweise die Ursachen von Cyprien Sarrazins Sturz in Bormio und dem Ziel-S-Crash von Alex Kilde in Wengen überhaupt nicht miteinander vergleichen.»

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Paris holt Luft und setzt dann zu seiner Analyse an: «Die schweren Stürze im vergangenen Dezember in Bormio waren fast ausnahmslos auf Fehler zurückzuführen, die bei der Präparation der Piste gemacht wurden. Man hat die Stelvio nicht wie in den Jahren zuvor von oben nach unten mit Wasser präpariert, an gewissen Stellen wurde wenig bis gar nicht gewässert. Und das hat zu diesen unregelmässigen, gefährlichen Bedingungen geführt. Bei Kildes Sturz in Wengen war aber nicht der Pistenchef schuld. Kilde ist damals trotz einer Grippe an den Start der längsten Abfahrt der Welt gegangen.»

Wer hätte den Norweger stoppen sollen? Paris:« Es ist ganz klar: Wenn ein Athlet auch nur eine Erfolgschance von einem Prozent sieht, versucht er diese zu nutzen. Und deshalb darf man in einer solchen Situation die Entscheidung über die Rennteilnahme nicht dem Rennfahrer überlassen. Ein Arzt muss das letzte Wort haben.»

Paris glaubt fest daran, dass einige schwere Stürze vermieden werden könnten, wenn der internationale Ski-Verband in diesem Bereich den Hebel ansetzen würde. «Dass sich ein Teamarzt wie im Fall Kilde vom Wunsch seines Athleten beeinflussen lässt, ist ja irgendwie nachvollziehbar. Deshalb wäre es gut, wenn die FIS einen unabhängigen Arzt engagiert, welcher entscheidet, ob ein Athlet an den Start darf, oder eben nicht. In der Formel 1 und in der Moto-GP ist es schon lange so, dass der Arzt im offiziellen Medical Center sagt, wann ein Pilot nach einem Sturz oder einer Erkrankung zurück auf die Rennstrecke darf.»

«Rennen in Crans-Montana war Kinderabfahrt»

Stellt sich die Frage, wie oft wir Paris noch auf der Rennstrecke erleben werden? Wenn die Gesundheit mitspielt, wird der Ausnahme-Abfahrer im kommenden Februar bei den Olympischen Spielen auf seiner Lieblingspiste in Bormio um eine Medaille kämpfen.

Ob der wohltuende Klartexter seine glorreiche Karriere bis zu den Weltmeisterschaften 2027 in Crans-Montana fortsetzen wird, ist derzeit unklar. Zumal er sich im letzten Februar anlässlich der Weltcuprennen nicht wirklich in die WM-Piste im Unterwallis verliebt hat. «Das war eine reine Kinderabfahrt! Im oberen Teil wurde der Kurs in die falsche Richtung gesetzt, unten hatten sie mehr Kurven als im Europacup - so etwas darf einfach nicht passieren.»

Abfahrts-Olympiasieger Didier Défago (48) interpretiert in Crans-Montana die Rolle des WM-CEO. Defago hat Paris in einem längeren Gespräch versichert, dass auch er mit der Kurssetzung im Weltcup nicht glücklich gewesen ist. Somit dürfte klar sein, dass wir in eineinhalb Jahren auf der Piste National deutlich spektakulärere Rennen erleben werden. Hoffentlich mit Dominik «Domme» Paris.

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